Was ein
Konzentrationslager war, das entscheiden hierzulande nicht
HistorikerInnen, schon gar nicht große Teile der Bevölkerung, das
entscheidet der Gesetzgeber. Dieser hat die offizielle Definition der
Nazis übernommen. Was die Nazis nicht als KZ definierten, gilt auch
heutzutage nicht als KZ. Dies ist nicht nur eine historische
Ungenauigkeit, sondern es geht um handfeste materielle Interessen.
Wenn überhaupt, dann erhalten nur diejenigen eine Entschädigung,
die in einem „offiziellen" KZ waren. Tatsächlich waren
Deutschland und die besetzten Gebiete von einem dichten Netz von
Zwangslagern überzogen. In diesem Beitrag beschränken wir uns auf 3
Typen dieser Lager: die „Arbeitserziehungs-"., „Jugendschutz-"
und ,,Zigeunerlager".
Privat-KZ`s
Die Initiative zur
Errichtung von „Arbeitserziehungslagern" ging nicht von
staatlichen oder NS-Institutionen aus. Es waren Privatfirmen, wie
z.B. die Baufirma Hochtief die zu Beginn des Jahres 1940 „
Erziehungslager für Arbeitsuntreue" bzw.
„Arbeitserziehungslager" für „renitente" deutsche und
vor allem ausländische Arbeiter errichteten.
Bis zu diesem
Zeitpunkt waren ArbeiterInnen, die gegen die „Arbeitsdisziplin"
verstoßen hatten, ins KZ verschleppt worden. Von dort kamen die
wenigsten zurück. Es war nicht Menschenfreundlichkeit, sondern
schlichter Arbeitskräftemangel, der die Firmen dazu bewog, eigene
Lager einzurichten, wo man die „Delinquenten" zwar nicht
drangsalieren, aber nach erfolgter „Umerziehung" als
Arbeitskräfte behalten konnte.
Natürlich nur, wenn sie die Torturen
in diesen ,Arbeitserziehungslagern" überlebt hatten. Himmler
fand diese Idee so gut, daß er im März 1940 anordnetete, 613 „
Arbeitskräfte polnischen Volkstums" bei „ Ungehorsam und
Arbeitsunlust" in ein derartiges „Arbeitserziehungslager"
einzuweisen seien, das nun jedoch von der Gestapo bewacht werden
sollte. Für „hartnäckig Arbeitsunlustige" sei dagegen, „zum
Beispiel eine Beschäftigung in den Steinbrüchen des Mauthausen
angebracht."
Das Beispiel machte
Schule. Viele Firmen errichteten nun solche Lager. Die
Haftbedingungen in diesen Lagern unterschieden sich kaum von denen
„offizieller KZ"s".
Jugendschutz?
Dies trifft auch auf
die sogenannten „Jugendschutzlager" zu. Auch hier handelte es
sich um eine verlogene Bezeichnung. Schließlich dienten diese Lager
keineswegs dem „Schutz" der Jugendlichen, sondern ihrer
brutalen Disziplinierung,rücksichtsloser Ausbeutung und
rassenideologischen Selektion.
Die Pläne zur Errichtung von
Jugendschutzlagem standen im engen Zusammenhang mit den Bestrebungen
Himmlers, die alleinige Zuständigkeit für die Bekämpfung und
Bestrafung von sogenannten „Asozialen" nach
„kriminalbiologischen Kriterien" zu gewinnen. 1940 wurde das
„Jugendschutzlager Moringen" für männliche Jugendliche
eingerichtet. 1942 entstand in der Nähe des KZ Ravensbrück das
„Jugendschutzlager Uckermark" für weibliche Jugendliche. Ende
1942 wurde in Lodz ein sogenanntes „ Polen-Jugendverwahrlager"
gebaut. Die Haftbedingungen dort waren noch schlimmer als in den
beiden deutschen Lagern.
( KZ Moringen)
In die Lager
Moringen und Uckermark wurden Jugendliche zwischen 16 und 21 Jahren
eingewiesen, die als „asozial" and „kriminell"
eingestuft worden waren. Die Jugendlichen kamen zunächst in den
B-(Beobachtungs)Block. Hier wurden sie umfangreichen
„kriminalbiologischen" Untersuchungen unterworfen. Von diesen
hing es ab, in welchen Block sie kamen. Die Blocke waren so
aufgeteilt: U(untauglich), S (Störer), D (Dauerversager), G
(Gelegenheitsversager) und F (fraglich erziehungsfähig).
Nur diejenigen, die
in den „G" oder „F"-Block kamen (etwa 6-8%), hatten
eine reelle Chance, später zum Reichsarbeitsdienst oder zur
Wehrmacht „entlassen" zu werden. Die Übrigen wurden bei
Erreichen der Volljährigkeit ins KZ deportiert oder im Zuge der
„Euthanasie-Aktion“ ermordet.
z.B. Fernando Molde
Die Mutter des am 27.06. 1923 in Bremen geborene Fernando Molde stirbt im Januar 1938.Dieser Verlust bestimmt seinen weiteren Lebensweg. Mit der zweiten Ehefrau des Vaters kommt der Junge nicht zurecht, er empfindet ihr Verhalten als offene Ablehnung.
Im März 1938 beginnt Fernando eine Bäckerlehre. Bei Kost und Logis lebt er im Haus des Lehrherrn.Während der Arbeit ist er der Bevormundung, den ständigen Schikanen und häufigen Schlägen des Meisters ausgesetzt. Fernando verlässt erstmals die Arbeitsstelle, traut sich nicht zurück ins Elternhaus und lebt für einige Tage auf der Strasse. Der Jugendliche wird von der Polizei aufgegriffen.
Nach der Rückkehr in den Lehrbetrieb verschärfen sich die Probleme im Haus des Bäckers. Fernando verlässt ein zweites Mal den Arbeitsplatz, als es wegen der langen Wochenendarbeit zu Auseinander-setzungen kommt und sich der Konflikt nicht beilegen lässt. Er lebt wiederum auf der Strasse. Nach der erneuten Verhaftung wird der Junge in Verhören bei Polizei und Jugendamt erstmalig als "Arbeitsscheuer" und "Asozialer" bezeichnet. Er wird in die Heimerziehung überwiesen.
Obwohl sich der Jugendliche dort wohlfühlt, hat das Jugendamt Bremen im Herbst 1940 eine andere Massnahme eingeleitet: Fernando wird mit der Lagernummer 94 ins Jugend-KZ Möringen eingewiesen.
Fernando Molde ist am 29.April 2001 gestorben. Bis zum Tod war er Sprecher der Überlebenden des Jugend KZ Moringen.
z.B. Katharina Anders
(Gestapofoto zu Katharina Anders)
Als Katharina Anders, geborene Sommer, am 27.01.1924 in Wien geboren wird, sind die Eltern bereits geschieden. Katharina vermisst schon früh das Gefühl der Geborgenheit, da sie einmal bei der Mutter, dann wieder in der neuen Familie des Vaters leben muss.
Das Mädchen fällt den NS-Behörden auf, weil es im Jahr 1939 eine Stelle als Gehilfin in einem jüdischen-christlichen Haushalt annimmt. Bei einer Vorladung erfolgt die Ermahnung " ..dass ein deutsches Mädel nicht bei Juden zu arbeiten habe.." Die Wienerin erklärt, dass sie keine Deutsche sei. Sie wechselt gezwungermassen den Arbeitsplatz - ihre Aussage wird in den Akten registriert.
Wenig später sind Spannungen und Differenzen über die Freizeitgestaltung und das abzugebende Haushaltsgeld für die Mutter Anlass, Katharina in ein Erziehungsheim zu schicken. Die Jugendliche ist verzweifelt! Im Heim kommt es nach einem gescheiterten Fluchtversuch mit anderen Mädchen zur Rebellion. Sie zerstören Hitler-Bilder und fertigen Zettel mit der Aufschrift "Heil Moskau". Dies wird entdeckt und Katharina im Alter von 16 Jahren wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt.
Bei der Entlassung nach der Haft in einer Einzelzelle erhält Katharina die Auflage, die Stadt nicht zu verlassen. Daran hält sie sich nicht. Das Mädchen wird in ein Heim eingewiesen.Dort kommt es zu weiteren Auseinandersetzungen, den Heimleiter bezeichnet sie als "Nazi-Schwein.". Wenig später folgt die Einweisung in das Jugend-KZ Uckermark.
(Erinnerungspfad zum KZ Uckermark)
Zigeunerlager
Die Verfolgung der
Sinti und Roma stellte einen Sonderfall in der Verfolgung der
sogenannten "Asozialen"dar. Hier vermischte sich die
Verfolgung nicht-norm-gerechten Verhaltens mit Rassenwahn. Im
Gegensatz zu den Konzentrations-, Arbeitserziehungs- und
Jugendschutzlagern
wurden die
Zigeunerlager in der Regel nicht von zentralen Stellen, sondern von
kommunalen Behörden errichtet. Dem Kölner Lager in Bickendorf kam
dabei eine Vorreiterrolle zu. Dies belegen Anfragen aus anderen
Städten, in denen davon die Rede ist, „ entsprechend der Kölner
Regelung zu verfahren.“
Während der
sogenannten Weltwirtschaftskrise waren in Köln zahlreiche „wilde
Siedlungen" entstanden.
Diese Siedlungen
stellten für die Nazis ein schweres sicherheitspolitisches Problem
dar.
Dies belegen Zitate
aus Verwaltungsunterlagen. Dort heißt es unter anderem: „ Viele
von denen, die so hausten, hatten ein Interesse daran sich aus der
Volksgemeinschaft zu entfernen..."
und weiter :
„Was sie auch
trieben, sie wollten dabei ungestört sein; natürlich waren sie auch
kommunistisch verseucht..."
(Kölner "Zigeunerlager" Winter 1937)
Überlegungen zur
Errichtung eines zentralen Sammelplatzes waren bereits 1929 von der
Kölner Polizei angestellt worden. Dies wurde mit „ allgemeiner
Unsicherheit und Verunstaltung des Strassenbilds" begründet.
(Die Planungen begannen also vor 1933 und die Verfolgung endete auch
nicht 1945. Wir werden später noch dazu kommen).
Am 24.4.1935 war das
Lager an der Venloer Strasse, das wegen seiner Nähe zum
gleichnamigen Sportplatz auch Schwarz-weiß-Lager genannt wurde,
fertiggestellt. Eingezäunt und mit einer Wachbaracke für den
Aufseher versehen. Innerhalb von sieben Monaten waren alle „wilden
Siedlungen" auf städtischen Grund geräumt.Auch Siedlungen auf
privaten Grundstücken wurden geräumt,selbst wenn die Besitzer nicht
zustimmten. Auch Sinti und Roma, die in festen Wohnungen lebten,
wurden in dieses Lager eingewiesen, sobald sie beim Wohlfahrtsamt
Unterstützung beantragten.
Lagerverhältnisse
Die Verhältnisse im
Lager ähnelten in vielem dem, was wir auch heute an
Flüchtlingslagern kritisieren:
Gutscheine statt
Bargeld, später nur Naturalien;
Aufenthaltsbeschränkungen;
Zwangsarbeit; miserable Wohnverhältnisse (so lebten durchschnittlich
8 Menschen auf 9 qm) eine strenge Lagerordnung mit Wachdienst. In
Köln hatte das Wohlfahrtsamt den SS-Mann Willi Schmidt zum
Lagerverwalter bestellt. Häufige Polizeirazzien dienten der
Einschüchterung der Lagerinsassen.
Bis 1937 war nur ein kleiner Teil
der Familien auf „Fürsorge“angewiesen. Die anderen verdienten ihr Geld als Musiker oder Strassenhändler
Damit
war nun Schluss. Ab 1937 blieb die Kette vor dem Eingang des
Zigeunerlagers verschlossen. Es herrschte nachts „Ausgehverbot".
In der Kölner Presse mehrten sich die Artikel, die
Zwangssterilisation und „Sicherungsverwahrung oder eine andere Form
der Asylierung" forderten.
(Razzia am "Schwarz-Weiss "Lager - Foto: Bundesarchiv))
(FrauenKZ Ravensbrück)
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Nachbemerkungen: Ich (G.L.) bin gefragt worden, wozu denn diese Dokumentation gut sein soll. Beinahe alles ist ja schliesslich schon veröffentlicht worden. Das stimmt, schliesslich stammt das meiste Material aus dieser Doku aus Veröffentlichungen von Wolfgang Ayaß. Die Informationen über das Zigeunerlager in Köln stammen aus dem Buch von Carola Frings und Frank Sparing. Und es stimmt dann doch nicht, denn wer hat schon diese Bücher gelesen.
Die Aufgabe dieser Dokumentation sehen wir nicht darin, neue historische Wahrheiten zu verbreiten, sondern eine breiteren Öffentlichkeit herzustellen.
Die Verfolgung der so genannten "Asozialen" hat hierzulande eine traurige Kontinuität.Bettler*innen wurden schon in der Weimarer Republik inhaftiert und in Arbeitshäuser gesteckt. Auch nach 1945 ear Landstreicherei strafbar. Und auch heute noch, werden Bettlerinnen und Bettler mit Platzverweisen und Innenstadtverboten belegt.
Viele der Täterinnen und Täter von damals in den Fürsorge-und Gesundheitsämtern blieben in Amt und Würden.
Zwangsarbeitsprogramme kommen mehr und mehr in Mode. Ich will hier nichts relativieren, aber die Nazis haben oft nichts Neues praktiziert, sondern nahtlos an die Verfolgungsmechanismen ihrer "demokratischen" Vorgänger anknüpfen können. Viele Fürsorgeämter, viele sozialdemokratisch besetzt, lieferten wohlgefällig Menschen den Nazis aus. Die "Bettlerrazzia" war voll von den "demokratischen Gesetzen" der Weimarer Republik.
Ähnliches galt für die Verfolgung der Prostituierten, zumindest bis Kriegsbeginn. Die Nazis mussten also für ihren Terror nicht mal Gesetze ändern.
Umgekehrt wurden nationalsozialistische Terrorgesetze, wie jenes über die Einführung der so genannten "Sicherungsverwahrung" problemlos von den bundesrepubikanischen Rechtsnachfolgern übernommen.
++++
(G.L/W.H.)
siehe auch: http://radiochiflado.blogsport.de/2010/04/10/schafft-den-tag-der-arbeit-ab/
und als Radiosendung: http://taibo.podspot.de/files/Schwarzer%20Winkel%20und%20Co.mp3
(Razzia am "Schwarz-Weiss "Lager - Foto: Bundesarchiv))
Vom Zigeunerlager
ins KZ
Seit dem Erlass „
Über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung" vom 14. 12.1937
waren alle Sinti und Roma von der Einweisung in ein KZ bedroht, da
sie dem Personenkreis zugerechnet wurden, der „durch geringfügige,
aber sich immer wiederholende Gesetzesübertretungen sich der in
einem nationalsozialistischen Staat selbstverständlichen Ordnung
nicht fügen" wollte.
Aus dem Kölner Zigeunerlager wurden 1937
achtzehn Sinti und Roma ins KZ verschleppt worden. So wurde ein
Sinto, der als Musiker und Korbmacher arbeitete, verhaftet, da er
nicht belegen konnte, wovon er lebte. Der Lageraufseher Schmidt hatte
ihn beim Karten- und Ballspielen beobachtet und als „asozial"
und „Anführer von Faulenzern" in der Zigeunerkartei
vorgemerkt. Der Sinto kam in das KZ Sachsenhausen. Im Rahmen der
„Aktion Arbeitsscheu Reich" wurde in den frühen
Morgenstun-den des 21.Juni 1938 der ganze Platz umstellt.
Alle, die nicht in
lohnabhängigen Arbeitsverhältnissen standen, wurden in den
Klingelpütz gebracht. Dort trafen die 20 bis 30 „Zigeuner"
vom Schwarz-weiß-Platz auf etwa 5OO festgenommene Juden, „Asoziale"
und „Arbeitsscheue". Sie ale wurden ins KZ Sachsenhausen
gebracht. Immer wieder kam es nun auf Initiative von Wohlfahrtsamt
und Arbeitsamt zur Verschleppung einzelner „Arbeitsscheuer“.
(Foto: Bundesarchiv
Abtransport
Mit Beginn des
Krieges verschärfte sich die Situation. Die Nazis hatten wenige Tage
nach dem Überfall auf Polen beschlossen, alle Juden und Zigeuner
dorthin zu deportieren.
In den frühen Morgenstunden des 16.Mai 1940
umstellte ein Festnahmekommando von Polizei. Wehrmacht und SS den
Platz. Den im Schlaf überraschten Sinti und Roma wurde erklärt, sie
„würden wegen der Bom-benangriffe nach Polen gebracht, wo sie ein
Häuschen und Vieh bekommen."
In der Messe wurde ein Sammellager
eingerichtet. Es waren viele dort: Männer, Frauen und Kinder, und
alle waren nackt. Dies war extrem entwürdigend, wie Betroffene
schilderten: „So etwas gibt es bei uns nicht. Unsere Frauen
zeigen sich nicht einmal nackt vor ihren Kindern. Die Frauen weinten
und versuchten, sich mit ihren Haaren zu bedecken, sie stellten ihre
Kinder vor sich. Es war schlimm für uns."
Während der nächsten
5 Tage trafen weitere Transporte aus Herne. Düsseldorf, Wuppertal,
Wanne-eickel, Aachen, Koblenz, Gelsenkirchen, Krefeld und Duisburg
ein.
Am 21.Mai 1940
wurden etwa 1000 ..Zigeuner" in Viehwaggons getrieben. Kurz vor
der sowjetischen Grenze mussten sie sich ihr eigenes Lager bauen.
Dort begann für sie die jahrelange Odyssee durch verschiedene
Zwangsarbeitskommandos, Ghettos und Konzentrationslager.
„Bazillenstreuend”
Die Verfolgung „asozialer" Frauen
(NS Plakat )
Zunächst waren es
beinahe ausschliesslich Männer, die als „Asoziale" verfolgt
wurden. Dies trifft sowohl auf die „Bettlerrazzia", als auch
die „Aktion Arbeitsscheu Reich" zu.
Doch bereits ab 1936
rückten Frauen mehr in den Mittelpunkt der Verfolgung. Das
,,Asozialenproblem" wurde zunehmend von einem Problem
alleinstehender Wohnungsloser und Alkoholiker zu einem „Problem"
„asozialer Großfamilien" und von Frauen, „die sich
herumtreiben". ,
"Pflichtvergessene Mütter",
,bazillenstreuende Prostituierte" und junge Mädchen 'die sich
herumtreiben', galten nun als Inbegriff ,asozialer Frauen".
Besonders die Prostituierten wurden verfolgt, wie kaum eine andere
gesellschaftliche Gruppe. Bereits am 22. Februar 1933 forderte das
preußische Innenministeriurn die Polizeibehörden „zu vollem
Gebrauch" aller strafrechtlichen Bestimmungen auf. Insbesondere
sei „Reinhaltung des Strassenbildes" erforderlich.
Mit einem Gesetz vom
26.März 1933 drohten nun Prostituierten 6 Wochen Haft und
anschliessende Arbeitshausunterbringung. Mußte bislang die
„Verletzung von Anstand und Sitte" nachgewiesen werden, so
reichte nun „der Anschein". 1927 war das ,Gesetz zur
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten" verabschiedet worden.
Ein fauler Kompromiß zwischen den Befürwortern einer Freigabe der
Prostitution und jenen, die für eine stärkere Reglementierung und
Kasernierung eintraten.
Obwohl dieses
Gesetz eine zwangsweise Kasernierung ausdrücklich verbot, hielten
sich viele Städte schon von 1933 nicht daran. Die ursprüngliche
Absicht dieses Gesetzes die vorherige sittenpolizeiliche
Reglementierung und Schikane durch eine ärztliche Kontrolle zu
ersetzen erwies sich schnell als Makulatur. Sehr schnell erwies sich,
das die Gesundheitsämter aufs Engste mit den Polizeibehörden
zusammenarbeiteten.
Ja, meist gingen die Verfolgungsmaßnahmen von
den Gesundheitsämtern selbst aus. Hinzu kommt, daß der angeblich
besseren Überwachung durch die Gesundheitsämter jetzt wesentlich
mehr Frauen unterworfen waren, als zu Zeiten der Sittenpolizei.
1933 standen etwa
20 000 Menschen mit ,häufig wechselndem Geschlechtsverkehr"
unter der Überwachung der Gesundheitsbehörden.
Da die
Gesundheitsämter ohnehin als Schaltstellen rassenbiologischer
Erfassung fungierten, dienten die dort gesammelten Informationen als
Basis für Zwangssterilisationen. Viele Prostituierte wurden mit der
Begründung „schwachsinnig" bzw. „moralisch schwachsinnig"
zwangssterilisiert. In Hamburg musste jede „Fürsorgerin" pro
Woche einen Sterilisationsvorschlag liefern. In Bremen wurde bis 1937
etwa 150 Zwangssterilisationen mit anschließender Entmündigung
durchgeführt.
In den „Richtlinien
zur Beurteilung der Erbgesundheit" von Juli 1940 zählten
„Dirnen, die durch ihr unsittliches Gewerbe ihren Lebensunterhalt
ganz oder teilweise verdienen", ausdrücklich zu den allen
fördernden Leistungen ausgeschlossenen „Asozialen". Rassenhygienische Forschung, mit der versucht wurde, die Ursache der
Prostitution in der Erbmasse „minderwertiger" Frauen
festzuschreiben, basierten auf dem Material der Gesundheitsämter.
Zur rassenhygienischen ,Ausmerze"(Zwangssterilisation) kam in
zunehmenden Maße die Internierung von Prostituierten oder prostitutionsverdächtigen Frauen. Bereits in der Weimarer Republik
gab es das schlimme Mittel der Arbeitshauseinweisung für
unwillkommene Fürsorgeempfänger*innen. Ermutigt durch die neuen
Machthaber, verschärften die kommunalen Fürsorgebehörden die
Praxis der Zwangsunterbringung. War bislang laufender Bezug von
Armenunterstützung die Bedingung für eine Arbeitshauseinweisung, so
reichten jetzt die Kosten für eine Behandlung von
Geschlechtskrankheiten als Einweisungsgrund aus.
Auf diese Weise
gelang es den Fürsorgebehörden prostitutionsverdächtige Frauen,
die nie Fürsorgeunterstützung bezogen hatten. als „arbeitsscheue
Fürsorgeempfänger" in Arbeitsanstalten einzusperren. Im
Einzelfall genügten schon 35 Mark nicht bezahlte Krankenhauskosten
für eine mehrmonatige Unterbringung einer ,,sich herumtreibenden"
jungen Frau.
Entmündigt und eingesperrt
Massenweise wurden
„gemeinschaftsfremde und gefährdete“Frauen entmündigt. Die
Entmündigung erfolgte vorwiegend wegen „Geistesschwäche“.Allein
in Hamburg wurden 1450 Frauen entmündigt und unter Amtsvormundschaft
gestellt. Diese Sammellvormundschaft übte das Pflegeamt aus.
In den ersten zwei
Jahren wurden die Entmündigten grundsätzlich in Anstalten
eingesperrt. Etwa die Hälfte von ihnen wurden zwangssterilisiert.
Die „Notwendigkeit" dieser Praxis begründete die Leiterin des
Hamburger Pflegeamts, Käthe Petersen, wie folgt:
„In Hamburg findet
sich, wie in jeder grösseren Stadt,eine nicht unerhebliche Zah
asozialer, seit Jahren der Prostitution verwurzelter Frauen, die
immer wieder die gesundheitsbehördlichen Vorschriften übertreten
und immer wieder als Geschlechtskranke ( G-Kranke) der Behandlung im
Krankenhaus bedürfen. Die dem Staat durch die ,wiederholten und oft
sehr ausgedehnten Krankenhausbehandlungen für jede einzelne dieser
Prostituierten entstehenden Kosten sind oft weit höler als die für
eine gesunde Familie verfügbaren Mittel....Diese Prostituierten
gehören neben den Trinkern. Rauschgiftschütigen und sonstigen
Asozialen sowie den gewohnheitsmässigen Kriminellen zu den
bewahrungsbedürftigen Elementen".
In die
..Asozialenverfolgung" waren von Anfang an die Prostituierten
mit einbezogen.Die Richtlinien des Reichskrirninalpolizeiamts vom 4.
April 1938 legten ausdrücklich fest, daß auch „Dirnen" als
..Asoziale" anzusehen seien. Auf dieser Grundlage wies die Kripo
mehrere tausend Frauen ins KZ ein.
(KZ Uckermark- Foto: Bundesarchiv)
Der Krieg verschärft die Situation
Der Kriegsbeginn
führte zu einem enormen Arbeitskräftemangel. Prostitution wurde nun
nicht mehr nur als mehr nur als ..sittliche Verwahrlosung"
sondern zunehmend auch als Arbeitsverweigerung gesehen. Die
Machthaber fürchteten eine Zersetzung der Wehrkraft durch die
Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten.
Der Beginn des
Zweiten Weltkriegs verschärfte die Lebensbedingungen der
Prostituierten erheblich.
Am 9. September 1939
ordnete das Reichsinnenministerium im Einvernehmen mit dem
Oberkommando der Wehrmacht die polizeiliche Erfassung aller
Prostituierten an. Strassenprostitution sollte grundsätzlich
verhindert werden. Stattdessen sollte die „Ausübung der
Gewerbsunzucht in besonderen Häusern“ geduldet werden. Die Kripo
wurde ermächtigt, Prostituierten umfassende Auflagen zu erteilen,
wie das Verbot des Betretens bestimmter Strassen und Plätze, oder
das grundsätzliche Verbot, sich nachts ausserhalb der Wohnung
aufzuhalten.
In Bordellen bzw.
Wehrmachtsbordellen kaserniert, streng reglementiert, polizeilich
erfasst, gesundheitsamtlich überwacht, das war die einzige Form, in
der im Zweiten Weltkrieg Prostitution möglich war. Verstösse
konnten zur Einweisung ins KZ führen.
Neben den
tatsächlichen Prostituierten gerieten zunehmend unangepasste Frauen
ins Visier der Verfolger. So gut wie immer wurde in Aktenvermerken
von Polizei und Fürsorge sexuell unan-gepasstes Verhalten von Frauen
mit ,treibt sich herum" beschrieben. Mit diesem „sich
herumtreiben" wurde ein Verhalten gebrandmarkt , das mit
Prostitution im eigentlichen Sinn nicht identisch war. Die Ämter
sahen jedoch darin ein Element der „Gefährdung", das zum
„Absinken in die Gewerbsunzucht" führen konnte.
Frauen, die allein
oder mit verschiedenen Männern ausgingen, standen stets im Verdacht,
geheime Prostituierte zu sein.
Wechselnde
Männerbekanntschaften in Verbindung mit ungeregeltem Einkommen,
schufen insbesondere in der Kriegszeit eine hochgefährliche
Bedrohungssituation für Frauen. Sexuelle Freizügigkeit - im
Fürsorgejargon stets als „hwG" (häufig wechselnder
Geschlechtsverkehr) bezeichnet - genügte zur Verhängung von
KZ-Haft.
Grausame Aktenlage
Auf der Suche nach
Betroffenen stehen häufig nur die Akten der Verfolgungsbehörden zur
Verfügung. In den Akten der Duisburger Kripo sind Unterlagen über
28 Frauen erhalten geblieben, die zwischen 1938 und 1944 als
„Asoziale" in ein Konzentrationslager eingewiesen wurden. Bis
auf eine Ausnahme begannen alle Einweisungen mit dem Kriegsbeginn. Im
Zentrum der Vorwürfe stand fast ausnahmslos das Sexualverhalten,
oftmals gepaart mit dem Vorwurf mangelnder Arbeitsleistung.
1941 und im Frühjahr
1942 wurden von der Duisburger Kripo neun „asoziale“ Frauen im KZ
Ravensbrück
interniert. Von dort wurden sie 1942 in die neu errichtete
Frauenabteilung des KZ Auschwitz überstellt. Nur eine der Frauen
hat dies überlebt. Nur in wenigen Fällen ging die Initiative zur
Inhaftierung von der Kripo selbst aus. In den meisten Fallen waren
Meldungen des Fürsorgeamts und des Gesundheitsamts der Ausgangspunkt
für die Verfolgung. Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen:
Im November 1940
meldete das Gesundheitsamt der Stadt Duisburg eine 27jährige Mutter
von vier Kindern an die Kriminalpolizei: „Frau M. wird seit Juni
1939 betreut. In der Zeit wurde erstmalig der Ehemann hier
vorstellig, um über den liederlichen Lebenswandel seiner Frau
Beschwerde zu führen. Er gab an, dass seine Frau Nacht für Nacht
unterwegs sei und ihre Kinder vernachlässige. Die Kinder wurden
daraufhin in Fürsorgeerziehung genommen. Frau M, die einen
ungepflegten, völlig verwahrlosten Eindruck machte, hat sich, so
lange sie hier bekannt ist, immer wieder herumgetrieben. Alle
Ermahnungen zu einem geordneten Lebenswandel verlaufen erfolglos."
Das Gesundheitsamt
schätzte die Frau als heimliche Prostituierte ein und meinte weiter:
,Nach den hier
gemachten Erfahrungen wird Frau M.. deren frech-dreistes Auftreten
nicht zu beschreiben ist, sich in keiner Arbeitsstelle halten."
Aufgrund dieser
Meldung verfügte die Duisburger Kripo die KZ-Einweisung und schrieb
in der Begründung: „Nach den Ausführungen des kriminellen
Lebenslaufes, der gutachterlichen Aüßerung des städtischen
Gesundheitsamtes in Duisburg, der in Abschrift vorliegenden Aussage
des Ehemannes, der der ebenfalls in Abschrift vorliegenden
Aktenauszüge der Gesundheitsbehörde in Duisburg, ist erwiesen, dass
die Ehefrau M. durch ihre sittliche und moralische Verkommenheit ihre
Ehe auf das Schwerste erschüttert hat und dem Ehemann den Grund zur
Scheidungsklage gab. Ihr Trieb nach wechselndem Geschlechtsverkehr
und unter Berücksichtigung dessen, dass dieselbe bereits mit
Syphilis behaftet ist, bildet sie gerade in der gegenwärtigen Zeit
eine grosse Gefahr für die Erhaltung der Volksgesundheit. Die M. hat
aber auch weiterhin durch ihr Verhalten gezeigt, dass sie heimlich
der Prostitution nachgeht."
Über das KZ Ravensbrück wurde die
Frau nach Ausschwitz deportiert, wo sie im Dezember 1942 starb.
Im November 1941
meldete das Duisburger Gesundheitsarnt eine 31jährige Frau an die
Kripo. Die Frau war das jüngste von 18 Geschwistern, hatte nur die
Hilfsschule besucht und keinen Beruf erlernt. Sie war bereits zweimal
geschieden. Ein Kind befand sich in Fürsorgeerziehung, ein weiteres
lebte beim Vater. Weiter heißt es im Schreiben des Gesundheitsamts:
„Frau G. Erkrankte
erstmalig an Gonorrhoe. Am 1. Mai 1940 erkrankte sie erneut. sie benahm
sich während der Krankenhausbehandlung derart unbotmässig, daß
ihre Verlegung auf die Ge-sehlechtskrankenstation der
Provinzial-Arbeitsanstalt Brauweiler erfolgen mußte. Zum 3.Mal
leidet Frau G. zur Zeit an Gonorrhoe. Die Infektionsquelle konnte bei
keiner Erkrankung ermittelt werden. Frau G. steht seit Jahren im
Verdacht heimlich der Unzucht nach zu gehen. Sie hat dies immer
bestritten. Nachdem Frau G. Ende August in eine
Beischlafdiebstahlssache verwickelt war, wurde sie am 2.8.41 als
Dirne verpflichtet. Zu den amtlichen Untersuchungen ist Frau G.
bisher nicht erschienen. Strafanzeige wird gestellt. Frau G. trieb
sich bis zu ihrer Festnahme am 22.10. herum. Am 23.10 wurde sie
erneut wegen Erkrankung an Gonorrhoe in Zwangsbehandlung genommen.
Frau G. hat jahrelang Wohlfahrtsunterstützung bezogen. Seit Oktober
1940 wurde sie 2-mal zum Ar-beitsamt vermittelt. Sie hat jedoch in
beiden Stellen meist gebummelt.. Alle Ermahnungen zur Arbeit
verliefen erfolglos. Frau G. ist eine besonders triebhafte, asoziale
Frauensperson. In ihren Angaben ist sie unwahr. Es ist anzunehmen.
Dass Frau G. nach erfolgter Krankenhausentlassung sich erneut
herumtreiben wird Sie bedeutet zweifellos eine Gefahr für die
Allgemeinheit. Ihre Unterbringung in Vorbeugungshaft halte ich daher
für erforderlich. Ich bitte das Weitere zu veranlassen.“-
Nach Verbüssung
einer Haftstrafe wegen Kontrollübertritts, wurde die Frau im Januar
1941 in Vorbeugungshaft genommen.
Im November 1942 meldete das KZ
Ravensbrück ihren Tod.
https://vimeo.com/157283831 Trailer über das ehemalige KZ Uckermark
Nachbemerkungen: Ich (G.L.) bin gefragt worden, wozu denn diese Dokumentation gut sein soll. Beinahe alles ist ja schliesslich schon veröffentlicht worden. Das stimmt, schliesslich stammt das meiste Material aus dieser Doku aus Veröffentlichungen von Wolfgang Ayaß. Die Informationen über das Zigeunerlager in Köln stammen aus dem Buch von Carola Frings und Frank Sparing. Und es stimmt dann doch nicht, denn wer hat schon diese Bücher gelesen.
Die Verfolgung der so genannten "Asozialen" hat hierzulande eine traurige Kontinuität.Bettler*innen wurden schon in der Weimarer Republik inhaftiert und in Arbeitshäuser gesteckt. Auch nach 1945 ear Landstreicherei strafbar. Und auch heute noch, werden Bettlerinnen und Bettler mit Platzverweisen und Innenstadtverboten belegt.
Viele der Täterinnen und Täter von damals in den Fürsorge-und Gesundheitsämtern blieben in Amt und Würden.
Zwangsarbeitsprogramme kommen mehr und mehr in Mode. Ich will hier nichts relativieren, aber die Nazis haben oft nichts Neues praktiziert, sondern nahtlos an die Verfolgungsmechanismen ihrer "demokratischen" Vorgänger anknüpfen können. Viele Fürsorgeämter, viele sozialdemokratisch besetzt, lieferten wohlgefällig Menschen den Nazis aus. Die "Bettlerrazzia" war voll von den "demokratischen Gesetzen" der Weimarer Republik.
Ähnliches galt für die Verfolgung der Prostituierten, zumindest bis Kriegsbeginn. Die Nazis mussten also für ihren Terror nicht mal Gesetze ändern.
Umgekehrt wurden nationalsozialistische Terrorgesetze, wie jenes über die Einführung der so genannten "Sicherungsverwahrung" problemlos von den bundesrepubikanischen Rechtsnachfolgern übernommen.
++++
(G.L/W.H.)
siehe auch: http://radiochiflado.blogsport.de/2010/04/10/schafft-den-tag-der-arbeit-ab/
und als Radiosendung: http://taibo.podspot.de/files/Schwarzer%20Winkel%20und%20Co.mp3
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