Mittwoch, 27. Juli 2016

Wir brauchen eine knastkritische feministische Bewegung wie auch eine knastkritische Antifa ... (aus einem Interview mit einer Aktivistin aus Oakland, Original 2014)

Hallo, ich spreche mit jetzt mit einer Aktivistin aus Oakland Kalifornien, die die Knastkämpfe dort mitbekommen hat und Soliarbeit mitorganisiert. Li, möchtest du uns einen Überblick über den Widerstand gegen das Knastsystem in den USA erzählen?








Der Widerstand hier in Kalifornien hat sich in den letzten Jahren vor allem gegen Isohaft gerichtet und gegen die folterähnlichen Bedingungen bzw. die Bedingungen, die inzwischen als Folter bezeichnet werden in der Isohaft . Isohaft betrifft hier wahnsinnig viele Leute, also erstmal: Knast bzw.das Knastsystem in den USA betrifft wahnsinnig viele Leute, in einem viel größeren Ausmaß als in Deutschland oder in vielen anderen Industrienationen in der Welt und ich glaube, dass sich dagegen vor allem die knastkritische Bewegung hier in den USA wendet, unter anderem.

Es gab mehrere Hungerstreiks in den letzten Jahren schon, unter anderem einen im Jahre 2011, der aber dann beendet wurde, weil die Regierung gesagt hat, ja, sie werden sich kümmern zu den Themen, die gefordert werden, aber es hat sich dann nichts verändert, es hat die Situation nur verschlimmert und dann wurden Anfang diesen Jahres Stimmen lauter, die sagten, es werde wieder ein Streik geplant und wir haben von außen überlegt, wie können wir das unterstützen. Mitte Juni gab es einen Streik, der zwei Monate gedauert hatte, und zwar nicht nur ein Hungerstreik sondern auch ein Arbeitsstreik, also, in den Gefängnissen wurde die Arbeit niedergelegt. Was nun bemerkenswert war an dem Hungerstreik , meiner Meinung nach, war die Anzahl der Menschen, die sich daran beteiligt haben. Über 33 000 Gefangene haben aufgehört zu essen – mit der Zeit wurden es in den nächsten Wochen immer weniger, aber diese Zahl – 33 000 – allein in Kalifornien – erschien mir bis dahin unvorstellbar.

Es fing an in einem Gefängnis in Nordkalifornien – Pelican Bay - . als wir die Soliarbeit begannen, dachten wir draußen alle, o.k. das passiert jetzt hier in Pelican Bay, doch dann verbreitete sich der Streik  hinaus bis in den Süden von Kalifornien.
Was bemerkenswert war, von Anfang an wurde gesagt, wir –also die Gefangenen – hören nicht auf, bis unsere Forderungen angenommen werden, weil einfach aus der Erfahrung gesagt wurde, in der Vergangenheit wurde von der Regierung was versprochen, es wurde verhandelt und dann kam nichts dabei raus.



Dieses Mal wurde gesagt, wir machen unseren Hungerstreik, bis verhandelt wird oder einer von uns stirbt. Leider kam es in den beiden Monaten dazu, dass einer an den folgen des Hungerstreiks gestorben ist.

Welche Überlegungen gab es denn von Solikreis zur Unterstützung?

Ich denke, das was interessant und wichtig ist an diesen Protesten , dass Streiks und Proteste von innen geführt worden, und das das von außen respektiert und anerkannt wurde, d.h. von außen wurde lediglich Soliarbeit nach innen gemacht in der Form, wie es halt von innen nicht möglich ist, z.b. Kontakt zur Presse halten, wenn die nicht in die Gefängnisse kam, oder öffentliche Mitteilungen schicken, weil drinnen es ja keinen Zugang für die Gefangenen zum Internet gibt, telefonieren von innen teuer ist, - so wurde ein guter Kontakt zu den Gefangenen gehalten, vielleicht auch, weil einige NGOs beteiligt waren, deren Aufgabe sowieso Gefangenenarbeit war, und die schon vorher im Kontakt standen.
Bemerkenswert wie viel Kontakt von innen nach außen existierte, obwohl es reguliert wurde, und die Knastleitung logischerweise keinerlei Interesse hatte, dass Informationen nach außen kommen. Hinzu kamen dann von außen Solidemos, öffentliche Besuche am Wohnsitz des kalifornischen Gouverneurs usw.
Herausragend dabei ist, dass die Familienangehörigen und die, die den Gfangenen sonst wie nahe standen, bei all dem eine zentrale Rolle gespielt haben und öffentlich auftraten.
In den USA sind etwa 0.76 Prozent der dortigen Menschen inhaftiert, im Vergleich dazu in Deutschland 0.078 Prozent der Menschen –also 10 mal soviel. Kann das einer der gründe sein, warum das Thema in der US-amerikanischen Gesellschaft so stark behandelt wird?





Ja schon, weil es viel mehr Leute betrifft und auch eine größere Bewegung gegen den „Gefängnisindustriekomplex“ gibt und ich glaube das es in den USA bekannt ist, dass es ein gesellschaftlich gebeuteltes Phänomen ist , also, dass die Regierung Knäste will, damit Profit macht, dass Firmen Profit machen, also die privatisierten Knäste, und das es nicht nur  ein kapitalistisches System ist sondern auch ein klar rassistisches.
Heute sind in den USA mehr Schwarze Menschen in den Knästen als je in den USA versklavt waren. Es sind mehr schwarze Männer entsprechend dem Alter in den Gefängnissen als in Colleges und das ist gesellschaftlich gewollt. Und das macht Sinn, dies zu bekämpfen.





Also hier in bestimmten Bevölkerungsschichten kennt fast jede/r eine/n, die im Knast ist und ich glaube, das dies auch ein Ausdruck der Us-amerikanischen neoliberalen Politik ist – in bestimmten Bezirken wird von der „Prison go to Prison Pipeline „ gesprochen, also der Pipeline, die die Schulen und die Gefängnisse verbindet.D.h. Es sind oft arme Stadtviertel oder arme Städte wie Oakland, die historisch eine Arbeiter*innenstadt ist und eine schwarze Stadt, also mit einem sehr hohen Anteil schwarzer Bevölkerung. Es gibt Regionen, wo den Schüler*innen in den Schulen schon klar ist, wenn sie aus der Schule rauskommen, ein großer Prozentsatz von ihnen landet im Knast.  Und das ist in der Regierung auch bekannt. Statt nun soziale Maßnahmen dagegen zu entwickeln, Geld zur Verfügung zu stellen, Obdachlosenhäuser zur Verfügung zu stellen, wird dies als Methode gesehen, die Armen von der Straße zu kriegen. Das ist ein Angriff auf die Ärmsten in der Bevölkerung und ist ein rassistischer Angriff und das wird von den Leuten so verstanden und auch so weitergeben …








Es gibt Gruppen, die sich speziell auf diesen Rassismus hin engagieren und ich habe gelesen dass es auch Gruppen gibt, die speziell Transmenschen unterstützen. .die wohl auch in andere Knäste, also die zu ihnen gehörenden Frauenknäste wollen weil sie im Männerknast sehr viel Gewalt gegen sich erfahren  „


Ja, das Problem ist wenn eine Geschlechtseinteilung gemacht wird, so wird in der Regel nach den Genitalien gemacht und das bedeutet viel Gefahr , ist verbunden mit sexualisierter Gewalt und ein nicht Anerkennen der eigenen Identität, worunter diese Leute halt leiden. Auf verschiedenen Ebenen ist das Problem erkannt , es gibt Queergemeinschaften, die sich regelmäßig treffen, Briefe in die Knäste schreiben und die Community im Knast unterstützen und es gibt Organisationen die im Besonderen Transmenschen im Knast unterstützen und die dann auch Transmenschen in die Leitungen ihrer Organisationen wählen am besten dann noch die, die schon mal im Knast waren …und wenn wir uns den Widerstand in den USA ansehen, wird er von vielen NGO`s getragen , die sich spezialisiert haben, es gibt Organisationen, die sich um Frauen mit Kindern in den Knästen kümmern oder Frauen die aufgrund von häuslicher Gewalt in die Knäste gelandet sind, Organisationen, die sich um Transmenschen kümmern, Organisationen, die sich um schwarze Männer im Knast kümmern usw. und was sie alle eint, ist, dass sie die Menschen die jeweils am meisten betroffen sind, in ihre Leitungsfunktionen beförderndiese Entwicklung gibt es seit einigen Jahren, weil anerkannt wurde, dass die Menschen, die am meisten betroffen sind, auch am meisten dazu sagen können und am meisten Veränderungen bringen… wenn wir das mit Deutschland vergleichen, mit der Knastbewegung bei euch, kann diese NGOisierung  ein Fluch wie ein Segen sein, zum einen sind viele Organisationen dabei bei der Knastarbeit und machen eine Arbeit, die andere in dem Maße nicht können, z.b. Kontakt halten zu Anwälten und Kontinuität zu den Leuten in den Knästen, haben die finanziellen Mittel , das professionelle Ansehen, was halt informelle und radikale Gruppen nicht bringen können- auf der anderen Seite hatte ich das Gefühl, weil diese Proteste ja von diesen NGO´s draußen getragen wird, wenig Protest auf die Straße vermittelt wird, gab es auch, aber was NGO´s eben nicht können, ist eine größere Bewegung mobilisieren – in Deutschland wird ja, so denke ich, die Antiknastarbeit eher auf der Straße, also nicht in den Büros ausgefochten wird, und manchmal auch dadurch einen ganz anderen Druck ausüben als das NGO´s können oder vielleicht auch wollen – das wird dann auch von der Regierung so gerne gesehen und gefördert, wenn wir zurückdenken in die 70er, ja 60er schon,, wo z.b. die Black Panther viel auf der Straße gemacht haben, Volksküchen eingerichtet haben, da sagten sich die Politiker, wir müssen die NGO´s z.b. finanziell unterstützen, damit sich die Leute nicht radikalisieren und das wurde in den letzten Jahren auch stark durchgeführt und das erklärt, warum die NGO´s hier in den USA so einen Stellenwert haben

Wie läuft den die Zusammenarbeit zwischen NGO und selbstorganisierten Gruppen?

Komplex,auf der einen Seite arbeiten die NGO´s sehr professionell , haben Ressourcen, die sie mitbringen, die informelle Gruppen nicht haben, haben Anwälte usw. aber es gibt immer wieder Militanzdebatten, Reibungspunkte zwischen den Gruppen, die verschiedene Aktionsformen haben vor allem in Oakland, die ja ne starke Occupybeswegung gab.




Hast du den Eindruck, dass in den Angehörigengruppen auch abolitionistische Positionen gibt?

Ich denke schon, ein Beispiel: als ich letztes Jahr in neu York war und Flyer in die Hand bekam zum Thema Antiknastarbeit, na dachte ich, vielleicht sind so 10 ,15 Leute da, und die üblichen Büchertische, aber es waren Hunderte von Leuten, mindestens 500, die Hälfte von ihnen People of Color, in einer gemieteten Kathedrale, und ich komm da rein und höre nur eine Stimme, die über dem Lautsprecher sprach und ich fragte die Leute neben mir, wer spricht denn da, und mir wurde gesagt, das sei eine Liveschaltung in den Knast und der, der da redet sei Mumia Abu Jamal, der davon sprach, dass wir eine Abschaffung der Knäste brauchen, und keine Reformen und alle um mich herum springen auf und jubeln, und ich dachte, wow, das wäre in Deutschland überhaupt nicht vorstellbar, und vor allem nicht von solchen verschiedenen Menschen hier in diesem Moment..

Wenn ich an die deutsche linke denke, fällt mir erst einmal der Slogan „Freiheit für alle politischen Gefangenen“ . Wie sieht es damit in den USA aus?

Diese Forderung habe ich in den USA auch schon gehört, aber eher in dem Sinne, dass die Privatiserung der Knäste in den USA  ein genereller Angriff auf die Ärmsten in der Bevölkerung ist und vor allem die schwarze Bevölkerung aber generell auch die gesamt People of Color in den USA und in diesem Sinne alle Gefangenen in den USA politische Gefangene sind.. Ansonsten wird diese Trennung, wie sie auch in Deutschland verstanden wird, eher von den Leuten gemacht wird, die Reformen wollen ( also Verbesserungen innerhalb des Knastsystems) und für die Menschenrechte kämpfen und denen, die das ganze herrschende System abschaffen wollen.

 In den USA wird das ganze eher aus einer feministischen oder antirassistischen Perspektive verstanden, das heißt, es hilft nicht, Vergewaltiger und Nazis in Knäste zustecken, weil es das Problem, eher schlimmer macht. Weil die dort mit ihresgleichen zusammenkommen, weil sie ihre Netzwerke verstärken und vor allem weil eine Verantwortungsübernahme der Täter*innen verhindert wird. Also, hier gibt es einige Konzepte der Übernahme von Täterveranwortung durch die betroffenen Gemeinschaften z.b durch die „transformative justice“.






Lassen sich aus den ganzen Aktionen, Erfahrungen Dinge mitnehmen, die für uns hier in der deutschen Antiknastbewegung Anregungen geben kann?

Ich glaube, ne ganze Menge. Zum einen hat es – siehe AKW Bewegung – Erfolg, Projekte die im Bau sind, zu bekämpfen, weil ja schon bestehende Gefängnisse da etwas schwieriger sind, zu bekämpfen , also dass die Tendenz auch in Deutschland Knäste zu privatisieren, von Beginn an bekämpft werden sollte, weil –am Beispiel USA – noch mehr Menschen als zuvor dann in die Knäste bekommen. Diese Knäste werden hier in USA irre subventioniert, in Kalifornien ist das Knastsystem auf Platz 1 der Staatsausgaben, während die Bildung auf Platz 50 ist .

Ein anderes Feld, hier in den USA, werden auf der anderen Seite viele Knäste geschlossen und die Gefangenen dann in andere, dann überfüllte Knäste gepackt…klar, wie formulieren wir das denn,wenn wir da auf einmal gegen die Schließung von Knästen demonstrieren,..




Des Weiteren, was ich hier erlebt habe, dass wir mehr Kontakt in die Knäste halten sollten, soll heißen, die Gefangenen sind die, die die meisten Kompetenzen haben und wir die Gespräche mit denen suchen sollten, und einen langanhaltenen fortlaufenden Dialog suchen müssen, zu ihren Forderungen, zu ihrer Sichtweise





Und sehr wichtig, die Knastkämpfe antirassistisch und feministisch zu erweitern, einfach mal jetzt zum aktuellen Thema auch in Deutschland, sexualisierte Gewalt, zum einen sollte es verhindert werden , dass es noch mal passiert und die schon betroffenen Frauen fragen, was sie brauchen, das jetzige Justizsystem kümmert sich um die betroffenen Frauen überhaupt nicht, es wird nur auf die Täter geschaut, aber auch da wird von der Justiz /Knast eine wirkliche Auseinandersetzung verhindert, die Täter hocken da ein paar Jahre und es verschlechtert sich eher,weil in dem Umfeld, in dem sie nun gesteckt sind, an ihren Problemen nicht arbeiten können, und stattdessen eben am besten natürlich mit/und durch die, denen sie leid zugefügt haben, … denn der Nährboden für die sexualisierte Gewalt, patriarchalische Gesellschaft , das politische Umfeld, das persönliche Umfeld , nichts davon wird ´momentan in die Verantwortung genommen, diese Auseinandersetzung, die wir alle dringend brauchen, wird durch den Knast verhindert.






Wir brauchen eine feministische Antiknastbewegung und wir brauchen eine knastkritische feministische Bewegung wie auch eine knastkritische Antifa das muss alles zusammengedacht werden – anders kann es nicht funktionieren.

***


Das ganze Interview könnt Ihr hier hören: http://akpradio.podspot.de/post/von-der-schule-in-den-knast/








Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen