Montag, 21. Dezember 2015

Texte der Gefangenenbewegung: 2. Gefangenenrat statt Gefangenengewerkschaft? - Die 3 Schritte der Gefangenenbewegung

„Komm schon.Jeder hat seine Mauern, seine Bunker, seine Bastille, seinen Himalaya und seine Abgründe. Du denkst doch nicht etwa, daß du anders bist als die anderen, daß für dich alles schwieriger und schmerzhafter ist! Du weißt, daß das nicht stimmt. Du hast sogar Glück, weil du in deinem Inneren dieses Bewusstsein hast. Dir stehen noch so viele Kämpfe bevor! Du stehst erst am Anfang deines Wissens! Wenn du darunter leidest, heißt das, daß du auf dem richtigen Weg bist. Ein Weg, der keine Märtyer, aber den Willen zu Wissen und Kampf braucht. Wie leicht es doch wäre, so leicht, sich der Lethargie der Unterwerfung, des Verzichts, des Akzeptierenes einer bequemen Norm zu ergeben! Komm schon, steh auf, mach was! Der Sirenengesang ist hier das Heulen des Alarms, der von den Schließern ausgelöst wird, um eine Flucht zu melden, der Versuch eines Gefangenen, sich sein Recht zurückzuerobern“ (Charlie Bauer)











Ende 1973 gründete sich der „Gefangenenrat Frankfurt“ – das Jahr über fanden diverse „Rote Hilfe-Aktionen“ für die „politischen Gefangenen“ statt, ein „Folterkommitee“ zur Isolationshaft hatte sich gebildet – dem entgegen positionierte sich der „Gefangenenrat“ explizit für alle entrechteten und entmündigten Anstaltsinsassen, womit sie auch Erziehungs- und Psychiatrienanstalten mit einbezogen. Ihr Ziel: eine überregionale Gefangenenorganisation nach dem Vorbild des „Le Comité d`Action des Prisonniers“ (kurz: CAP). Nach Revolten in französischen Gefängnissen hatten 1972 Gefangene die CAP gegründet und mit der von u.a. Michel Foucault gebildeten„Groupe d`Information sur les prisons“ zusammengearbeitet – letztere scheiterte aber an dem Versuch, die vorwiegend subproletarischen Gefangenen mit dem organisierten Proletariat zusammenzubringen.

Waren anfangs bei der Gründung des Gefangenenrates auch Studierende und Arbeiter*innen dabei – waren es dann eigentlich „nur“ noch ehemalige Gefangene – die so natürlich für die in den Gefängnissen eine bedeutend höhere Glaubwürdigkeit hatten.

Ein eigener „Nachrichtendienst der Gefangenenräte“ (ND) brachte vor allem Infos aus den Anstalten und Aktivitäten aus den Gefangenenbewegungen anderer Länder – der „ND“ war aber auch Organ der Diskussion und Selbstreflektion – Probleme innerhalb der Gefangenenbewegung , Konzepte und revolutionäre Strategien wurden diskutiert. In diesem Zusammenhang erschien der nachfolgende Text: „Die drei Schritte der Gefangenenbewegung“ – die wir hier abdrucken.

In den nachfolgenden Texten wurde (wird) dem subproletarischen Gefangenen eine besondere Rolle im Widerstand zugewiesen – was dann fast selbstverständlich viel Kritik aus dem bürgerlich-akademischen Milieu hervorrief – von „Herausbildung“ einer „neuen Herrenklasse“ wurde polemisiert – allerdings gerade und vor allem von den „Herren und Damen“ denen im Text die weitere „Gefolgschaft“ aufgekündigt wurde.


Darin ist die Debatte noch aktuell – über die Deklassierung der Menschen mit dem „schwarzen Winkel“ in den Lagern der Nazis auch auf Seiten anderer Gefangener bis hin in die Polemiken und klassistischenAbgrenzungen gegenüber den „Lumpen“ und „Delinquenten“ heute --- insofern erscheint uns der Text auch heute noch interessant und aktuell genug – über die Gefängnismauern hinaus –










Die drei Schritte der Gefangenenbewegung“ (1975)

1.


Die Gefangenenbewegung beginnt mit dem „Querulanten“. Wir wollen das ausdrücklich feststellen, um denen entgegenzutreten, die sie mit den betreuerischen Einflüssen der Studentenbewegung beginnen lassen, und außerdem, um auf die Entgegengesetztheit beider Bewegungen hinzuweisen.
„Querulanten“ unter den Gefangenen der Gefängnisse und Anstalten sind diejenigen, die sich „sinnlos“ zur Wehr setzen – die verlorenen, um sich schlagenden Einzelkämpfer, die ihr Recht von einem Regime zurückerwarten, das ihnen alles Recht abgenommen hat. Mit den Niederlagen, die man ihnen beibringt und die ihnen jede Hoffnung abschneiden, verlieren sie allmählich den Kontakt zur „Realität“: das Einfühlungsvermögen in die Denkweise des Feindes, dem sie ausgeliefert sind. Der Rest ist Geschäft des `Dachdeckers`, des Psychologen oder – was dasselbe ist – des Pfaffen. Der „Querulant“ wird zum Objekt der „Betreuung“ – einer letzten Instanz der Unterwerfung. Er wird den Studierenden vorgeführt.

Warum die Querulanten die „Politik“ für sich aufgaben oder allein nie zu einer solchen gekommen sind, hängt hauptsächlich mit den Niederlagen der proletarischen Politik zusammen. Diese Niederlagen haben einen großen Teil der Arbeiter, und vor allem das Lumpenproletariat, von den verräterischen sozialistischen Parteien entfernt und ohne politische Alternative gelassen.
Während sich die Angestellten und Facharbeiter zu einer neuen Mittelklasse zusammenschlossen (um die sozialdemokratischen Parteien) wurde der Widerstand des Proletariats selbst unpolitisch und – vereinzelt – besonders im Lumpen-und Hilfsarbeiterproletariat kriminell und psychopathisch. Er fiel in die Reviere der Kriminalpolizei und der Psychiatrie. Seine Aussichtslosigkeit verlieh ihm jedoch eine besondere Stabilität: Die Denkweise des verlorenen Lebens, des Desperadotums. Sie hatte ihre aktiv-gewalttätige und ihre passiv-leidende „krankhafte“ Seite.

Die studentische Linke bemühte sich, vor allem in der Zeit des SDS, um das Lumpenproletariat als mögliche Hilfstruppe, gab diese Absicht jedoch einige Jahre später zugleich mit einer als „putschistisch“ erklärten Strategie auf und verwies das Lumpenproletariat wieder in den Bereich der sozialen Fürsorge. Der „Marsch durch die Institutionen“, der die Studentenbewegung schon vor ihren Resten, den demagogischen Parteien der neuen Bürokraten, verdarb, konnte durch einen lumpenproletarischen Anhang nur behindert werden. Der kurzfristige Ausflug der neuen intellektuellen Arbeiterklasse in den gesellschaftlichen Untergrund war damit beendet. Die „Randgruppenstrategie“ hat dazu eine Reihe sehr wirksamer Unterdrückungstechniken des Regimes hervorgebracht – teilweise mit aktiver Mithilfe ehemaliger Größen der Studentenbewegung. Vor allem hat sie Psychiatrisierung und Psychologisierung der Unterdrückung der gefangenen Lumpen verstärkt. Zugleich aber hat sie die Lumpen „politisiert“. Diese „politisierten“, jetzt „politisch“betreuten, das heißt immer zurechtgewiesenen und von den Studenten bevormundeten Lumpen, blieben nach dem Verschwinden der linken Botschafter als Zellen einer ansatzweisen lumpenproletarischen Politik zurück.

Die Entfremdung zwischen studentischer Linken und Lumpen verwandelte sich in offene und versteckte Feindschaft zweier neuer Klassen: der intellektuellen Arbeiterklasse und den deklassierten Arbeitern, dem asozial gewordenen Proletariat. Ein großer Teil des noch von Hand arbeitenden Proletariats steht in dieser Feindschaft den Lumpen und deklassierten Arbeitern näher als den Kommunisten, die als Propagandisten der neuen Bürokratie erkannt werden.

Ein weiterer Aspekt der Vorgeschichte der Gefangenenbewegung ist der Versuch des Regimes – in einem Zeitabschnitt größter Unwahrscheinlichkeit innerer Unruhen – die innere, politische und soziale Unterdrückung mit einem „resozialisierenden“ Charakter zu versehen. Gegenüber dem Lumpenproletariat sollten ähnliche Methoden der Manipulation, Bestechung und Vereinzelung angewandt werden, wie sie bei den Arbeitern bereits gewirkt hatten: durch individuelle Behandlung, Bezahlung nach Leistung, Prämien für „gute Führung“ und „charakterliche Besserung“ sollte das Lumpenproletariat im Gefängnis und in der Halbfreiheit unterworfen werden.
Die Anfänge der Resozialisierung liegen in der Zeit der Verknappung an Arbeitskräften. Die Resozialisierung beginnt deshalb auch folgerichtig mit einer Erneuerung und Modernisierung der faschistischen Zwangsarbeitsindustrie. Jedes größere Gefängnis besitzt seitdem im Anschluss an die Zellenbauten, die meistens aus dem vorigen Jahrhundert stammen, ein fluchtsicheres, modernes Industriegelände. Diese von der Justiz verwalteten Zwangsarbeitsindustrien ergeben jährlich für das Regime einige Milliarden Profit. Hinzu kommen noch die im inneren Dienst von Gefängnissen und psychiatrischen Haftanstalten, für die Häftlinge und Internierte angestellt werden. Nach den Angaben eines Anstaltdirektors im Bericht über die Lage der Psychiatrie führt diese Ausbeutung in den psychiatrischen Haftanstalten dazu, dass zum Beispiel langjährig Internierte, die sich in irgendeinem Bereich des Anstaltsbetriebs unentbehrlich gemacht haben, von der Verwaltung nicht entlassen werden, um im Anstaltsbetrieb keine Lücke zu hinterlassen.

Die Industrialisierung der Zwangsarbeit ist der wirtschaftliche Kern der Resozialisierung. Die Zwangsarbeit, die vom Staat beschlagnahmte Sklaverei, war lange im Stadium der Manufaktur geblieben. Mit der zunehmenden Verteuerung von Handarbeit – und ihrer allmählichen Ablösung durch Vollautomaten – werden teilmaschinelle, für die nicht genügend freie Arbeiter zu finden sind und die Lohnzugeständnisse nötig machen, für die Zwangsarbeitsindustrie lohnend.

Die Folge ist, dass sich in der veralteten Form der Ausbeutung im Gefängnis der „veraltete“ Arbeiter – der Handarbeiter – wieder findet und zur Massenarbeit an Fliessbändern diszipliniert wird. (Während die freie Industrie den „freien“ Arbeiter zu einer Charaktermaske des Regimes, zum „denkenden Mitarbeiter“ ausrichtet) Die zweite industrielle Revolution der kapitalistischen Industrie ist also gleichbedeutend mit der industriellen Revolution in denjenigen Gebieten des Regimes, in denen die Sklaverei herrscht.

Der ideologische Vordergrund dieser industriellen Revolution der Zwangsarbeit ist die Resozialisierung. Sie soll rechtfertigen und es ermöglichen, dass der Zwangsarbeiter von der Stufe der Handfertigung auf eine – wenn auch veraltete – industrielle Stufe „gehoben“ wird. Dazu ist eine Manipulation, eine „Befreiung“ an ihm nötig. Er muss so weit „frei“ werden, um ihm ein gewisses Maß an Arbeit lohnend erscheinen zu lassen. Die industrielle Arbeit besteht zu einem großen Teil aus Akkordarbeit. Akkordarbeit lässt sich aber nur mit Arbeitern durchführen, die bezahlt werden – in der besonderen Art der belohnenden und bestrafenden Einzelbezahlung der kapitalistischen Massenarbeit.
Unbezahlte Arbeiter können zwar durch Aufseher und durch dauernden äußersten Zwang zur Arbeit getrieben werden, aber sie werden bei jeder Gelegenheit Widerstand leisten und die Produktion sabotieren. Sie arbeiten nur, wenn der Druck von außen größer ist als der eigene Widerstand. Was die Resozialisierung bezweckt, ist vor allem, dass die Zwangsarbeiter aus eigenem Antrieb im Akkord arbeiten sollen – und zwar durch die Vorstellung eines „Lohns“. Wie illusionär der Zwangsarbeitslohn ist – gemessen an normalen Löhnen – spielt hier keine Rolle. Wichtig ist der Tauschwert innerhalb der Anstalt, die „Zigarettenwährung“ des Lohns (die von der Anstalt zum Zweck der „Arbeitswilligkeit manipuliert werden kann, indem man von Zeit zu Zeit Inflationen hervorruft. Dabei spielt meistens noch ein anderer Blutsauger, der Gefängnis Händler, eine Rolle, dessen Preise eigenartigerweise manchmal doppelt so hoch sind wie draußen).

Die Resozialisierung, das Lieblingskind der Liberalen, hat überall in den Internierungslagern, selbst in den psychiatrischen Haftanstalten, die Akkordarbeit eingeführt – in einem Tempo, wie zur Zeit des Manchesterkapitalismus und mit dessen Brutalität. Nicht nur der Lohn ist illusionär, sondern jeder Vergleich mit der „freien“ Massenarbeit. Die Gefängnisindustrie kommt ohne alles aus, was die Reformer seit den Anfängen der Industrialisierung an Zugeständnissen für die Arbeiter erreichten.

In den offiziellen Broschüren und in der Presse erscheint die industrielle Sklaverei als Beweis für die Reformbemühungen und die Menschlichkeit des Regimes.
Unter den Bürgern können sich die aus der Gesellschaftsfähigkeit Ausgeschiedenen nicht mehr verständlich machen. Verschiedene Klassen sprechen verschiedene Sprachen, eine Verständigung ohne gemeinsame Interessen nicht möglich. Die Ausbeuterklassen begreifen Unterdrückung und Mord als Menschlichkeit und den Verteidigungskampf der Unterdrückten dagegen als Verbrechen.

Mit der Industrialisierung der Zwangsarbeit, die die Gefangenen in Massen an den Fließbändern und in den Montagehallen zusammendrängte, entstand unter ihnen allmählich eine Form des Widerstands, der sich von der „Querulanz“ unterscheidet. Die Querulanz war im besten Fall zu dauernden Dienstaufsichtsbeschwerden und Strafanzeigen gegen die Beamten und die Anstaltsleitung gelangt und war eine Art Sabotage geworden, die offen oder verborgen, aber meistens allein, dem Anstaltsregime Widerstand leistete. Mit der Industrialisierung der Gefängnisse aber kamen die ersten Versuche kollektiver Sabotage. Die Vereinzelung in den Zellen wurde teilweise durchbrochen und konnte auch nicht mehr durch die moralisierende, belohnende und bestrafende „Bezahlung“ ausgeglichen werden. Unterschriftensammlungen, Sitzstreiks, sogar Arbeitsstreiks, die den Profistrom der Anstalten plötzlich abschneiden konnten, waren möglich geworden. Mit der Industrialisierung der Gefängnisse hatte sich das Regime ihre Anfälligkeit für Streiks eingehandelt.

Mit der Resozialisierungsideologie entstand im Kleinbürgertum, bei den Liberalen und bei den Studenten eine Schwärmerei für die Gefangenen. Sie wurde von der Justiz mit Wohlwollen ausgenutzt. Sie selber malte das Bild des Ausgestoßenen der bürgerlichen Gesellschaft, des überall Zurückgewiesenen – ein Bild, das reale Momente hat, die sich ohne Mühe auffinden ließen –und damit die Fürsorgeinstinkte des Kleinbürgertums und aller nicht direkt Extremen hervorzurufen und für die „Gefangenenbetreuung“ einzusetzen. Die proletarischen Gefangenen sollten von ihrem „Milieu“, dem Leben ihrer Klasse und von der Vergangenheit, die hinter ihnen lag, getrennt werden und in kleinbürgerliches Milieu, Wohngemeinschaften, ins Milieu „sozialer“ Bürger verpflanzt werden. Diese Unterwerfungsideologie, an der sich auch ein Teil der Linken beteiligte, hat unter dem Lumpenproletariat teilweise groteske Anpassungshaltungen erzeugt und viele der politisch Intelligenten seelisch verkrüppelt.

Trotz der ungeheuren Ohnmacht der manipulierenden Unterwerfung begann die politische Bewegung der Gefangenen. Sie benutzte zwar noch die Schablonen der Linken, aber es war offensichtlich, dass ihr Klasseninhalt neu war und nichts mit den versteinerten und spitzfindigen Begriffen der Linken, die sie aus den Texten der Vergangenheit kopierten, anfangen konnte. Was bisher „links“ war, war von derselben Sorte, die für das Lumpenproletariat auch ohne irgendwelche Theorien eindeutig Feind war. Ein rechter und ein linker Student – oder „intellektueller Beamter“ – sind für Menschen, die den Intellektuellen der so genannten „sozialen Berufe“ auf die erbärmlichste Weise einzeln ausgeliefert sind und den Studenten wie in einem Zoo gezeigt werden, kein politischer Unterschied mehr, der sie interessiert.

Die Revolte in Bruchsal – von den bürgerlichen Zeitungen wurde sie aufs schlechte Essen heruntergespielt – war der erste Ausbruch dieser neuen Bewegung. Die Justiz antwortete mit grotesken Strafmassnahmen. Die angeblichen „Rädelsführer“ wurden auf andere Anstalten verteilt und werden seit eineinhalb Jahren von einer Anstalt in die andere verschubt, um sie nirgends sesshaft werden zu lassen. Sie werden von den anderen Gefangenen getrennt.“






2.


Die politische Bewegung der proletarischen Gefangenen und des Lumpenproletariats existiert ansatzweise und noch ohne endgültige Organisation. Die Vereinigungen gehen – z.B. innerhalb der Gefängnisse – von den nächstliegenden gemeinsamen Interessen aus, wobei aber in allen Petitionen und Forderungen die Notwendigkeit des politischen Kampfes und die völlige Aussichtslosigkeit geringster Forderungen und Verbesserungen durchscheint. Die politische Organisation der Gefangenen und des Lumpenproletariats entsteht aus den Einzelelementen der Lage der Klasse. Und in dem Maße, wie sich die Einzelelemente zu einer begreifbaren Verallgemeinerung dieser Lage zusammenfügen lassen, wird die Bewegung politisch.

Mit der Vereinigung wächst auch die revolutionäre Intelligenz der Klasse. Sie erscheint nicht mehr als Störung der Geschichte, sondern als ihre Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit.

Der Begriff der Klassenorganisation heben die Begriffe des Regimes auf, die zu Beginn der Bewegung noch bestimmend sind: „Gefangener“, „Patient“ „Obdachloser“, „Arbeitsloser“ sind Begriffe der Ohnmacht. Sie sind rein verneinend und verschleiern den Umfang der Unterdrückung wie den Umfang des Widerstands, den das Lumpenproletariat gegen das Regime zu leisten vermag. Mit der Klassenorganisation entsteht ein revolutionärer Intellekt, der sich durch das Nachrichtensystem der Organisationen verbreitet und Handlung zuwegebringt, die alle verneinenden, betreuerischen Bezeichnungen des Regimes eindeutig widerlegen und eine Front gleichwertiger Kämpfer zwischen dem Regime und der lumpenproletarischen Organisation herstellen. Die ideologischen Nachahmungen der sozialen Klassen verfallen. Die Asozialen und Enteigneten des Besitz-Regimes bekennen sich zu ihrer eigenen Existenz, statt unter der Tarnung anderer Klassen zu leben.

Alle Klassen sind im Gefängnis vertreten. Jedoch so, wie alle Klassen in der Straßenbahn vertreten sind: nicht repräsentativ. Die Oberklassen fehlen, oder es kommen aus ihnen nur die Deklassierten, die schon abgeschrieben sind: die bürgerlichen Psychopathen. Das Lumpenproletariat ist im Gefängnis die Mehrheit. Es gibt nur einen gewissen Prozentsatz „Fremde“ mit bürgerlichen Delikten: einen gewissen Prozentsatz kleinbürgerlicher Psychopathen oder deklassierter Geschäftemacher, veralteter Händler usw. Diese Elemente stehen außerhalb der Gefangenenbewegung. Sie sind politisch oder reaktionär. Ein großer Teil der Verräter und Helfer des Anstaltsregimes kommt aus dieser Gruppe. Sie sind der übliche Gesprächspartner der Anstaltsleitung bei den Konferenzen der so genannten „Gefangenenmitverwaltung“ oder der Psychologen bei den Versuchen von „Gruppentherapie“.

Heute ist die Haltung der Linken gegenüber den Gefangenen reformistisch. Die linke Politik hat die Gefangenen „angesteckt“, aber die Zeit der sozialromantischen „Randgruppenstrategie“ ist vorbei. In den linken Organisationen stößt das Lumpenproletariat auf eine Ablehnung, die leicht klassistische Züge annimmt und sich in nichts vom allgemeinen bürgerlichen Horror gegenüber den Lumpen unterscheidet. Die linke Strategie der aufs Gesetz bauenden Institutionenveränderung, die für einen großen Teil der Linken die Rationalisierung ihres Abschieds von der Revolution war, gestattet ihnen in den „sozialen Berufen“ die offene Zusammenarbeit mit dem Regime.

Die Abkehr der Linken hebt die Trennung der Klassen ins Bewusstsein, die tiefer und dauerhafter ist als irgendwelche Abneigungen oder Meinungen. Die politisch Aktiven innerhalb und außerhalb der Anstalten erkannten, wie weit sie von sich selbst entfernt waren, solange sie kritiklos die von den Studentenparteien formulierte Politik übernommen hatten. Die Trennung von den Linken, die von ihnen ausging, nahm bald die eindeutigen Formen eines neuen Klassenkampfes zwischen der neuen Bürokratie und den Lumpen an: gegenseitiges Hinausdrängen aus den Gruppen und Organisationen oder aus den besetzten Häusern, gegenseitiges Misstrauen und gegenseitiger Verrat. Dieser Kampf spielt sich nur scheinbar auf der „psychologischen“ Oberfläche ab.
 Die studentische und intellektuelle Linke, die sich unter den Lumpen Rausschmeißer, Denunzianten(Verräter), Spitzel und regelrechtes Dienstboten- und Bedienungspersonal angeworben hat, ist halb unbewusst zu den Taktiken des Regimes übergegangen, die das Lumpenproletariat und Hilfsarbeiterproletariat spalten sollten. Zu den Spitzeln des Regimes kommen die aufgehetzten Ahnungslosen und die Verräter, die von der linken Seite ausgeschickt werden.

Gegenüber dem Lumpenproletariat ist das kapitalistische Regime faschistisch. Es unterscheidet sich nicht grundsätzlich vom Nazi-Regime. Die demokratische „Reform“ des Naziregimes betrifft andere (besitzende) Klassen, nicht das Lumpenproletariat. Das Verhältnis des Regimes gegenüber den Lumpen und de Hilfsarbeitern hat sich nicht demokratisiert. Von daher ist schon jede Diskussion über Strafrecht usw. verfehlt, ganz und gar überflüssig –wie überhaupt der größte Teil der „Wissenschaft“ des Regimes außerhalb des Unterdrückungsapparates psychopathischer Unsinn ist. Das Regime hat nichts derartiges wie ein „Recht“ gegenüber den Lumpen. Hier gelten keine bürgerlichen Gesetze, die von den Bürgern selbst anerkannt worden sind oder zumindest für sie von Nutzen sein können, indem sie den Eigentümer vor Diebstahl und Raub schützen. Das Regime ist gegenüber dem asozialisierten Proletariat gesetzlos – wie das Naziregime gegenüber den Arbeitern und den Juden. Es ist ein verbrecherisches Regime. Diese Bezeichnung ist nicht einmal bildhaft. Sie ist die logische Bezeichnung für die Abwesenheit von „Recht“ oder überhaupt einer menschlichen Vereinbarung, was das Lumpenproletariat betrifft. Damit sind die Beamten, Politiker, Hintermänner, Zivilisten und Uniformierte des Regimes Verbrecher – sie erwartet der Prozess und keine Weiterbeschäftigung unter einem Regime der „Volksfront“, die sie aber selbst verhindern werden.

In den politischen Organisationen des Lumpenproletariats treffen zwei hauptsächliche Tendenzen aufeinander, die nur scheinbar verschiedenen Ursprungs sind. Die erste Tendenz ist eine halb verdorbene, halb gleichgültige Anpassung an den Stil politischer Organisationen, den man von der Linken oder von der Sozialhilfe gewohnt ist und besteht in der Nachahmung eines Verhaltens und einer Politik, von der man annimmt, „dass sie so sein muss“. Diese Nachahmung, mit der man für sich und für andere einige Verbesserungen, Vergünstigungen oder irgendwelche Vorteile herausschlagen will, wird schnell vom Milieu ausgenutzt, das, weil sich niemand mit den nachgeahmten Problemen und Grundsätzen einverstanden erklärt, die ganze Sache hemmungslos zu Geld macht. (Die reformistische Gefangenengewerkschaft verschwand auf diese Weise und ihre Kasse verschwand mit ihr). Der Grund für die verdeckte Verderbtheit der reformistischen Organisationen ist die tiefe Resignation und die berechtigte Skepsis – oder Gleichgültigkeit der Lumpen und Hilfsarbeiter, die ihnen angehören, vor allem, wenn es sich um betreuerische Zusammensetzungen handelt.

Die Lumpen glauben nicht an die Echtheit „politischer“ Überzeugungen. Sie sehen in politischen Organisationen praktische Zwecke: den persönlichen Nutzen, den jeder aus ihnen herausschlägt – mit derselben Gerissenheit, mit der man sich sonst über Wasser halten muss. Diese Haltung beweist, wie weit die Lumpen von der „Politik“ entfernt sind und wie „natürlich“ in dieser Lage der Verrat und die Bestechung – oder die politische Gleichgültigkeit ist. Für diese Sicht ist es ganz verständlich, dass ein solches Unternehmen später für einige zum Geschäft wird und in Schieberei endet. Etwas anderes könnte man nicht erwarten und wird nicht erwartet. Die „Bestechlichkeit“ der Lumpen ist etwas, was die Linken nicht verstehen. Sie missverstehen die scheinbar Bereitschaft der Lumpen, sich benutzen zu lassen, als ihre „Eigenschaft“ .Die Linken verhalten sich in dieser Frage eigenartigerweise völlig unmarxistisch. Bei der psychologischen Diskriminierung der Lumpen – unter dem Schleier der Betreuung – sind sich daher die Reaktion und die Linke im wesentlichen einig.

In jeder Gruppe oder Organisation, in der Lumpen vertreten sind, wird als Gegensatz zu der Fraktion der Gleichgültigen die terroristische Fraktion auftauchen, die wahre Stimme des Lumpenproletariats. Sie verkörpert das Heldentum und alle großen Eigenschaften, die das Lumpenproletariat in der Vergangenheit bewiesen hat. Dieser Terrorismus ist naiv – deshalb aber zu sagen, er sei falsch, ist Unsinn. Wenn man ihn ausschließt, schließt man die politische Entwicklung des Lumpenproletariats überhaupt aus. Das Bewusstsein, immer der Betrogene zu sein – die realistische Kehrseite der Bestechlichkeit – kennzeichnet auch die Terroristen. Ebenso wie die Gleichgültigen glauben die Terroristen nicht an die gemeinsame Aktion, auch sie denken meist noch in vereinzelten Kategorien. Dieser Individualismus wird durch die gefühlsmäßige Annäherung an die RAF verstärkt, deren Ideologie allerdings selbst der terroristischen Fraktion wenig sagt. Nicht zu wissen, wie eine lumpenproletarische Politik aussehen soll, bedeutet nicht, dass sich eine beliebige dafür angeben lässt. Die Nachahmung einer „konspirativen“ Taktik behindert die militante Organisierung und endet leicht in Resignation, wenn man feststellt, dass zu einer konspirativen Taktik die personellen und sachlichen Mittel einer privilegierten Herkunft und privilegierter Beziehungen fehlen, wie sie für die RAF kennzeichnend sind.

In Gruppen und Organisationen, in denen die studentische Linke noch beherrschend ist, geht sie meistens eine Verbindung mit der gleichgültigen Fraktion ein, die sich ihren Maßstäben von Legalität und „politischer Bewusstheit“ eher anpasst. Die Linke ist sich mit der reaktionärsten Sozialpädagogik darin einig, dass das Lumpenproletariat nicht revolutionär sein kann – und daher für die Lumpen der aufs Recht bauende Weg der richtige ist. Die Betreuer sind das dritte Element lumpenproletarischer Politik. Ob es gelingt, sich völlig von ihrer Herrschaft zu befreien, wird entscheiden, wie diese Politik beschaffen sein wird. Die ersten politischen Gruppen bildeten sich im Anschluss an Betreuungsorganisationen. Viele wurden davon vernichtet. Die neuen eigenständigeren lumpenproletarischen Gruppen und Organisationen schleppen noch den Stil dieser studentischen Organisationen mit sich. Viele Aktive sind dadurch zu Nachahmern ihrer „Betreuer“ geworden und ein Hindernis im Kampf um die Radikalisierung der Bewegung. Die Betreuer erwiesen sich für die politische Emanzipation später immer mehr als hinderlich: zur äußeren Stabilisierung waren sie von einigem Wert.

Die Anfänge der Gefangenenbewegung setzen im Grossen fort, was Erfahrung des Widerstands der Querulanten war: die hoffnungslosen juristischen Gefechte, die nur einen Sinn als Sabotage der Justizmaschinerie haben und auch zuletzt von den meisten Aktiven so gehandhabt wurde. Man erreichte die punktuelle Überlastung durch massenhafte Beschwerden und Anzeigen. Aber die Bürokraten haben mehr Zeit als die Gefangenen. Beschwerden und Strafanzeigen verschwanden im Papierkorb, die Antwort blieb einfach weg. Begründungen unterblieben. Die meisten Strafanzeigen und Beschwerden sind im Sinne des bürgerlichen Strafgesetzbuches und der Dienst-und Vollzugsordnung berechtigt – sie werden pauschal abgelehnt und deshalb ebenso pauschal geschrieben.

Die Gefangenenbewegung wird durch die Anstaltsmauern zerschnitten: sie trennt die Kader „innen“ von denen „draußen“, und die Verständigung zwischen beiden findet unter den Augen des Zensors oder des Beamten im Besuchsraum statt. Ein großer Teil der Post wird beschlagnahmt. Ein Teil verschwindet. Gedruckte Informationen, außer der des Regimes wird ständig beschlagnahmt. Diese Umstände verzerren die Verständigung zwischen innen und außen und zwingt dazu, in der andeutungsweisen, unpräzisen Sprache des Knasts zu sprechen. Das Problem der Isolierung,der Abschottung einzelner oder ganzer Gruppen durch das Anstaltsregime wurde von den Anwälten der RAF deutlich gemacht. Aber es ist das Problem der gesamten Gefangenenbewegung.

Das Anstaltsregime ist ein faschistisches Regime. Wenn man die Kreaturen, die an dieser Stelle sitzen, kennt, begreift man den Hass, den sie auf sich ziehen. Kein Mensch kann jahrelang dieser sadistischen Beschäftigung nachgehen ohne zu einem Schlächter zu werden. Manche von ihnen bemühen sich um äußere Ähnlichkeit mit einem Arzt, einem Verwaltungsbeamten oder einer Art Krankenhausdirektor. Der Sadist hat meist ein schlechtes Gewissen, ist tierlieb und gut zu Kindern….

Das Lumpenproletariat im Gefängnis kann sich nur gewaltsam befreien. Die Gefängnisse und Anstalten sind trotz ihrer aufgesetzten Tarnung als Stätten der „Wiederherstellung“ die Internierungslager des sozialen Krieges. .In den Anstalten herrscht das Kriegsrecht. Wer flieht, wird erschossen. Wer Widerstand leistet, wird erschossen, wenn er nicht niedergeschlagen werden kann. Beim Transport werden die Maschinenpistolen geladen und dem Gefangenen an Händen und Füßen Ketten angelegt. Er wird an das Erschießungsrecht erinnert. Die Zahl der von der westdeutschen Justiz ermordeten Gefangenen kann auf mehrere Tausend geschätzt werden. Die Selbstmorde kommen dazu und die zu Krüppeln gemachten Gefangenen und der Wahnsinn, der in diesem Regime gezüchtet wird. Über die Ermordeten gibt es keine präzisen Zahlen – in den offiziellen Statistiken erscheinen nur auf der Flucht erschossene, an Krankheiten und Verletzungen Gestorbene und Selbstmörder. Diese Statistiken sind für jemanden, der die Euthanasie-Methoden der Anstaltsmedizin nicht kennt, nicht zu durchblicken. Wie sich dieses Regime, das ein schlechtes Gewissen hat und Zeugen aus dem Weg zu schaffen versucht, in Zeiten innerer Unruhen gegenüber den Gefangenen verhalten wird, können wir nicht wissen, allenfalls erahnen. Es gibt keine Garantie für das Leben der Gefangenen. Eine größernteils faschistisierte Bevölkerung ist an einer solchen Garantie auch nicht interessiert. Es gibt solche Zufälle, wo man Gefangene findet, die von den Wärtern ganz einfach totgeschlagen wurden. Aber die psychische Grausamkeit der faschistischen Justiz, die in den Gefängnissen und Anstalten herrscht, die Drangsalierung der Gefangenen in Folterzellen, durch Schläge, durch Hunger, Durst, Kälte, Vereinsamung und seelische Quälerei lässt sich nicht auf ein paar „Fälle“ beschränken, die durch die Filter der bürgerlichen Presse an die so genannte „Öffentlichkeit“ gedrungen sind.

Es dringt nur wenig nach außen. Das meiste erstickt schon die Zensur. Den Rest erstickt die Presse, die – genauso wie die Staatsanwaltschaften – Berichte aus den Internierungsanstalten nicht beachtet oder bis zur Unkenntlichkeit verdreht und damit gegen den Absender selbst richtet. Was bekannt wird, ist durch die Filter vieler Interessen gegangen und endet als der Fall, den diese Interessen gerade brauchen oder den irgendeine Clique des Regimes gerade braucht. Der verbrecherische Charakter des Regimes wird davon nicht berührt.

Die Gefangenen erwarten von einer Organisation, die „frei“ ist, dass sie den Terror des Regimes bekämpft und dass sie ihr Leben schützt. Ihr Zweck ist nicht, auf demselben erbärmlichen Niveau „legal“ zu werden, wie das notgedrungen die Internierten selbst sind, also Beschwerden verfassen, Unterschriften zu sammeln usw. Die Organisation muss sich an der terroristischen Struktur des Regimes orientieren und sie muss zum Ziel haben, das Regime vor einer Ausweitung des Terrors und des Verbrechens abzuschrecken: durch Arbeitsstreiks und Befehlstreiks, zu denen eine Organisation in den Anstalten und im ganzem Gebiet des Regimes aufruft (z.B. durch einen illegalen Sender), durch die Bestrafung besonders hervorstechender Beamter, durch beispielhafte Bestrafung der Anstaltsleiter, Staatsanwälte, Richter. Wichtig bei solchen Aktionen des revolutionären Gegenterrors ist, dass die einfachen Angriffstaktiken und hauptsächlich die unbegrenzt verfügbaren primitiven Waffen des Lumpenproletariats benutzt werden; und dass sich die legale Organisation räumlich genügend auseinander zieht, um einen Polizeiangriff immer auf wenige Gruppen begrenzt halten zu können. Die Ziele solcher Aktionen müssen vor den Aktiven in den Gefängnissen und Anstalten angegeben werden






3.

Der immer noch vereinzelte, zufällig und von kleinen Gruppen praktizierte defensive Gegenterror entwickelt sich langsam und in Anlehnung an die militanten Gruppen der Linken. Die Kerne der politischen Organisation des Lumpenproletariats sind klein und ständig wechselnd; es gelingt wenigen, sich überhaupt auf das relativ privilegierte Niveau der politischen Kader außerhalb der Internierung zu bringen. Die Kader sind deshalb isoliert, und diese Isolation von den Massen des Lumpenproletariats und der Arbeitslosen beinhaltet die Gefahr der Unterwanderung durch „Betreuer“ und Gleichgültige, die sich für eine reformistische Linie entscheiden. Die Isolation kann als „politische“ Organisation nach dem herkömmlichen Muster bürgerlicher und linker Organisationen nicht durchbrochen werden. Die politische Organisation, die als bürokratische Etappe immer eine konservative Kraft ist, hat weder den Charakter noch die Struktur einer solchen, die zur Massenbasis werden könnte. Sie nimmt nur einen geringen Raum im Leben der Aktiven ein und ist deshalb auf zufällige und ungeplante Einzelaktionen beschränkt, die außerdem am Mangel an geeignetem Material leiden. Das hauptsächliche Verdienst der politischen Organisation liegt im Nachrichtendienst, beim Transport von Informationen in alle Internierungsgebiete und bei der geschickten Durchstoßung der Zensur. Aber eine Offensive ist von dieser Organisation nicht zu erwarten. Je mehr sie sich verfestigt, um so eher wird sie den „Betreuern“ verfallen, die das „stabile“ Element in ihnen bilden – aufgrund ihrer anderen Klassenherkunft. Die „politischen“ Organisationen sind widersprüchlich und ziellos. Diese Ziellosigkeit ist aber nichts anderes als der Preis der Unmöglichkeit, im „politischen“ Rahmen des Regimes zu bleiben und zugleich den politisch-militärischen Kampf gegen das Regime zu führen. Da die „politische“ Organisation nicht Massen- und Rekrutierungsbasis sein kann, bleibt von ihr nur eine relativ zweitrangige „informative“ Funktion. Allerdings ist eine Propaganda, die ohnmächtig ist, wertlos.

Die wirtschaftliche Krise des Regimes verstärkt die Verelendung des Proletariats und verstärkt das Lumpenproletariat. Andererseits vergrößert sich das militärische und polizeiliche Unterdrückungspotential, das zur Niederschlagung innerer Unruhen und zur Sicherung der Investitionen für das Regime notwendig ist. Das Regime wird den Ausnahmezustand des Lumpenproletariats verschärfen und ihn über größere Teile des arbeitenden Volkes ausdehnen. Ein offen faschistisches Regime kann schließlich gegenüber der gesamten Linken und gegen die arbeitende Bevölkerung denselben Terror anwenden, der bisher gegen das Lumpenproletariat gerichtet war und auch in der arbeitenden Bevölkerung Helfer und Verräter gefunden hat.

In dieser Lage, und angesichts der militärischen Schwäche der sozialistischen Linken, ist die Situation für die Organisation des Lumpenproletariats äußerst günstig, offensiv zu werden. Das Lumpenproletariat ist die einzige Klasse, die von der Unterdrückungsoffensive der Reaktion nicht überrascht wird. Der Terror ist für die Lumpen nichts neues, er gehört zu ihrem Leben, wie schlechtes Wetter. In der Verwirrung, die der auf die Massen gewendete Terror schaffen wird (Verbote, Massenverhaftungen, Todesstrafe für bestimmte Handlungen, Erschießungen) sind die Lumpenproletarier die ersten, die fähig sind, offensiv und militärisch zu kämpfen – während die Arbeiter voraussehbar weiterhin in der Defensive bleiben werden oder in der Masse zur Konterrevolution übergehen. Voraussetzung dieser lumpenproletarischen Offensive ist, dass sich in der Zeit vorher genügend militärische Kader sammeln, die die arbeitslosen und aus den Internierungslagern kommenden Aktiven auf den militärischen Kampf vorbereiten . Diese Vorbereitungen müssen legal oder halblegal und getarnt sein. Notwendig dafür ist eine konsequent militärische berufsmäßige Organisation, die den politischen Teil einschließt, ein kasernenmäßiges Zusammenleben der Einheiten, eine auf dem offenen Kampf ausgerichtete militärische Disziplin und der Einzug von Steuern zum Aufbau einer revolutionären Miliz. In den darauf folgenden Kämpfen und Zusammenstößen mit der Polizei wird die proletarische Miliz zwei Vorteile haben: sie wird rasch anwachsen, weil sie sich im Gegensatz zur „politischen“ Organisation unter den Massen bewegen wird; und sie wird die Kämpfe in der Großstadt als Manöver für den Ernstfall benutzen können und sich dabei die Disziplin und Ausbildung für den bewaffneten Kampf in größeren Einheiten aneignen.“

Gefangenenrat Frankfurt













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