Dienstag, 5. Dezember 2017

(Der schwarze Winkel Teil 1) Die verachteten Opfer


"Der Einsatz muss im wahren Sinne des Wortes erschöpfend sein" (Oswald Pohl, SS-Wirtschaftsverwaltung 1942)





Die verachteten Opfer



„Anfangs gab es nur politische Häftlinge, Sozialdemokraten, Kommunisten, christliche und li-berale Politiker. Um sie in der Öffentlichkeit als minderwertige Menschen zu diffamieren, wurden auch Kriminelle und sog. 'Asoziale' ins Lager eingeliefert ".


So wurde in der KZ-Gedenkstätte Dachau jahrzehntelang die Tafel der verschiedenen Farben der Häftlingswinkel erläutert. Viele der sogenannten Politischen teilten die Verachtung und Vorurteile der Nazis gegenüber den sogenannten Asozialen. Der Sozialdemokrat Kautsky bezeichnete sie als "willensschwache Menschen, die schon in der Freiheit jeden moralischen Halt verloren hatten".

 Eugen Kogon schrieb in seinem Buch „Der SS-Staat", die „Asozialen“ hätten vom (politischen) „ Häftlingsstandpunkt" als "unzuverlässig, haltlos und wenig erwünscht" gegolten. Den wenigen
aus dem KZ entlassenen „Asozialen“ unterstellte der Sachsenhausener Lagerälteste Harry Naujoks - ohne jeden Beleg - sie hätten "Verbindung zu höheren Nazistellen" gehabt. Fast durchgängig wird ihnen eine „seelische Verwandschaft zur SS" unterstellt. Offensichtlich wurden aufgrund der Vorurteile nur die negativen Verhaltensweisen, die es sicherlich gab, wahrgenommen und als gruppentypisch angesehen.

Es ist schon bei fest umrissenen Gruppen fragwürdig, ein „gruppentypisches Verhalten" zu definieren. Dies gilt umso mehr bei einer "Gruppe" die gar keine war. Die einzige Gemeinsamkeit: Sie waren in den Augen der Nazis „arbeitsscheu" . Das galt für den alten Bettler genauso, wie für den Arbeiter der zweimal „blaugemacht" hatte. „Zigeuner", unverheiratete Mütter (vor allem wenn sie Kinder von mehreren Vätern hatten), „sexuell freizügige Frauen“, „asoziale Grossfamilien“ - sie alle galten als asozial.

In den Berichten „politischer Gefangener“wird geschildert, daß es in den Blöcken der „asozialen" Häftlinge an Ordnung und hygienischer Pflege gemangelt habe, daß es Probleme beim Bettenbau und der Stubenreinigung gab. Teilweise wird ihnen sogar mangelhafte Arbeitsleistung vorgeworfen.

                                       (das erste Konzentrationslager für Bettler, 1933)


Beispiele:


Es ist wenig bekannt geworden über die konkreten Menschen, die als "Asoziale" verfolgt wurden. Als einzige Informationsquelle stehen die Akten der Verfolger zur Verfügung. Im Folgenden nun einige Fälle aus diesen Akten, damit deutlich wird, daß es um konkrete Menschen und nicht um eine anonyme Gruppe geht.

E. ist ein arbeitsscheuer Mensch. Er zieht planlos im Land umher und lebt vom Betteln. Einer geregelten Arbeit ist er bisher noch nie nachgegangen. Die Allgemeinheit muß vor ihm geschützt werden."
Der Bettler kam 1941 im KZ Gusen um.

Die R. ist eine Prostituierte und insgesamt 67mal vorbestraft. Hierbei handelt es sich, mit wenigen Ausnahmen, um sittenpolizeiliche Delikte. Sie ist nicht berufstätig, sondern geht der Gewerbsunzucht nach. Dieserhalb bildet sie, da sie sich teils den Maßnahmen der Gesundheitsbe-hörden entzieht, in bezug auf die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten, eine große Gefahr. Infolgedessen ist sie daher im Hinblick auf Vorstrafen und Vorleben als asozial zu bezeichnen.“

Die Frau starb 1944 im KZ Ravensbrück.

Als "asozial" wurden aber auch junge Frauen, denen nicht unmittelbar Prostitution, sondern - meist mit der Formulierung "treibt sich herum" - nur wechselnde Männerbekanntschaften vorgeworfen wurden. So schrieb das Duisburger Gesundheitsamt eine 19-jährige zur Fahndung aus:
G. treibt sich nach wie vor herum. Sie ist ohne feste Wohnung, den Eltern ist ihr Aufenthalt nicht bekannt. Am 14.d.M. wurde sie abends in Soldatenbegleitung in der Altstadt gesehen. Das Mädchen ist unverbesserlich. Die Unterbringung in polizeilicher Vorbeugungshaft erscheint nunmehr dringend erforderlich.“


Die junge Frau starb im November 1942 in Ausschwitz, wohin sie im März 1942 vom KZ Ravensbrück aus deportiert worden war.  

Nach dem in Abschrift beigefügten Strafregisterauszug ist die Obengenannte seit dem Jahr 1922 25mal vorbestraft, und zwar wegen Übertretung sittenpolizeilicher Vorschriften, Betrugs, Unterschlagung, Landstreichens, Meineids und Beleidigung. Wegen dieser Straftaten zu mehr oder weniger hohen Freiheitsstrafen verurteilt, war sie außerdem zweimal, 12 und 18 Monate, im
Arbeitshaus Brauweiler untergebracht. Von 1935 bis 1943 stand die B. unter sittenpolizeilicher Kontrolle. Einer nutzbringenden Beschäftigung ist sie während dieser Zeit selten nachgegangen. Sie unterzog sich nicht regelmäßig den erforderlichen amtsärztlichen Untersuchungen und wurde dieserhalb, wie aus dem Strafregisterauszug zu ersehen ist, mehrfach gerichtlich bestraft. Die B.ist nach ihrem kriminellen Verhalten und ihrer Vorstrafen als asozial zu bezeichnen.“

Die 45jährige kam im September 1944 ins KZ Ravensbrück.


Erfassen - Sterilisieren - Vernichten


Die von den Fürsorgeverbänden seit langem geforderten Wanderbücher hatten die Funktion einer mitzuführenden Fürsorgeakte. Jeder ausgegebene Teller Suppe wurde eingetragen. Hintergrund war damals wie heute die Bekämpfung angeblichen Sozialmißbrauchs, d.h. die „Fürsorgeverbände" hatten Angst, jemand könne sich zwei Teller Suppe holen. Wanderer, die sich dieser strengen
Kontrolle unterwarfen, wurden bis 1938 noch geduldet. Die Verfolgung richtete sich in erster Linie gegen die „ ungeordneten Wanderer", welche die Obdachlosenasyle mieden und lieber im Freien „Platte machten". Wie trügerisch jedoch die Sicherheit der „braven" Wohnungslosen, die sich unterwarfen und die Wanderbücher führten, war, sollte sich 1938 zeigen
.
Die lückenlose Erfassung und Kontrolle war unverzichtbare Voraussetzung für die folgende Verfolgung und Vernichtung der Wohnungslosen.



Die vollständige „Ausschaltung" der Wohnungslosen, die schließlich im Sommer 1938 begann, setzte einige Zwischenstufen voraus. Bereits 1929 hatten die „Fürsorgeverbände" die Einführung von Wanderbüchern gefordert, um die Wohnungslosen besser kontrollieren zu können. In der Weimarer Republik war dies allerdings noch nicht durchsetzbar. Sofort nach dem Machtantritt der Nazis bekamen die „Fürsorgeverbände" aber ihren Willen. 



"Sterilisation vordringlich"



Von 1934 bis 1939 wurden allein im „Versorgungsheim" Farmsen, einem der vielen knastähnlichen
Obdachlosenheimen, 1.143 Insassen (800 Männer und 343 Frauen) zwangssterilisiert. Es gibt bislang keine Untersuchungen über die Gesamtzahl der zwangssterilisierten Obdachlosen. Die Zahl dürfte jedoch reichsweit bei mindestens 50.000 gelegen haben.



Grundlage war das sogenannte „Gesetz zur Verhinderung erbkranken Nachwuchses". Beim Erbgesundheitsgericht hielt man im September 1934 „ insbesondere die Sterilisation von Prostituierten und Wanderern für vordringlich".

Die „Wohlfahrtsverbände" mit ihren sogenannten „ Versorgungsheimen" und „Arbeiterkolonien", die nichts anderes waren, als knastähnliche Zwangsarbeitslager für Obdachlose, spielten nicht nur mit, sondern sie lieferten die notwendige Logistik für diese großangelegte Aktion. Schließlich hatten sie, nicht zuletzt durch die von ihnen geforderten Wanderbücher, eine lückenlose Kontrolle über die Obdachlosen, die sich ihnen ausgeliefert hatten.
Direktor Steigerthal, dem mehrere dieser Heime unterstanden, forderte kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes, dass „alle Insassen, die ärztlicherweise für sterilisationsreif gehalten werden und die Anstalt verlassen wollen, zwangsweise in den Wohlfahrtsanstalten zurückgehalten werden, bis das Erbgesundheitsgericht entschieden hat".

Neben den Wohlfahrtsanstalten spielte die Abteilung „Wohnungslose und Wanderer" bei der Fürsorgebehörde eine entscheidende Rolle bei der Erfassung der Wanderer, die dann zwangssterilisiert werden sollten.






Von der Bettlerrazzia zur Sicherungsverwahrung



Schon im ersten Jahr ihres Machtantritts planten die Nazis ihre erste große Razzia gegen Wohnungslose. Schon im Juli 1933 regte das wenige Wochen zuvor gegründete Reichspropaganda-ministerium eine im ganzen Reich einheitlich durchgeführte große Bettlerrazzia an, von der die Wohlfahrtsverbände im August 1933 vorab unterrichtet wurden. Diese erhoben keinen Widerspruch.

 Propagandistisch wurde diese Razzia, die schließlich Mitte September 1933 stattfand, gründlich vorbereitet. Die Presse wurde mit 'Richtlinien' versorgt, in denen ein ausdrücklicher, zynisch begründeter Zusammenhang zum gerade begonnenen Winterhilfswerk hergestellt wurde. In diesen Presserichtlinien heißt es unter anderem: "Weiterhin ist eine planmäßige Bekämpfung des Bettelunwesens auch aus psychologischen Gründen nicht zu unterschätzen. Wenn die oft in widerlich aufdringlicher Weise aus egoistischen Zwecken öffentlich zur Schau gestellte Not aus dem Gesichtskreis sowohl der werktätigen Bevölkerung, aus auch der Fremden und Ausländer, verschwindet, so wird damit ein gewisses Gefühl der Befreiung und Erleichterung, der Festigung der Verhältnisse und des wirtschaftlichen Vorwärtskommens gewährleistet."







Vom 18.bis 25. September 1933 veranstaltete die Polizei, unterstützt von SA und SS, im gesamten Reich eine sogenannte Bettlerwoche. Sie verhafteten Zehntausende Bettler und Landstreicher -beziehungsweise Leute, die für solche gehalten wurden. Allein in Hamburg wurden, teilweise direkt aus den Herbergen heraus, etwa 1.400 Personen bei dieser Razzia in „Schutzhaft" genommen. Die Presse lieferte durch eine Reihe von Hetzartikeln die als notwendig erachtete Rechtfertigung der Razzia.

Für die Zehntausende, die im gesamten Reich zu bis zu sechs Wochen dauernden Haftstrafen wegen Bettelns verurteilt wurden, reichten die bestehenden Haftanstalten natürlich nicht aus. Man eröffnete kurzfristig bereits geschlossene Haftanstalten und richtete an einigen Orten spezielle Bettlerhaftlager ein. In den Elmshorner Nachrichten erschien am 7.0ktober 1933 sogar ein Foto der im Lager Meseritz gefangenen Bettler. 'Das erste Konzentrationslager für Bettler' lautete die Überschrift. Die Zahl der Arbeitshausgefangenen im Reich stieg von 1700 auf über 4000 Personen an. Ab 1934 wurden die Strafbestimmungen gegen Bettler und Landstreicher erheblich verschärft. 

Aufgrund des neugeschaffenen §42d StGB, der „ Maßregeln zur Sicherung und Besserung" konnte eine zweite Arbeitshauseinweisung bei Rückfalltätern auf unbestimmte Zeit, also gegebenenfalls lebenslänglich erfolgen.


Soviel zur Entstehungsgeschichte der sogenannten Sicherungsverwahrung, deren Verschärfung auch heutzutage wieder gefordert wird.


„Aktion Arbeitscheu Reich”


Durch die Kriegsvorbereitungen war zwischen 1936 und 1938 die Arbeitslosigkeit beseitigt und in einen Arbeitskräftemangel umgeschlagen. Das Jahr 1938 brachte deshalb ein ganzes Bündel von Zwangsarbeitsmaßnahmen: unter anderem die allgemeine Dienstpflicht, Pflichtjahr für Mädchen, Meldepflicht für Schulabgänger, „Unterstützungsarbeit" für Arbeitslosengeldempfänger.

Bis 1938 wurden die sogenannten „ geordneten Wanderer" , also diejenigen Wohnungslosen, die sich der Kontrolle unterworfen hatten, geduldet. Damit war jetzt Schluß. Jetzt wurde Jeder ohne festen Wohnsitz als „ asozialer Volksschädling" verfolgt. Dabei waren es beileibe nicht nur Gestapo und SS, welche zur Hatz auf die Wohnungslosen bliesen. Häufig ging die Initiative von Arbeitsamt, Wohlfahrtsbehörde und Wohlfahrtsverbänden aus.

Wie sehr sich die Nazis bei der Verfolgung der „Asozialen" auf diese Institutionen verlassen konnten, zeigt ein Erlaß von Himmler aus dem März 1938. Dort heißt es: „ Der Präsident der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung hat die Arbeitsämter ange-wiesen, die arheitseinsatzmäßige Erfassung der Insassen von Herbergen, Wandererarbeitsstätten und sonstigen Einrichtungen der Wandererfürsorge notwendigen-falls durch polizeiliche Maßnahmen sicherzustellen...".
Auch der Leiter der Abteilung „Wohnungslose und Wanderer" beim Hamburger Sozialamt
regte ein hartes Durchgreifen gegen Wohnungslose an. So schrieb er zur gleichen Zeit: „ Die sich ungefähr gleichgebliebene Zahl im Polizeiasyl zeigt, daß sich immer noch eine ganze Reihe ungeordneter Elemente in Hamburg herumdrückt.Ich halte es für an der Zeit, in Zusammenarbeit
 mit den polizeilichen Stellen und dem Arbeitsamt hier Wandel zu schuften. Es müssen die polizeilichen Vorschriften gegen diesen Kreis verstärkt werden...".







Solche Forderungen trafen auf offene Ohren. So planten in Berlin die obersten Polizeistellen bereits den großen Schlag gegen die "Arbeitssaboteure". Im März 38 griff zunächst die Gestapo auf Befehl Himmlers zu. Kurz darauf wies Heydrich die ihm unterstellten Kriminalpolizeileitstellen an: „Ohne Rücksicht auf die bereits von Geheimen Staatspolizeiamt im März d.J. gegen Asoziale sind unter schärfster Anwendung des Erlasses von 14. Dezember 1937 in der Woche von 13. - 18. Juni 1938 aus jedem Polizeileitstellenbezirk mindestens 200 männliche arbeitsfähige Personen (asoziale)
in polizeiliche Vorbeugungshaft zu nehmen.“


Bei den zwei von Himmler und Heydrich veranlaßten Verhaftungsaktionen, die als „Aktion Ar-beitsscheu Reich" bekannt wurden, sind 1938 etwa 11.000 „Arbeitsscheue" verhaftet worden. Das war im Vergleich zu den ersten großen Bettlerrazzien im September 1933 eine eher geringe Zahl. Doch während 1933 die große Mehrzahl der Verhafteten mit ein paar Tagen Polizeihaft davon-kam, verschwanden jetzt alle Verhafteten in Konzentrationslager. Nur im Rahmen der sogenannten „Reichskristallnacht" hatte es eine größere Verhaftungswelle gegeben.

Die „Asozialen" stellten also neben den Juden die größte Häftlingsgruppe innerhalb der KZ.s. .







Leben im KZ


Es ist wenig bekannt geworden über das Leben der sogenannten „Asozialen" im KZ. Dabei waren diese in einigen Konzentrationslagern die weitaus größte Häftlingsgruppe. Im österreichischen Mauthausen waren circa 90% der Gefangenen sogenannte „Asoziale". Im KZ Sachsenhausen waren 1938 von 8500 Gefangenen etwa 6000 sogenannte „Asoziale" . In Buchenwald sah es ähnlich aus.

Klar ist, die Gefangenen mit dem Schwarzen Dreieck wurden zu den härtesten und gefährlichsten Arbeiten herangezogen.Die Todesrate unter den sogenannten „Asozialen" war extrem hoch. „Vernichtung durch Arbeit" lautete das Motto. 
Nur ganz wenige der sogenannten „Politischen" haben sich solidarisch mit dem Schicksal der „Asozialen" auseinandergesetzt. Einer von ihnen war Alfred Bunzol. Er schrieb über die Einlieferung der sogenannten „Asozialen" in das KZ Buchenwald:




 „Unsere Lagerbelegschaft stieg in diesen Wochen gewaltig an. Wochenlang luden die Schubautos Hunderte von neuen Opfern des Faschismus auf dem Ettersberg aus. Viele waren schon verwundet von den Schlägen der Weimarer Polizei. Sie wurden so den schwersten Arbeiten zugeteilt. Nun setzte sofort unsere antifaschistische Arbeit unter diesen neuen Kameraden ein. Jeder von uns erhielt den Auftrag, drei dieser Neuzugänge, die direkt aus der sogenannten Freiheit kamen, über die Lage in Deutschland auszufragen. Dadurch erfuhren wir allerhand aber die Stimmung der Bevölkerung. Was die Arbeitsscheuen in Weimar von der Polizei noch nicht bekommen hatten(gemeint sind hier Prügel) das wurde ihnen in Buchenwald durch die SS in überreichlichem Maße zuteil. Man brachte sie in einem halbfertigen Gebäude, 
der späteren Wäscherei, unter. Niemand durfte sich ihnen nähern. Trotzdem haben wir Wege zu ihnen gefunden , um sie zu informieren, wo sie sich befanden und wie sie sich zu verhalten haben.

 Einige davon hatten nämlich versucht, sich gegen die Mißhandlungen zur Wehr zu setzen. Sie wurden kurzerhand erschossen."







Augenzeugenbericht: Die „ASO"-Aktion


Im Mai 1938 kommen Gerüchte auf, daß die SS Pläne für industrielle Anlagen in der Nähe des La-gers habe. Aus dem Baubüro heißt es, der Bau einer Großziegelei sei in Aussicht genommen. Anfang Juni werden im Lager Vorbereitungen zur Aufnahme von Zugängen getroffen. Die Häftlingsbekleidungskammer wird bis in den letzten Winkel vollgepackt. Wir erhalten Wäsche, Fußlappen und Holzschuhe, sogenannte Holländer.

Die Markierungsstreifen an Rock und Hose sind inzwischen abgeschafft und durch kleine farbige, gleichschenklige Dreiecke ersetzt worden, den sogenannten Winkel unter den die Häftlingsnummer aufgenäht werden muß. Wir werden hellhörig, als neuer brauner Stoff für die Markierung von Häft-lingskleidung angeliefert wird. Es sieht ganz danach aus, als solle eine neue Häftlingskategorie ein-geführt werden. Alle diese Anzeichen lassen darauf schließen, daß SS und Gestapo eine neue Verhaftungskampagne eingeleitet haben. Gegen wen, wissen wir noch nicht. Auf jeden Fall könnte die Lagerkommandantur dabei auch ihr Problem benötigter Arbeitskräfte für den neuen SS Betrieb lösen.




Am 16. Juni 1938, in später Nachtstunde, kommt ein großer Transport in Sachsenhausen an. Von da an - eine Woche hindurch - müssen die Zugänge Tag und Nacht aufgenommen werden. Insgesamt sind es fast 6000 Männer Die SS führt sie unter der Bezeichnung „Asoziale" (AS0s). Sie erhalten einen braunen Winkel. Jetzt gibt es an großen Häftlingskategorien „Grüne", „ Rote" und „ Braune".
Später wird die Farbe Braun für ASOs gegen Schwarz ausgetauscht.







Was waren das für Menschen, die über Nacht als „Asoziale" ins Konzentrationslager verschlepp
worden waren? Unter ihnen gab es Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und nichtor
ganisierte Arbeiter, die nach 1933 aus ihrem Betrieb hinausgeworfen worden und dann beim Bau der
Autobahnen untergekommen waren. Als sie dort für bessere Arbeitsbedingungen eintraten, wurden
sie wegen "Störung des Arbeitsfriedens" festgenommen.
Wer in der Weimarer Zeit an Zusammenstößen mit der SS und SA beteiligt war,wurde wegen " Rauf-handels", wen an vor jüdischen Geschäften stehenden SA-Männern vorbei- und ins Geschäft ging, wegen "Widerstandes" verhaftet.



Unter den Zugängen befanden sich etwa 900 Juden. Es handelte sich vor allem um Menschen, die gegen die von den Nazis erlassenen antijüdischen Gesetze verstoßen hatten. Betroffene waren zum Beispiel Brautleute, die ihre Verlobung nicht auflösen wollten und sich heimlich trafen. Ins Lager kamen Zigeuner, weil sie Zigeuner waren; Bettler, auch wenn sie einen festen Wohnsitz hatten; Landstreicher, weil sie keinen festen Wohnsitz hatten; Zuhälter, wenn sie verdächtigt, aber nicht
über führt waren und somit nicht dem Richter vorgeführt werden konnten.

Vorwand für die Einlieferung ins Konzentrationslager konnte auch eine Strafe von einem Monat Gefängnis sein oder eine Geldstrafe,die der Gefängnisstrafe von einem Monat entsprach.Wer wegen Trunkenheit oder als Prügelheld bestraft war, wer seine Alimente nicht regelmässig bezahlte, wer sich überhaupt auf irgendeine Weise der Einordnung in die „Volksgemeinschaft“ widersetzte, wer diesem oder jenem Nazi nicht gefiel, konnte als „Asozialer“ festgenommen werden. 
Hinzu kamen zerbrochene, am Leben verzweifelnde, kranke und verkrüppelte Menschen, um die sich die soziale “Fürsorge hätte kümmern müssen.








Die Zugänge müssen sich in der Wäscherei entkleiden, werden dort geschoren - Kopf- und Schamhaare - und registriert
.
Die Prozedur zieht sich endlos hin. Körperbehinderte, Geistesverwirrte, die jammernd ihre Unschuld beteuern,und protestierende Häftlinge werden sofort von SS -Leuten rasend verprügelt. Sie treiben uns zur Schnelligkeit an und erschweren selbst den zügigen Ablauf der Registrierung.

     




Als die ersten hundert Zugänge nackt in der Baracke stehen, kommt Lagerkommandant Baranowski und läßt sie in die Nacht hinaustreten. Draußen steht der Bock. 

Baranowski bestimmt zehn Häftlinge, die nacheinander ausgepeitscht werden. Die Neuen sind starr vor Entsetzen. nur das Schreien der Gemarterten gellt
uns in den Ohren. Ist das Opfer bewußtlos geworden, hört man nur noch  den Ochsenziemer auf den Körper klatschen. 

Baranowski läßt kaltes Wasser bringen, womit die Besinnungslosen übergossen werden.
Dann verkündet er, daß diese Strafe künftig bei dem geringsten Vergehen verhängt werde.

Bei jedem dieser neu eintreffenden Transporte wird eine solche Abschreckung veranstaltet; willkürlich ausgesuchte Opfer erhalten 25 Stockhiebe.
 Auch wenn Baranowski nicht dabei ist, wird den Zugängen das Auspeitschen vorgeführt.
 Die Opfer werden durch Abzählen ausgesucht mal jeder zehnte, mal jeder fünfte
oder auch und zwanzigste.

So wiederholt es sich,und die Neuen, von Entsetzen erfaßt, laufen zurück in die Wäscherei

In diesem Chaos ist es uns unmöglich, auch nur annähernd passende Kleidung und Schuhe auszugeben. So laufen viele in zu großen oder zu kleinen Sachen herum,werden zum Gespött oder zum Spielball der SS. Zum Schluß ist die Häftlingsbekleidungskammer leergefegt. Es kann also nichts getauscht werden. Am schlimmsten ist es mit den Schuhen, die nur in wenigen Fällen passen. Schon nach einigen Tagen sind die Füße wund. So läuft mancher lieber barfuß.

Die Blockältesten versuchen, Schuhe und Kleidung gegenseitig austauschen zu lassen.  Das macht aber Schwierigkeiten, weil mancher glaubt, sich dadurch etwas Schlechteres einzuhandeln. Bald entwickelt sich ein reges Tauschgeschäft, das mancher Geschäftemacherei den Weg freigibt. In diesem Maßstab ein neue Problem für uns, das uns noch manches Kopfzerbrechen bereiten wird.

Ein weiteres Problem, das die Verhältnisse im Lager wesentlich veränderte, war die Unterbringung der 6000 Neuen.Die Wohnbaracken waren für je 146 Mann vorgesehen. Die Blocks des ersten und einige de zweiten Ringes blieben vorläufig mit dieser Stärke belegt.

Aber die Baracke des dritten und vierten Ringes wurden jetzt als Massenblock
mit jeweils etwa 400 Häftlingen eingerichtet. Im Schlafsaal mußte man sich helfen,
indem die Bettgestelle ausgeräumt und halbgefüllte Strohsäcke auf die Erde gelegt
wurden. Auch alle anderen Einrichtungegenstände wie Tische, Hacker, Spinde waren
für 146 Mann bestimmt. Sie wurden jetzt von zweieinhalb- bis dreimal mehr Menschen
benutzt. In einem Spind, vorgesehen für einen Mann, in dem sich zur Not noch zwei einrichten konnten, mußten nun vier oder fünf Menschen versuchen, ihre Sachen unterzubringen.
An einem Tisch, der normalerweise für zwölf bis vierzehn Mann Platz bot, mußten jetzt dreissig Männer und mehr um einen Platz kämpfen. Wer alt, krank oder langsam war, kam überall beim Wettlauf nach dem Trinkbecher, der Eßschüssel oder dem Löffel ins Hintertreffen.

Bei jeder Mahlzeit gab es ein fürchterliches Gedrängel in den schmalen Gängen vor den Spin-
den. Man griff zur nächsten erreichbaren Eßschüssel und zum Löffel. Die Letzten
blieben mit leeren Häinden zurück, warteten, bis jemand seine Schüssel geleert hatte.
Blockälteste,die verantwortungsbewußt waren, hielten immer einige Essgeschirre für den Not-
fall bereit. Den Zustand ändern konnten sie jedoch nicht. Die Brotrationen mit den dazugehörigen
25 Gramm Margarine oder Blut-oder Leberwurst wurden meist sofort im Stellen verschlungen.
Etwas für den nächsten Tag zurückzulegen, war unmöglich.Man stand dichtgedrängt im Tagesraum
herum, immer darauf bedacht, vielleicht doch einen Sitzplatz zu erkämpfen. Bei einigermaßen trockenem Wetter zogen die Neuen durchs Lager, um irgend etwas zu ergattern, eine Zigarettenkippe,eine rohe Kartoffel; oder sie wühlten in den Küchenabfällen nach irgend etwas
Eßbarem, nach Kartoffel-oder Rübenschalen oder Gemüseresten. Jeder Knochen wurde, obwohl bis zum letzten ausgekocht, nochmals abgenagt.
Jeden Morgen begann ein Kampf um Röcke und Hosen. Am schlimmsten war es mit Schuhen.
In dem ständigen Chaos passierte es immer wieder, daß Schuhe verlorengingen oder jemand
zwei linke oder zwei rechte Schuhe erwischte. Fusslappen oder Strümpfe gingen überhaupt verloren. Wer dann barfuss in den derben Schuhen gehen musste, lief sich immer wieder die Füße wund.Blutende und eiternde Wunden waren die Folge. Dann wurden Handtücher oder Wäsche zerrissen und um die Füße gewickelt. Wer damit aber bei der Kontrolle erwischt wurde, bekam erbarmungslos Prügel.



(Die berüchtigte "Todesstiege" des KZ Mauthausen, über die Häftlinge schwere Granitsteine aus dem Steinbruch schleppen mussten.)


"In Mauthausen war es sehr schlimm. Ich mußte im Steinbruch - er hieß Wiener Graben - Sklavenarbeit leisten und zusammen mit anderen Häftlingen, darunter viele Kinder, tagtäglich Steine schleppen. Es war Winter, und wir trugen Holzschuhe ohne Strümpfe. Die Kälte war kaum auszuhalten, und immer wieder mußten wir die berüchtigte Todesstiege hoch. Manch einer hat sich von oben in die Tiefe gestürzt. weil er es nicht mehr aushalten konnte. Oft haben die SS-Männer entkräftete Häftlinge in die Tiefe gestoßen. In Mauthausen habe ich einen Finger an der Spitzma-schine verloren, wo die Steine gebrochen wurden. Da wir keine Handschuhe trugen, hatte ich vor Kälte überhaupt kein Gefühl mehr in den Händen. Später mußte ich auf dem Bahnhof Zementsäcke tragen. Dabei habe ich mir eine leere Tüte organisiert und sie mir ins Kreuz unter den Häftlingsanzug gelegt, weil ich Schmerzen hatte. Als der Scharführer dies beobachtet hat, hat er mir 25 Hiebe gegeben - bloß wegen einer kaputten Tüte. Mißhandlungen und Willkür waren an der Tagesordnung. Einmal wurde ich mit nach hinten gestreckten Armen an einen Pfahl gehängt: eine der grausamen Foltermethoden, die sich die SS für uns Häftlinge ausgedacht hat."


(Anton Bomberger )



   

Frische Wasche gab es in der Wäscherei nur im Tausch, Stück gegen Stück. So hatten die Wäsche-und Häftlingsbekleidungskammer sowie die Schneiderei vollauf zu tun, das Defizit auf eigene Faust und mit edigenen Mitteln irgendwie wieder auszugleichen.
Ganz schlimm war es in den ersten Wochen. Es gab nicht genug Mützen, so daß hunderte von Häftlingen den ganzen Tag in der prallen Hitze ohne Kopfbedeckung blieben.
Viele bekamen den Sonnenbrand, und da nichts dagegen unternommen wurde, bildeten sich
Blasen, die Haut löste sich, und die Sonne brannte auf das rohe Fleisch.

 Der Kopf schwoll zur Unförmigkeit an, die Augen quollen zu, so daß die betroffenen Häftlinge 
von anderen geführt werden mußten. Um sich vor Sonnenbrand zu schützen, wickelten sich die kranken Häftlinge Handtücher um den Kopf.
Als Lagerkommandant Baranowski eines Tages die beturbanten Köpfe entdeckte, bekam er einen Wutanfall. Schreiend stürzte er sich mit seinen SS - Leuten auf die kranken Männer und schlug sie zusammen

Auf Befehl der Lagerführung durfte tagsüber ausser dem Stubendienst kein Häftling den Block betreten. Hielt nun der Blockälteste diesen kranken Menschen in der Baracke zurück, kamen die SS-Blockführer und prügelten alle, die Kranken, den Blockältesten und den Stubendienst aus der Baracke. Sie ließen sie rollen, hüpfen und stundenlang vor dem Block sitzen.


Normalerweise wusch sich jeder Häftling mit entblößtem Oberkörper. Wenn es auch immer eilig
ging und der Platz beengt war, man konnte sich waschen und die Zähne putzen. Das änderte sich aber für die Häftlinge in den Massenblocks. An den Waschfontänen konnte sich in der zur Verfügung stehenden Zeit nur ein Bruchteil der Blockbelegschaft einen Platz ergattern. Seife und Zahnputzmittel mußten in die Tasche gesteckt werden. Legte man etwas aus der Hand, war es blitz-schnell verschwunden.
Je beschwerlicher das Waschen wurde, um so mehr drückte man sich davor Wo kontrolliert wurde, ob die Handtücher auch zum Abtrocknen benutzt worden waren. lieferte irgendein Wasserhahn die zur Tarnung nötige Feuchtigkeit. Besonders schlimm war, daß die Klobecken auch nicht annähernd ausreichten. Vor jedem Klo bildete sich ständig eine Schlange, aus der beschwörend oder schimpfend zur Eile angetrieben wurde.


Die ständig auseinanderstrebende Masse der Häftlinge mußte jedoch so zusammengebracht werden, daß sie rechtzeitig und vollzählig zum Appell antreten konnte. Das verlangte eine viel stärkere Auf merksamkeit vom Stubendienst als bisher. Alles im Lager war dem Zählappell untergeordnet und mußte zurückstehen. An einen Bettenhau in der bisherigen Form war in den Massenblocks nicht mehr zu denken. Strohsäcke und Decken mußten zwar ordentlich auseinandergelegt werden, aber das besorgte in erster Linie der Stubendienst. Nicht einmal den SS -Blockführern. die die Leute den ganzen Tag im Lager hin- und hertrieben und auf sie einschlugen, gelang es, sich die apathische und widerspenstige Masse von Menschen gefügig zu machen.


Beim Ausschachten des Kellers für die Kantinenbaracke wurden dann mehr als 2000 Häftlinge eingesetzt. Ein großer Teil der Häftlinge mußte eine Kette zum Abtransport der Erde bilden. Der Rock wurde verkehrt, mit dem Rücken nach vorn angezogen und so gehalten, daß eine Schaufel Sand aufgenommen und an eine entferntere Stelle getragen werden konnte. So ging das im ermüdenden Zug durch knöcheltiefen Sand, den ganzen Tag im Kreis herum. In Abständen standen Häftlinge, die darauf achten mußten, daß das Tempo eingehalten wurde. Kamen Blockführer und versuchten, mit Knüppeln und Fußtritten zum Laufschritt anzutreiben, ließen die Nächststehenden den Sand fallen und liefen auseinander


Die Blockführer gaben bald auf und machten dann Jagd im Lager auf bestimmte Häftlinge, die sie für interessante Typen hielten. Da waren zum Beispiel der größte Häftling, mehr als zwei Meter groß, der kleinste Häftling, 1,18 Meter. Auf Anweisung von Baranowski mußten die beiden immer zusammenbleiben. Sie schliefen zusammen; wenn der eine zum Klo mußte, stand der andere daneben. Wohin sie auch immer gingen, was sie auch immer taten - sie durften sich nicht trennen. Eine zeitlang beschäftigten sich die SS-Blockführer mit ihnen, bis es ihnen langweilig wurde und die beiden Ruhe hatten. Ein anderer, auch über zwei Meter großer Mann, hatte eine ungewöhnliche Rückgratverkrümmung. Das erweckte das Interesse der SS - Ärzte, und es dauerte nicht lange, dann hatten sie sein Skelett in der Anatomie zur Ansicht ausgestellt.  




                                                  ( Steinbruch Mauthausen... an der Todesstiege )



Die Schwierigkeiten des Lagerlebens im Sommer 1938 wurden noch vermehrt durch viele Körper-
behinderte, Epileptiker, Geistesverwirrte und eine große Zahl schon in den ersten Tagen Erkrankter Im Krankenhaus wurden sie nicht aufgenommen. Ein Arbeitskommando gab es nicht für sie.
Im Block durften sie sich auch nicht aufhalten. So drückten sie sich im Lager herum und regten
durch ihre Hilflosigkeit in besonderem Maße den Sadismus der SS-Leute an. Um diese Menschen dem Blickfeld der SS zu entziehen, erfand die Häftlingsschreibstube eine Notlösung.

Der 1. Lagerälteste, Oskar Müller, faßte alle im Augenblick nicht arbeitsfähigen Häftlinge in einem
Kommando zusammen und unterstellte sie dem 3. Lagerältesten, Hans Dzuber. Hans, ein Hambur-
ger Genosse, nahm einen noch nicht belegten Barackenkeller in Anspruch, besorgte Ziegelsteine
und Bretter, die er zu Sitzgelegenheiten machte und setzte das ganze Kommando in den Keller,
der wenigstens wettergeschüzt war. Als Arbeitsmaterial wurden rote Ziegelsteine in Stücke ge-
schlagen und durch Aneinanderreihen pulverisiert. Das sollte ein Putzmittel für unsere Eßbestecke
sein.

Die SS sprach von dieser Kellerbelegschaft nur als vom „ Dachschadenkommando". Die meisten
SS-Leute, die dort eindringen wollten, kehrten schon an der Tür wieder um. Es war nicht nur das
Bild der Kranken, sondern der Gestank und die staubige Luft, die ihnen entgegenschlug. Viele dieser Häftlinge litten an Darmkrankheiten. Überall lagen Menschen auf dem nassen Zementfußboden. Vor Entkräftung zusammengebrochen, wälzten sie sich im eigenen Kot.
Andere saßen lächelnd vor sich hinstarrend und lallten unverständliche Worte. Einer stand auf
einem Ziegelhaufen und redete über seine Heldentaten bei den Kämpfen in Südwest-Afrika. Ein
anderer rief stundenlang, ununterbrochen mit lauter monotoner Stimme: „ Oh, oh, ooh, ich habe ja
gar nichts getan. Das war ja der große Hamburger Oh, oh, ooh, ich habe ja gar nichts getan. Das war ja der große Hamburger"
 Wieder andere stritten sich um Kleinigkeiten.

Es war ein herzzerreißendes Bild. Jeden Tag starben Menschen in diesem Elendskeller Erst nach und nach gelang es, diese Leute bei den Kartoffelschälern, Gemüseputzern, Strumpfstopfern und bei anderen leichter Arbeitenden unterzubringen. Das Kellerkommando wurde langsam kleiner und konnte auch sonst besser versorgt werden.

In der Zeit der ASO-Aktion kam von höheren Dienststellen die Anweisung, daß ab I. Juli 1938 in den Sterbeurkunden auch die bzw. eine Todesursache angegeben werden mußte. Von 1936 bis zu diesem Zeitpunkt geschah das nicht. Bei Häftlingen, die den Tod durch Gewaltmaßnahmen der SS fanden, wurde aber nicht die wahre Todesursache angegeben. Da hieß es dann: Herzkranzgefäßverkalkung, Lungenentzündung, Blutvergiftung, Magenkrebs, Wassersucht, Darmerkrankung usw .

In der Anatomie hing später eine Tafel, auf der die Namen von Krankheiten vermerkt waren,

die als Todesursache angegeben werden konnten. Anfangs konnten Familien ihre Toten überführen lassen. Es gab auch Falle, in denen der Tote in der Garage vor dem Lagertor aufbewahrt und für die Besichtigung durch Angehörige freigegeben wurde. Da das aber zu Komplikationen führte, wenn die Angehörigen Anzeichen von Gewaltanwendung entdeckten oder gar ihren Toten nicht wiedererkannten, wurde in der Folge der Familie nur noch die Asche des Toten zugestellt.  



---- ENDE DES ERSTEN TEILES ----


** Im zweiten Teil: Die vergessenen Lager (PrivatKz usw.), Zigeunerlager, Verfolgung "asozialer" Frauen**

G.L.


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