„Komm schon.Jeder hat seine Mauern, seine Bunker, seine Bastille, seinen Himalaya und seine Abgründe. Du denkst doch nicht etwa, daß du anders bist als die anderen, daß für dich alles schwieriger und schmerzhafter ist! Du weißt, daß das nicht stimmt. Du hast sogar Glück, weil du in deinem Inneren dieses Bewusstsein hast. Dir stehen noch so viele Kämpfe bevor! Du stehst erst am Anfang deines Wissens! Wenn du darunter leidest, heißt das, daß du auf dem richtigen Weg bist. Ein Weg, der keine Märtyer, aber den Willen zu Wissen und Kampf braucht. Wie leicht es doch wäre, so leicht, sich der Lethargie der Unterwerfung, des Verzichts, des Akzeptierenes einer bequemen Norm zu ergeben! Komm schon, steh auf, mach was! Der Sirenengesang ist hier das Heulen des Alarms, der von den Schließern ausgelöst wird, um eine Flucht zu melden, der Versuch eines Gefangenen, sich sein Recht zurückzuerobern“ (Charlie Bauer)
Ende 1973 gründete sich der „Gefangenenrat Frankfurt“ – das Jahr über fanden diverse „Rote Hilfe-Aktionen“ für die „politischen Gefangenen“ statt, ein „Folterkommitee“ zur Isolationshaft hatte sich gebildet – dem entgegen positionierte sich der „Gefangenenrat“ explizit für alle entrechteten und entmündigten Anstaltsinsassen, womit sie auch Erziehungs- und Psychiatrienanstalten mit einbezogen. Ihr Ziel: eine überregionale Gefangenenorganisation nach dem Vorbild des „Le Comité d`Action des Prisonniers“ (kurz: CAP). Nach Revolten in französischen Gefängnissen hatten 1972 Gefangene die CAP gegründet und mit der von u.a. Michel Foucault gebildeten„Groupe d`Information sur les prisons“ zusammengearbeitet – letztere scheiterte aber an dem Versuch, die vorwiegend subproletarischen Gefangenen mit dem organisierten Proletariat zusammenzubringen.
Ende 1973 gründete sich der „Gefangenenrat Frankfurt“ – das Jahr über fanden diverse „Rote Hilfe-Aktionen“ für die „politischen Gefangenen“ statt, ein „Folterkommitee“ zur Isolationshaft hatte sich gebildet – dem entgegen positionierte sich der „Gefangenenrat“ explizit für alle entrechteten und entmündigten Anstaltsinsassen, womit sie auch Erziehungs- und Psychiatrienanstalten mit einbezogen. Ihr Ziel: eine überregionale Gefangenenorganisation nach dem Vorbild des „Le Comité d`Action des Prisonniers“ (kurz: CAP). Nach Revolten in französischen Gefängnissen hatten 1972 Gefangene die CAP gegründet und mit der von u.a. Michel Foucault gebildeten„Groupe d`Information sur les prisons“ zusammengearbeitet – letztere scheiterte aber an dem Versuch, die vorwiegend subproletarischen Gefangenen mit dem organisierten Proletariat zusammenzubringen.
Waren anfangs bei der
Gründung des Gefangenenrates auch Studierende und Arbeiter*innen dabei – waren
es dann eigentlich „nur“ noch ehemalige Gefangene – die so natürlich für die in
den Gefängnissen eine bedeutend höhere Glaubwürdigkeit hatten.
Ein eigener
„Nachrichtendienst der Gefangenenräte“ (ND) brachte vor allem Infos aus den
Anstalten und Aktivitäten aus den Gefangenenbewegungen anderer Länder – der
„ND“ war aber auch Organ der Diskussion und Selbstreflektion – Probleme
innerhalb der Gefangenenbewegung , Konzepte und revolutionäre Strategien wurden
diskutiert. In diesem Zusammenhang erschien der nachfolgende Text: „Die drei
Schritte der Gefangenenbewegung“ – die wir hier abdrucken.
In den nachfolgenden
Texten wurde (wird) dem subproletarischen Gefangenen eine besondere Rolle im
Widerstand zugewiesen – was dann fast selbstverständlich viel Kritik aus dem
bürgerlich-akademischen Milieu hervorrief – von „Herausbildung“ einer „neuen
Herrenklasse“ wurde polemisiert – allerdings gerade und vor allem von den
„Herren und Damen“ denen im Text die weitere „Gefolgschaft“ aufgekündigt wurde.
Darin ist die Debatte
noch aktuell – über die Deklassierung der Menschen mit dem „schwarzen Winkel“
in den Lagern der Nazis auch auf Seiten anderer Gefangener bis hin in die
Polemiken und klassistischenAbgrenzungen gegenüber den „Lumpen“ und
„Delinquenten“ heute --- insofern erscheint uns der Text auch heute noch
interessant und aktuell genug – über die Gefängnismauern hinaus –
„Die drei Schritte der
Gefangenenbewegung“ (1975)
1.
Die Gefangenenbewegung beginnt mit dem „Querulanten“. Wir
wollen das ausdrücklich feststellen, um denen entgegenzutreten, die sie mit den
betreuerischen Einflüssen der Studentenbewegung beginnen lassen, und außerdem,
um auf die Entgegengesetztheit beider Bewegungen hinzuweisen.
„Querulanten“ unter den Gefangenen der Gefängnisse und
Anstalten sind diejenigen, die sich „sinnlos“ zur Wehr setzen – die verlorenen,
um sich schlagenden Einzelkämpfer, die ihr Recht von einem Regime
zurückerwarten, das ihnen alles Recht abgenommen hat. Mit den Niederlagen, die
man ihnen beibringt und die ihnen jede Hoffnung abschneiden, verlieren sie
allmählich den Kontakt zur „Realität“: das Einfühlungsvermögen in die Denkweise
des Feindes, dem sie ausgeliefert sind. Der Rest ist Geschäft des
`Dachdeckers`, des Psychologen oder – was dasselbe ist – des Pfaffen. Der
„Querulant“ wird zum Objekt der „Betreuung“ – einer letzten Instanz der
Unterwerfung. Er wird den Studierenden vorgeführt.
Warum die Querulanten die „Politik“ für sich aufgaben oder
allein nie zu einer solchen gekommen sind, hängt hauptsächlich mit den
Niederlagen der proletarischen Politik zusammen. Diese Niederlagen haben einen
großen Teil der Arbeiter, und vor allem das Lumpenproletariat, von den
verräterischen sozialistischen Parteien entfernt und ohne politische
Alternative gelassen.
Während sich die Angestellten und Facharbeiter zu einer
neuen Mittelklasse zusammenschlossen (um die sozialdemokratischen Parteien)
wurde der Widerstand des Proletariats selbst unpolitisch und – vereinzelt –
besonders im Lumpen-und Hilfsarbeiterproletariat kriminell und psychopathisch.
Er fiel in die Reviere der Kriminalpolizei und der Psychiatrie. Seine
Aussichtslosigkeit verlieh ihm jedoch eine besondere Stabilität: Die Denkweise
des verlorenen Lebens, des Desperadotums. Sie hatte ihre aktiv-gewalttätige und
ihre passiv-leidende „krankhafte“ Seite.
Die studentische Linke bemühte sich, vor allem in der Zeit
des SDS, um das Lumpenproletariat als mögliche Hilfstruppe, gab diese Absicht
jedoch einige Jahre später zugleich mit einer als „putschistisch“ erklärten
Strategie auf und verwies das Lumpenproletariat wieder in den Bereich der
sozialen Fürsorge. Der „Marsch durch die Institutionen“, der die
Studentenbewegung schon vor ihren Resten, den demagogischen Parteien der neuen
Bürokraten, verdarb, konnte durch einen lumpenproletarischen Anhang nur
behindert werden. Der kurzfristige Ausflug der neuen intellektuellen
Arbeiterklasse in den gesellschaftlichen Untergrund war damit beendet. Die
„Randgruppenstrategie“ hat dazu eine Reihe sehr wirksamer
Unterdrückungstechniken des Regimes hervorgebracht – teilweise mit aktiver
Mithilfe ehemaliger Größen der Studentenbewegung. Vor allem hat sie
Psychiatrisierung und Psychologisierung der Unterdrückung der gefangenen Lumpen
verstärkt. Zugleich aber hat sie die Lumpen „politisiert“. Diese
„politisierten“, jetzt „politisch“betreuten, das heißt immer zurechtgewiesenen
und von den Studenten bevormundeten Lumpen, blieben nach dem Verschwinden der
linken Botschafter als Zellen einer ansatzweisen lumpenproletarischen Politik
zurück.
Die Entfremdung zwischen studentischer Linken und Lumpen
verwandelte sich in offene und versteckte Feindschaft zweier neuer Klassen: der
intellektuellen Arbeiterklasse und den deklassierten Arbeitern, dem asozial
gewordenen Proletariat. Ein großer Teil des noch von Hand arbeitenden
Proletariats steht in dieser Feindschaft den Lumpen und deklassierten Arbeitern
näher als den Kommunisten, die als Propagandisten der neuen Bürokratie erkannt
werden.
Ein weiterer Aspekt der Vorgeschichte der Gefangenenbewegung
ist der Versuch des Regimes – in einem Zeitabschnitt größter
Unwahrscheinlichkeit innerer Unruhen – die innere, politische und soziale
Unterdrückung mit einem „resozialisierenden“ Charakter zu versehen. Gegenüber
dem Lumpenproletariat sollten ähnliche Methoden der Manipulation, Bestechung
und Vereinzelung angewandt werden, wie sie bei den Arbeitern bereits gewirkt
hatten: durch individuelle Behandlung, Bezahlung nach Leistung, Prämien für „gute
Führung“ und „charakterliche Besserung“ sollte das Lumpenproletariat im
Gefängnis und in der Halbfreiheit unterworfen werden.
Die Anfänge der Resozialisierung liegen in der Zeit der
Verknappung an Arbeitskräften. Die Resozialisierung beginnt deshalb auch
folgerichtig mit einer Erneuerung und Modernisierung der faschistischen
Zwangsarbeitsindustrie. Jedes größere Gefängnis besitzt seitdem im Anschluss an
die Zellenbauten, die meistens aus dem vorigen Jahrhundert stammen, ein
fluchtsicheres, modernes Industriegelände. Diese von der Justiz verwalteten
Zwangsarbeitsindustrien ergeben jährlich für das Regime einige Milliarden
Profit. Hinzu kommen noch die im inneren Dienst von Gefängnissen und
psychiatrischen Haftanstalten, für die Häftlinge und Internierte angestellt
werden. Nach den Angaben eines Anstaltdirektors im Bericht über die Lage der
Psychiatrie führt diese Ausbeutung in den psychiatrischen Haftanstalten dazu,
dass zum Beispiel langjährig Internierte, die sich in irgendeinem Bereich des
Anstaltsbetriebs unentbehrlich gemacht haben, von der Verwaltung nicht
entlassen werden, um im Anstaltsbetrieb keine Lücke zu hinterlassen.
Die Industrialisierung der Zwangsarbeit ist der
wirtschaftliche Kern der Resozialisierung. Die Zwangsarbeit, die vom Staat
beschlagnahmte Sklaverei, war lange im Stadium der Manufaktur geblieben. Mit
der zunehmenden Verteuerung von Handarbeit – und ihrer allmählichen Ablösung
durch Vollautomaten – werden teilmaschinelle, für die nicht genügend freie
Arbeiter zu finden sind und die Lohnzugeständnisse nötig machen, für die
Zwangsarbeitsindustrie lohnend.
Die Folge ist, dass sich in der veralteten Form der
Ausbeutung im Gefängnis der „veraltete“ Arbeiter – der Handarbeiter – wieder
findet und zur Massenarbeit an Fliessbändern diszipliniert wird. (Während die
freie Industrie den „freien“ Arbeiter zu einer Charaktermaske des Regimes, zum
„denkenden Mitarbeiter“ ausrichtet) Die zweite industrielle Revolution der
kapitalistischen Industrie ist also gleichbedeutend mit der industriellen Revolution
in denjenigen Gebieten des Regimes, in denen die Sklaverei herrscht.
Der ideologische Vordergrund dieser industriellen Revolution
der Zwangsarbeit ist die Resozialisierung. Sie soll rechtfertigen und es
ermöglichen, dass der Zwangsarbeiter von der Stufe der Handfertigung auf eine –
wenn auch veraltete – industrielle Stufe „gehoben“ wird. Dazu ist eine
Manipulation, eine „Befreiung“ an ihm nötig. Er muss so weit „frei“ werden, um
ihm ein gewisses Maß an Arbeit lohnend erscheinen zu lassen. Die industrielle
Arbeit besteht zu einem großen Teil aus Akkordarbeit. Akkordarbeit lässt sich
aber nur mit Arbeitern durchführen, die bezahlt werden – in der besonderen Art
der belohnenden und bestrafenden Einzelbezahlung der kapitalistischen
Massenarbeit.
Unbezahlte Arbeiter können zwar durch Aufseher und durch
dauernden äußersten Zwang zur Arbeit getrieben werden, aber sie werden bei
jeder Gelegenheit Widerstand leisten und die Produktion sabotieren. Sie
arbeiten nur, wenn der Druck von außen größer ist als der eigene Widerstand.
Was die Resozialisierung bezweckt, ist vor allem, dass die Zwangsarbeiter aus
eigenem Antrieb im Akkord arbeiten sollen – und zwar durch die Vorstellung
eines „Lohns“. Wie illusionär der Zwangsarbeitslohn ist – gemessen an normalen
Löhnen – spielt hier keine Rolle. Wichtig ist der Tauschwert innerhalb der
Anstalt, die „Zigarettenwährung“ des Lohns (die von der Anstalt zum Zweck der
„Arbeitswilligkeit manipuliert werden kann, indem man von Zeit zu Zeit
Inflationen hervorruft. Dabei spielt meistens noch ein anderer Blutsauger, der
Gefängnis Händler, eine Rolle, dessen Preise eigenartigerweise manchmal doppelt
so hoch sind wie draußen).
Die Resozialisierung, das Lieblingskind der Liberalen, hat
überall in den Internierungslagern, selbst in den psychiatrischen
Haftanstalten, die Akkordarbeit eingeführt – in einem Tempo, wie zur Zeit des
Manchesterkapitalismus und mit dessen Brutalität. Nicht nur der Lohn ist
illusionär, sondern jeder Vergleich mit der „freien“ Massenarbeit. Die
Gefängnisindustrie kommt ohne alles aus, was die Reformer seit den Anfängen der
Industrialisierung an Zugeständnissen für die Arbeiter erreichten.
In den offiziellen Broschüren und in der Presse erscheint
die industrielle Sklaverei als Beweis für die Reformbemühungen und die
Menschlichkeit des Regimes.
Unter den Bürgern können sich die aus der
Gesellschaftsfähigkeit Ausgeschiedenen nicht mehr verständlich machen.
Verschiedene Klassen sprechen verschiedene Sprachen, eine Verständigung ohne
gemeinsame Interessen nicht möglich. Die Ausbeuterklassen begreifen
Unterdrückung und Mord als Menschlichkeit und den Verteidigungskampf der
Unterdrückten dagegen als Verbrechen.
Mit der Industrialisierung der Zwangsarbeit, die die
Gefangenen in Massen an den Fließbändern und in den Montagehallen
zusammendrängte, entstand unter ihnen allmählich eine Form des Widerstands, der
sich von der „Querulanz“ unterscheidet. Die Querulanz war im besten Fall zu
dauernden Dienstaufsichtsbeschwerden und Strafanzeigen gegen die Beamten und
die Anstaltsleitung gelangt und war eine Art Sabotage geworden, die offen oder
verborgen, aber meistens allein, dem Anstaltsregime Widerstand leistete. Mit
der Industrialisierung der Gefängnisse aber kamen die ersten Versuche
kollektiver Sabotage. Die Vereinzelung in den Zellen wurde teilweise
durchbrochen und konnte auch nicht mehr durch die moralisierende, belohnende
und bestrafende „Bezahlung“ ausgeglichen werden. Unterschriftensammlungen,
Sitzstreiks, sogar Arbeitsstreiks, die den Profistrom der Anstalten plötzlich abschneiden
konnten, waren möglich geworden. Mit der Industrialisierung der Gefängnisse
hatte sich das Regime ihre Anfälligkeit für Streiks eingehandelt.
Mit der Resozialisierungsideologie entstand im
Kleinbürgertum, bei den Liberalen und bei den Studenten eine Schwärmerei für
die Gefangenen. Sie wurde von der Justiz mit Wohlwollen ausgenutzt. Sie selber
malte das Bild des Ausgestoßenen der bürgerlichen Gesellschaft, des überall
Zurückgewiesenen – ein Bild, das reale Momente hat, die sich ohne Mühe auffinden
ließen –und damit die Fürsorgeinstinkte des Kleinbürgertums und aller nicht
direkt Extremen hervorzurufen und für die „Gefangenenbetreuung“ einzusetzen.
Die proletarischen Gefangenen sollten von ihrem „Milieu“, dem Leben ihrer
Klasse und von der Vergangenheit, die hinter ihnen lag, getrennt werden und in
kleinbürgerliches Milieu, Wohngemeinschaften, ins Milieu „sozialer“ Bürger
verpflanzt werden. Diese Unterwerfungsideologie, an der sich auch ein Teil der
Linken beteiligte, hat unter dem Lumpenproletariat teilweise groteske
Anpassungshaltungen erzeugt und viele der politisch Intelligenten seelisch
verkrüppelt.
Trotz der ungeheuren Ohnmacht der manipulierenden
Unterwerfung begann die politische Bewegung der Gefangenen. Sie benutzte zwar
noch die Schablonen der Linken, aber es war offensichtlich, dass ihr
Klasseninhalt neu war und nichts mit den versteinerten und spitzfindigen
Begriffen der Linken, die sie aus den Texten der Vergangenheit kopierten,
anfangen konnte. Was bisher „links“ war, war von derselben Sorte, die für das
Lumpenproletariat auch ohne irgendwelche Theorien eindeutig Feind war. Ein
rechter und ein linker Student – oder „intellektueller Beamter“ – sind für
Menschen, die den Intellektuellen der so genannten „sozialen Berufe“ auf die
erbärmlichste Weise einzeln ausgeliefert sind und den Studenten wie in einem
Zoo gezeigt werden, kein politischer Unterschied mehr, der sie interessiert.
Die Revolte in Bruchsal – von den bürgerlichen Zeitungen
wurde sie aufs schlechte Essen heruntergespielt – war der erste Ausbruch dieser
neuen Bewegung. Die Justiz antwortete mit grotesken Strafmassnahmen. Die
angeblichen „Rädelsführer“ wurden auf andere Anstalten verteilt und werden seit
eineinhalb Jahren von einer Anstalt in die andere verschubt, um sie nirgends sesshaft
werden zu lassen. Sie werden von den anderen Gefangenen getrennt.“
2.
Die politische Bewegung der proletarischen Gefangenen und
des Lumpenproletariats existiert ansatzweise und noch ohne endgültige
Organisation. Die Vereinigungen gehen – z.B. innerhalb der Gefängnisse – von
den nächstliegenden gemeinsamen Interessen aus, wobei aber in allen Petitionen
und Forderungen die Notwendigkeit des politischen Kampfes und die völlige
Aussichtslosigkeit geringster Forderungen und Verbesserungen durchscheint. Die
politische Organisation der Gefangenen und des Lumpenproletariats entsteht aus
den Einzelelementen der Lage der Klasse. Und in dem Maße, wie sich die
Einzelelemente zu einer begreifbaren Verallgemeinerung dieser Lage
zusammenfügen lassen, wird die Bewegung politisch.
Mit der Vereinigung wächst auch die revolutionäre
Intelligenz der Klasse. Sie erscheint nicht mehr als Störung der Geschichte,
sondern als ihre Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit.
Der Begriff der Klassenorganisation heben die Begriffe des
Regimes auf, die zu Beginn der Bewegung noch bestimmend sind: „Gefangener“,
„Patient“ „Obdachloser“, „Arbeitsloser“ sind Begriffe der Ohnmacht. Sie sind
rein verneinend und verschleiern den Umfang der Unterdrückung wie den Umfang
des Widerstands, den das Lumpenproletariat gegen das Regime zu leisten vermag.
Mit der Klassenorganisation entsteht ein revolutionärer Intellekt, der sich
durch das Nachrichtensystem der Organisationen verbreitet und Handlung
zuwegebringt, die alle verneinenden, betreuerischen Bezeichnungen des Regimes
eindeutig widerlegen und eine Front gleichwertiger Kämpfer zwischen dem Regime
und der lumpenproletarischen Organisation herstellen. Die ideologischen
Nachahmungen der sozialen Klassen verfallen. Die Asozialen und Enteigneten des
Besitz-Regimes bekennen sich zu ihrer eigenen Existenz, statt unter der Tarnung
anderer Klassen zu leben.
Alle Klassen sind im Gefängnis vertreten. Jedoch so, wie
alle Klassen in der Straßenbahn vertreten sind: nicht repräsentativ. Die
Oberklassen fehlen, oder es kommen aus ihnen nur die Deklassierten, die schon
abgeschrieben sind: die bürgerlichen Psychopathen. Das Lumpenproletariat ist im
Gefängnis die Mehrheit. Es gibt nur einen gewissen Prozentsatz „Fremde“ mit
bürgerlichen Delikten: einen gewissen Prozentsatz kleinbürgerlicher
Psychopathen oder deklassierter Geschäftemacher, veralteter Händler usw. Diese
Elemente stehen außerhalb der Gefangenenbewegung. Sie sind politisch oder
reaktionär. Ein großer Teil der Verräter und Helfer des Anstaltsregimes kommt
aus dieser Gruppe. Sie sind der übliche Gesprächspartner der Anstaltsleitung
bei den Konferenzen der so genannten „Gefangenenmitverwaltung“ oder der
Psychologen bei den Versuchen von „Gruppentherapie“.
Heute ist die Haltung der Linken gegenüber den Gefangenen
reformistisch. Die linke Politik hat die Gefangenen „angesteckt“, aber die Zeit
der sozialromantischen „Randgruppenstrategie“ ist vorbei. In den linken
Organisationen stößt das Lumpenproletariat auf eine Ablehnung, die leicht klassistische Züge annimmt und sich in nichts vom allgemeinen bürgerlichen
Horror gegenüber den Lumpen unterscheidet. Die linke Strategie der aufs Gesetz
bauenden Institutionenveränderung, die für einen großen Teil der Linken die
Rationalisierung ihres Abschieds von der Revolution war, gestattet ihnen in den
„sozialen Berufen“ die offene Zusammenarbeit mit dem Regime.
Die Abkehr der Linken hebt die Trennung der Klassen ins
Bewusstsein, die tiefer und dauerhafter ist als irgendwelche Abneigungen oder
Meinungen. Die politisch Aktiven innerhalb und außerhalb der Anstalten
erkannten, wie weit sie von sich selbst entfernt waren, solange sie kritiklos
die von den Studentenparteien formulierte Politik übernommen hatten. Die
Trennung von den Linken, die von ihnen ausging, nahm bald die eindeutigen
Formen eines neuen Klassenkampfes zwischen der neuen Bürokratie und den Lumpen
an: gegenseitiges Hinausdrängen aus den Gruppen und Organisationen oder aus den
besetzten Häusern, gegenseitiges Misstrauen und gegenseitiger Verrat. Dieser
Kampf spielt sich nur scheinbar auf der „psychologischen“ Oberfläche ab.
Die studentische und intellektuelle Linke, die sich unter den Lumpen Rausschmeißer, Denunzianten(Verräter), Spitzel und regelrechtes Dienstboten- und Bedienungspersonal angeworben hat, ist halb unbewusst zu den Taktiken des Regimes übergegangen, die das Lumpenproletariat und Hilfsarbeiterproletariat spalten sollten. Zu den Spitzeln des Regimes kommen die aufgehetzten Ahnungslosen und die Verräter, die von der linken Seite ausgeschickt werden.
Die studentische und intellektuelle Linke, die sich unter den Lumpen Rausschmeißer, Denunzianten(Verräter), Spitzel und regelrechtes Dienstboten- und Bedienungspersonal angeworben hat, ist halb unbewusst zu den Taktiken des Regimes übergegangen, die das Lumpenproletariat und Hilfsarbeiterproletariat spalten sollten. Zu den Spitzeln des Regimes kommen die aufgehetzten Ahnungslosen und die Verräter, die von der linken Seite ausgeschickt werden.
Gegenüber dem Lumpenproletariat ist das kapitalistische
Regime faschistisch. Es unterscheidet sich nicht grundsätzlich vom Nazi-Regime.
Die demokratische „Reform“ des Naziregimes betrifft andere (besitzende)
Klassen, nicht das Lumpenproletariat. Das Verhältnis des Regimes gegenüber den
Lumpen und de Hilfsarbeitern hat sich nicht demokratisiert. Von daher ist schon
jede Diskussion über Strafrecht usw. verfehlt, ganz und gar überflüssig –wie
überhaupt der größte Teil der „Wissenschaft“ des Regimes außerhalb des
Unterdrückungsapparates psychopathischer Unsinn ist. Das Regime hat nichts
derartiges wie ein „Recht“ gegenüber den Lumpen. Hier gelten keine bürgerlichen
Gesetze, die von den Bürgern selbst anerkannt worden sind oder zumindest für
sie von Nutzen sein können, indem sie den Eigentümer vor Diebstahl und Raub
schützen. Das Regime ist gegenüber dem asozialisierten Proletariat gesetzlos –
wie das Naziregime gegenüber den Arbeitern und den Juden. Es ist ein
verbrecherisches Regime. Diese Bezeichnung ist nicht einmal bildhaft. Sie ist
die logische Bezeichnung für die Abwesenheit von „Recht“ oder überhaupt einer
menschlichen Vereinbarung, was das Lumpenproletariat betrifft. Damit sind die
Beamten, Politiker, Hintermänner, Zivilisten und Uniformierte des Regimes
Verbrecher – sie erwartet der Prozess und keine Weiterbeschäftigung unter einem
Regime der „Volksfront“, die sie aber selbst verhindern werden.
In den politischen Organisationen des Lumpenproletariats
treffen zwei hauptsächliche Tendenzen aufeinander, die nur scheinbar
verschiedenen Ursprungs sind. Die erste Tendenz ist eine halb verdorbene, halb
gleichgültige Anpassung an den Stil politischer Organisationen, den man von der
Linken oder von der Sozialhilfe gewohnt ist und besteht in der Nachahmung eines
Verhaltens und einer Politik, von der man annimmt, „dass sie so sein muss“.
Diese Nachahmung, mit der man für sich und für andere einige Verbesserungen,
Vergünstigungen oder irgendwelche Vorteile herausschlagen will, wird schnell
vom Milieu ausgenutzt, das, weil sich niemand mit den nachgeahmten Problemen
und Grundsätzen einverstanden erklärt, die ganze Sache hemmungslos zu Geld
macht. (Die reformistische Gefangenengewerkschaft verschwand auf diese Weise
und ihre Kasse verschwand mit ihr). Der Grund für die verdeckte Verderbtheit
der reformistischen Organisationen ist die tiefe Resignation und die
berechtigte Skepsis – oder Gleichgültigkeit der Lumpen und Hilfsarbeiter, die
ihnen angehören, vor allem, wenn es sich um betreuerische Zusammensetzungen
handelt.
Die Lumpen glauben nicht an die Echtheit „politischer“
Überzeugungen. Sie sehen in politischen Organisationen praktische Zwecke: den persönlichen
Nutzen, den jeder aus ihnen herausschlägt – mit derselben Gerissenheit, mit der
man sich sonst über Wasser halten muss. Diese Haltung beweist, wie weit die
Lumpen von der „Politik“ entfernt sind und wie „natürlich“ in dieser Lage der
Verrat und die Bestechung – oder die politische Gleichgültigkeit ist. Für diese
Sicht ist es ganz verständlich, dass ein solches Unternehmen später für einige
zum Geschäft wird und in Schieberei endet. Etwas anderes könnte man nicht
erwarten und wird nicht erwartet. Die „Bestechlichkeit“ der Lumpen ist etwas,
was die Linken nicht verstehen. Sie missverstehen die scheinbar Bereitschaft
der Lumpen, sich benutzen zu lassen, als ihre „Eigenschaft“ .Die Linken
verhalten sich in dieser Frage eigenartigerweise völlig unmarxistisch. Bei der
psychologischen Diskriminierung der Lumpen – unter dem Schleier der Betreuung –
sind sich daher die Reaktion und die Linke im wesentlichen einig.
In jeder Gruppe oder Organisation, in der Lumpen vertreten
sind, wird als Gegensatz zu der Fraktion der Gleichgültigen die terroristische
Fraktion auftauchen, die wahre Stimme des Lumpenproletariats. Sie verkörpert
das Heldentum und alle großen Eigenschaften, die das Lumpenproletariat in der
Vergangenheit bewiesen hat. Dieser Terrorismus ist naiv – deshalb aber zu
sagen, er sei falsch, ist Unsinn. Wenn man ihn ausschließt, schließt man die
politische Entwicklung des Lumpenproletariats überhaupt aus. Das Bewusstsein,
immer der Betrogene zu sein – die realistische Kehrseite der Bestechlichkeit –
kennzeichnet auch die Terroristen. Ebenso wie die Gleichgültigen glauben die
Terroristen nicht an die gemeinsame Aktion, auch sie denken meist noch in
vereinzelten Kategorien. Dieser Individualismus wird durch die gefühlsmäßige
Annäherung an die RAF verstärkt, deren Ideologie allerdings selbst der
terroristischen Fraktion wenig sagt. Nicht zu wissen, wie eine
lumpenproletarische Politik aussehen soll, bedeutet nicht, dass sich eine
beliebige dafür angeben lässt. Die Nachahmung einer „konspirativen“ Taktik behindert
die militante Organisierung und endet leicht in Resignation, wenn man
feststellt, dass zu einer konspirativen Taktik die personellen und sachlichen
Mittel einer privilegierten Herkunft und privilegierter Beziehungen fehlen, wie
sie für die RAF kennzeichnend sind.
In Gruppen und Organisationen, in denen die studentische
Linke noch beherrschend ist, geht sie meistens eine Verbindung mit der
gleichgültigen Fraktion ein, die sich ihren Maßstäben von Legalität und
„politischer Bewusstheit“ eher anpasst. Die Linke ist sich mit der
reaktionärsten Sozialpädagogik darin einig, dass das Lumpenproletariat nicht
revolutionär sein kann – und daher für die Lumpen der aufs Recht bauende Weg
der richtige ist. Die Betreuer sind das dritte Element lumpenproletarischer Politik.
Ob es gelingt, sich völlig von ihrer Herrschaft zu befreien, wird entscheiden,
wie diese Politik beschaffen sein wird. Die ersten politischen Gruppen bildeten
sich im Anschluss an Betreuungsorganisationen. Viele wurden davon vernichtet.
Die neuen eigenständigeren lumpenproletarischen Gruppen und Organisationen
schleppen noch den Stil dieser studentischen Organisationen mit sich. Viele
Aktive sind dadurch zu Nachahmern ihrer „Betreuer“ geworden und ein Hindernis
im Kampf um die Radikalisierung der Bewegung. Die Betreuer erwiesen sich für
die politische Emanzipation später immer mehr als hinderlich: zur äußeren
Stabilisierung waren sie von einigem Wert.
Die Anfänge der Gefangenenbewegung setzen im Grossen fort,
was Erfahrung des Widerstands der Querulanten war: die hoffnungslosen
juristischen Gefechte, die nur einen Sinn als Sabotage der Justizmaschinerie
haben und auch zuletzt von den meisten Aktiven so gehandhabt wurde. Man
erreichte die punktuelle Überlastung durch massenhafte Beschwerden und Anzeigen.
Aber die Bürokraten haben mehr Zeit als die Gefangenen. Beschwerden und
Strafanzeigen verschwanden im Papierkorb, die Antwort blieb einfach weg.
Begründungen unterblieben. Die meisten Strafanzeigen und Beschwerden sind im
Sinne des bürgerlichen Strafgesetzbuches und der Dienst-und Vollzugsordnung
berechtigt – sie werden pauschal abgelehnt und deshalb ebenso pauschal
geschrieben.
Die Gefangenenbewegung wird durch die Anstaltsmauern
zerschnitten: sie trennt die Kader „innen“ von denen „draußen“, und die
Verständigung zwischen beiden findet unter den Augen des Zensors oder des
Beamten im Besuchsraum statt. Ein großer Teil der Post wird beschlagnahmt. Ein
Teil verschwindet. Gedruckte Informationen, außer der des Regimes wird ständig
beschlagnahmt. Diese Umstände verzerren die Verständigung zwischen innen und
außen und zwingt dazu, in der andeutungsweisen, unpräzisen Sprache des Knasts
zu sprechen. Das Problem der Isolierung,der Abschottung einzelner oder ganzer
Gruppen durch das Anstaltsregime wurde von den Anwälten der RAF deutlich
gemacht. Aber es ist das Problem der gesamten Gefangenenbewegung.
Das Anstaltsregime ist ein faschistisches Regime. Wenn man
die Kreaturen, die an dieser Stelle sitzen, kennt, begreift man den Hass, den
sie auf sich ziehen. Kein Mensch kann jahrelang dieser sadistischen
Beschäftigung nachgehen ohne zu einem Schlächter zu werden. Manche von ihnen
bemühen sich um äußere Ähnlichkeit mit einem Arzt, einem Verwaltungsbeamten
oder einer Art Krankenhausdirektor. Der Sadist hat meist ein schlechtes
Gewissen, ist tierlieb und gut zu Kindern….
Das Lumpenproletariat im Gefängnis kann sich nur gewaltsam
befreien. Die Gefängnisse und Anstalten sind trotz ihrer aufgesetzten Tarnung
als Stätten der „Wiederherstellung“ die Internierungslager des sozialen
Krieges. .In den Anstalten herrscht das Kriegsrecht. Wer flieht, wird
erschossen. Wer Widerstand leistet, wird erschossen, wenn er nicht
niedergeschlagen werden kann. Beim Transport werden die Maschinenpistolen
geladen und dem Gefangenen an Händen und Füßen Ketten angelegt. Er wird an das
Erschießungsrecht erinnert. Die Zahl der von der westdeutschen Justiz
ermordeten Gefangenen kann auf mehrere Tausend geschätzt werden. Die
Selbstmorde kommen dazu und die zu Krüppeln gemachten Gefangenen und der Wahnsinn,
der in diesem Regime gezüchtet wird. Über die Ermordeten gibt es keine präzisen
Zahlen – in den offiziellen Statistiken erscheinen nur auf der Flucht
erschossene, an Krankheiten und Verletzungen Gestorbene und Selbstmörder. Diese
Statistiken sind für jemanden, der die Euthanasie-Methoden der Anstaltsmedizin
nicht kennt, nicht zu durchblicken. Wie sich dieses Regime, das ein schlechtes
Gewissen hat und Zeugen aus dem Weg zu schaffen versucht, in Zeiten innerer
Unruhen gegenüber den Gefangenen verhalten wird, können wir nicht wissen,
allenfalls erahnen. Es gibt keine Garantie für das Leben der Gefangenen. Eine
größernteils faschistisierte Bevölkerung ist an einer solchen Garantie auch
nicht interessiert. Es gibt solche Zufälle, wo man Gefangene findet, die von
den Wärtern ganz einfach totgeschlagen wurden. Aber die psychische Grausamkeit
der faschistischen Justiz, die in den Gefängnissen und Anstalten herrscht, die
Drangsalierung der Gefangenen in Folterzellen, durch Schläge, durch Hunger,
Durst, Kälte, Vereinsamung und seelische Quälerei lässt sich nicht auf ein paar
„Fälle“ beschränken, die durch die Filter der bürgerlichen Presse an die so
genannte „Öffentlichkeit“ gedrungen sind.
Es dringt nur wenig nach außen. Das meiste erstickt schon
die Zensur. Den Rest erstickt die Presse, die – genauso wie die
Staatsanwaltschaften – Berichte aus den Internierungsanstalten nicht beachtet
oder bis zur Unkenntlichkeit verdreht und damit gegen den Absender selbst
richtet. Was bekannt wird, ist durch die Filter vieler Interessen gegangen und
endet als der Fall, den diese Interessen gerade brauchen oder den irgendeine
Clique des Regimes gerade braucht. Der verbrecherische Charakter des Regimes
wird davon nicht berührt.
Die Gefangenen erwarten von einer Organisation, die „frei“
ist, dass sie den Terror des Regimes bekämpft und dass sie ihr Leben schützt.
Ihr Zweck ist nicht, auf demselben erbärmlichen Niveau „legal“ zu werden, wie
das notgedrungen die Internierten selbst sind, also Beschwerden verfassen,
Unterschriften zu sammeln usw. Die Organisation muss sich an der
terroristischen Struktur des Regimes orientieren und sie muss zum Ziel haben,
das Regime vor einer Ausweitung des Terrors und des Verbrechens abzuschrecken:
durch Arbeitsstreiks und Befehlstreiks, zu denen eine Organisation in den
Anstalten und im ganzem Gebiet des Regimes aufruft (z.B. durch einen illegalen
Sender), durch die Bestrafung besonders hervorstechender Beamter, durch
beispielhafte Bestrafung der Anstaltsleiter, Staatsanwälte, Richter. Wichtig bei
solchen Aktionen des revolutionären Gegenterrors ist, dass die einfachen
Angriffstaktiken und hauptsächlich die unbegrenzt verfügbaren primitiven Waffen
des Lumpenproletariats benutzt werden; und dass sich die legale Organisation
räumlich genügend auseinander zieht, um einen Polizeiangriff immer auf wenige
Gruppen begrenzt halten zu können. Die Ziele solcher Aktionen müssen vor den
Aktiven in den Gefängnissen und Anstalten angegeben werden
3.
Der immer noch vereinzelte, zufällig und von kleinen Gruppen
praktizierte defensive Gegenterror entwickelt sich langsam und in Anlehnung an
die militanten Gruppen der Linken. Die Kerne der politischen Organisation des
Lumpenproletariats sind klein und ständig wechselnd; es gelingt wenigen, sich
überhaupt auf das relativ privilegierte Niveau der politischen Kader außerhalb
der Internierung zu bringen. Die Kader sind deshalb isoliert, und diese
Isolation von den Massen des Lumpenproletariats und der Arbeitslosen beinhaltet
die Gefahr der Unterwanderung durch „Betreuer“ und Gleichgültige, die sich für
eine reformistische Linie entscheiden. Die Isolation kann als „politische“
Organisation nach dem herkömmlichen Muster bürgerlicher und linker
Organisationen nicht durchbrochen werden. Die politische Organisation, die als
bürokratische Etappe immer eine konservative Kraft ist, hat weder den Charakter
noch die Struktur einer solchen, die zur Massenbasis werden könnte. Sie nimmt
nur einen geringen Raum im Leben der Aktiven ein und ist deshalb auf zufällige
und ungeplante Einzelaktionen beschränkt, die außerdem am Mangel an geeignetem
Material leiden. Das hauptsächliche Verdienst der politischen Organisation
liegt im Nachrichtendienst, beim Transport von Informationen in alle
Internierungsgebiete und bei der geschickten Durchstoßung der Zensur. Aber eine
Offensive ist von dieser Organisation nicht zu erwarten. Je mehr sie sich verfestigt,
um so eher wird sie den „Betreuern“ verfallen, die das „stabile“ Element in
ihnen bilden – aufgrund ihrer anderen Klassenherkunft. Die „politischen“
Organisationen sind widersprüchlich und ziellos. Diese Ziellosigkeit ist aber
nichts anderes als der Preis der Unmöglichkeit, im „politischen“ Rahmen des
Regimes zu bleiben und zugleich den politisch-militärischen Kampf gegen das
Regime zu führen. Da die „politische“ Organisation nicht Massen- und
Rekrutierungsbasis sein kann, bleibt von ihr nur eine relativ zweitrangige
„informative“ Funktion. Allerdings ist eine Propaganda, die ohnmächtig ist,
wertlos.
Die wirtschaftliche Krise des Regimes verstärkt die
Verelendung des Proletariats und verstärkt das Lumpenproletariat. Andererseits
vergrößert sich das militärische und polizeiliche Unterdrückungspotential, das
zur Niederschlagung innerer Unruhen und zur Sicherung der Investitionen für das
Regime notwendig ist. Das Regime wird den Ausnahmezustand des
Lumpenproletariats verschärfen und ihn über größere Teile des arbeitenden
Volkes ausdehnen. Ein offen faschistisches Regime kann schließlich gegenüber
der gesamten Linken und gegen die arbeitende Bevölkerung denselben Terror
anwenden, der bisher gegen das Lumpenproletariat gerichtet war und auch in der
arbeitenden Bevölkerung Helfer und Verräter gefunden hat.
In dieser Lage, und angesichts der militärischen Schwäche
der sozialistischen Linken, ist die Situation für die Organisation des
Lumpenproletariats äußerst günstig, offensiv zu werden. Das Lumpenproletariat
ist die einzige Klasse, die von der Unterdrückungsoffensive der Reaktion nicht
überrascht wird. Der Terror ist für die Lumpen nichts neues, er gehört zu ihrem
Leben, wie schlechtes Wetter. In der Verwirrung, die der auf die Massen
gewendete Terror schaffen wird (Verbote, Massenverhaftungen, Todesstrafe für
bestimmte Handlungen, Erschießungen) sind die Lumpenproletarier die ersten, die
fähig sind, offensiv und militärisch zu kämpfen – während die Arbeiter
voraussehbar weiterhin in der Defensive bleiben werden oder in der Masse zur
Konterrevolution übergehen. Voraussetzung dieser lumpenproletarischen Offensive
ist, dass sich in der Zeit vorher genügend militärische Kader sammeln, die die
arbeitslosen und aus den Internierungslagern kommenden Aktiven auf den militärischen
Kampf vorbereiten . Diese Vorbereitungen müssen legal oder halblegal und
getarnt sein. Notwendig dafür ist eine konsequent militärische berufsmäßige
Organisation, die den politischen Teil einschließt, ein kasernenmäßiges
Zusammenleben der Einheiten, eine auf dem offenen Kampf ausgerichtete
militärische Disziplin und der Einzug von Steuern zum Aufbau einer
revolutionären Miliz. In den darauf folgenden Kämpfen und Zusammenstößen mit
der Polizei wird die proletarische Miliz zwei Vorteile haben: sie wird rasch
anwachsen, weil sie sich im Gegensatz zur „politischen“ Organisation unter den
Massen bewegen wird; und sie wird die Kämpfe in der Großstadt als Manöver für
den Ernstfall benutzen können und sich dabei die Disziplin und Ausbildung für
den bewaffneten Kampf in größeren Einheiten aneignen.“
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