Gesetzlich befohlen wurde der Arbeitszwang durch das
deutsche Strafgesetzbuch 1871, und 1878 wies der deutsche Handelstag mit einer
Enquete über Gefängnisarbeit auf die Notwendigkeit der Beschäftigung von Gefangenen
hin. Ab 1884 war der Arbeitszwang in den Knästen breit durchgeführt und nur
eine Minderheit war noch „beschäftigungslos.'
Die Gefängnisarbeit wurde in drei Hauptsystemen durchgeführt:
Im „Unternehmersystem" wurden die Gefangenen an einen Unternehmer
verpachtet, der den gesamten Strafvollzug unter sich hatte. Eine Variante davon
war die „Spezial-Enterprise", bei der der Staat die Verwaltung stellte und
die Werkzeuge und Werkmeister vom Privatunternehmen gestellt wurden.
Die zweite
Organisationsform von Gefängnisarbeit war das “Kunden- oder
Akkord-System". der Staat ließ die Häftlinge auf Rechnung von Unternehmern
arbeiten.
Im „Regie-System" besorgte die Gefängnisverwaltung
Rohmaterial und Arbeitsgeräte und ließ unter Anleitung eigener Werkmeister
Produkte herstellen, die an Privatunternehmen oder an öffentliche Verwaltungen
verkauft wurden. „Regie-System" und „Kundensystem" nahmen immer mehr
zu und wurden in Nord-und Süddeutschland unterschiedlich praktiziert.
In Württemberg z.B.
war die Knastarbeit in einer Mischform von „Akkord-" und
„Unternehmersystem" organisiert, in dem ein dauerndes Vertragsverhaltnis
mit einem Unternehmer bestand.
Mit dem starken Anstieg der Eigentumskriminalitat im 1.
Weltkrieg und der Neuzusammensetzung der Delinquenten wurde die
Umstrukturierung der Gefängnisarbeit forciert. Durch die Verwendung von Häftlingen
zum „Kriegshilfsdienst" wurden die Knäste für das Regime zu wichtigen Fabriken,
in denen das Arbeitskräftepotential maximal ausgepresst wurde.
1916/17 traten proletarische Frauen und Jugendliche ais politische
Kraft hervor: Aneignung von Lebensmitteln. Sabotageakte in Kriegsbetrieben und
militanter Aufruhr standen auf der Tagesordnung. Die massenhafte Anwendung
illegaler Praktiken wurde zu einer Waffe dieser radikalen Bewegung gegen Krieg,
Not, Ausbeutung und Unterdrückung. Die ersten Akte der Befreiung in der
Novemberrevolution waren dann auch der Sturm auf die Gefängnisse. Die
erfolgreiche Befreiung von Häftlingen in Militär- und Zivilgefängnissen durch
revoltierende Matrosen, die zuerst ihre wegen Verweigerung des weiteren
Kriegseinsatzes eingesperrten Kameraden befreit hatten, und Unorganisierte in
den verschiedenen Regionen wird aus Kiel, Bremen, Danzig, Köln, Koblenz, Düren,
Trier, Aachen, Dortmund, Bochum, Gelsenkirchen, Duisburg, Krefeld,
Recklinghausen, Mülheim, Solingen und München berichtet, wobei diese Aufstellung
sicher nicht vollständig ist, von misslungenen Befreiungsversuchen, wie z.B. in
Bielefeld, ganz abgesehen Mit dieser Öffnung der Gefängnisse kam es zur
direkten Konfrontation zwischen der traditionellen sozialdemokratischen
Arbeiterbewegung, die mit den ,,Arbeiter- und Soldatenraten" den Aufstand
taktisch kanalisieren wollten, und dem Subproletariat, das zur direkten Aktion
übergegangen war.
Für Aschaffenburg, z.B. den früheren Assistenten Kraepelins,
war diese autonome „soziale Amnestie" und die weiter anhaltende Massenkriminalität
die Sache der Psychopathen, Zuchthäusler, Gewohnheitsverbrecher und
aufgepeitschten Jugendlichen. Verbrechertum und geistige Störung seien zwei
Pflanzen auf demselben Boden der körperlichen und geistigen Entartung, und in
ihrer Bekämpfung sollte seiner Meinung nach schon lange gegen die Person des
Rechtsbrechers vorgegangen werden, von seiner Individualität ausgehend musste
die Auswahl wirksamer staatlicher Gegenmittel abhängig gemacht
werden.Aschaffenburg sprach sich für mehr Erziehung der Delinquenten und die
Feststellung der Geisteskranken im Strafvollzug durch Ärzte und Psychiater aus,
denn in den Begriffen „Gefängnis" und „Irrenanstalt" sei nur der
Ausdruck eines Bestrebens zu sehen, mit zwei völlig verschieden artigen Methoden gegen solche Personen vorzugehen
,„die sich
von der Norm, sei es durch krankhafte, sei es durch asoziale oder antisoziale
Haltungen abheben, und wir sind wohl berechtigt, die beiden Schlagworte durch
die zutreffenderen und ihrem ganzen Wesen nach richtigeren zu ersetzen: ,Strafe-
oder „Behandlung".'' (Aschaffenburg 1908).
Mit der Massenkriminalität des 1. Weltkrieges entwickelte
sich eine reformpädagogische Strömung des präventiven institutionellen Kampfes
von oben. Im Mittelpunkt der Gefängnispädagogik stand die Arbeit. „Erziehung
zur Arbeit" und „Erziehung durch Arbeit“sollte den Widerstand der Jugendlichen
brechen und sie zur .sozialen Arbeitspflicht" erziehen.
In
Gemeinschaftshaft sollten sie nicht durch Zwang, sondern durch Selbstdisziplinierung
und freiwilliges sich einfügen in eine höhere Ordnung erzogen werden. In dieser
Reformpädagogik sollte die Prügelstrafe zwar abgeschafft, Strafen in Form von
Verboten, E ntziehung von Vergünstigungen und Anwendung des Arrest sollten
jedoch beibehalten werden.
Nach dem Beispiel des irischen Strafvollzugs sollte
eine Stufenprogression der Haftarten und der Haftvergünstigungen entwickelt
werden. Verbunden mit solch' einer Erziehung der Kriminellen war die
systematische Sammlung und Auswertung von Kenntnissen über das Individuum. Mit
der Entstehung der Kriminalpsychologie wurden u.a. folgende Forderungen für den
Strafvollzug aufgestellt: Einbeziehung von psychologisch geschulten Erziehern;
Zusammenarbeit mit psychologischen Instituten; psycho-analytische und
individualpsychologische Untersuchungen: Differenzierung der Gefangenen in Bezug
auf Arbeit, Unterricht, evtl. auch Wohngemeinschaften; Aufstellung von
Psychographien und Psychogrammen, Anfertigung psychologisch orientierter
Fragebögen; Einzelbehandlung schwererziehbarer Häftlinge: psychologische
Ausbildung der Beamten und wissen schaftliche Verarbeitung des Materials
. Die Frage nach den
Wirkungen der Freiheitsstrafe auf die Psyche der Gefangenen war kriminalpolitisch
erst dann wichtig geworden, als das Programm des Erziehungsstrafvollzuges
propagiert wurde. Mit der Untersuchung von Eindrücken ehemaliger Gefangener in
ihren Memoiren entstand die Haftpsychologie, die nun allerdings versuchte, über
statistische Typisierungs- und Klassifizierungsraster hinaus zunehmends in das
Innenleben der Inhaftierten vorzustoßen, indem die Sozialdiagnose integraler
Bestandteil des Programms wurde.
Mit der Praktizierung des Erziehungsstrafvollzugs und einer
differenzierteren Kriminalpolitik war bis Anfang der dreißiger Jahre ein neues
Potential an wissenschaftlich erarbeiteten und feineren Methoden des Angriffs
auf die Person des Gefangenen entwickelt worden, welche im realen Strafvollzug
aber noch weitgehend im Modellstadium blieben, mit Ausnahme des
Stu-fenstrafvollzugs, der in Deutschland in den zwanziger Jahren allgemein eingeführt
worden war.
Sozialdemokratie und Strafvollzug
Die Rolle der Sozialdemokratie in der bewussten Kriminalisierung und Denunzierung militanter,
rechtsbrechender Arbeiterfraktionen seit den Siebziger Jahren des letzten
Jahrhunderts, vom Lumpenproletariat sowieso ganz zu schweigen, ist allgemein
bekannt. Ziemlich klar aufgezeigt wurden die Positionen der sozialdemokratischen
Parlamentarier zum Strafvollzug, zu Fragen wie Knastarbeit und die Behandlung
politischer Gefangener, durch die Veröffentlichung von Alfred Behrle
Die Sozialdemokratie trat von Anfang an für eine Sonderbehandlung
der politischen Gefangenen ein. Schon 1875 brachte der Reichstagsabgeordnete Johann
Most, der damals selber eine längere Freiheitsstrafe in Plötzensee absitzen musste,
eine Petition ein,
die ein schnelles Notgesetz für die gerade Gefängnisstrafen verbüßenden
politischen Gefangenen forderte, damit ihnen gesetzliche Selbstbeköstigung und
Selbstbeschäftigung erlaubt wurde. Liebknecht unterstützte Mosts Antrag. Die
sozialdemokratischen Abgeordneten wandten sich in den folgenden Jahren immer
wieder gegen das Kahlscheren der politischen Gefangenen, gegen das
Zusammenlegen mit gewöhnlichen Verbrechern, ihre Fesselung in der Öffentlichkeit,
gegen die Beschäftigung von Redakteuren mit einfachen Arbeiten wie Tütenkleben,
Stuhlflechten, Kaffeebohnenlesen etc. und verlangten freie Lektüre. Mit der
besseren Behandlung politischer Gefangener wurde eine reichsgesetzliche
Regelung für das gesamte Gefängniswesen gefordert.
Als später in Sachsen z.B. das Justizministerium von
November 1918 bis Anfang 1924 ohne Unterbrechung von Parteigenossen besetzt
war, erhielten die politischen Gefangenen einen Sonderstatus, indem sie ähnlich
wie Untersuchungsgefangene sich selbst beschäftigen und durch Empfang von Lebensmittelsendungen
selbst beköstigen konnten. Weiter wurde ihnen erlaubt, eine Tageszeitung und
politische, wissenschaftliche wie Unterhaltungsliteratur zu beziehen.
In der sozialistischen Revue _Die Zukunft" wurde
1877/78 unter dem Pseudonym N.N. eine Artikelserie zu dem Thema „Strafrecht.
Strafverfahren und Strafvollzug im Lichte des Sozialismus, unter besonderer
Berücksichtigung eines für das Deutsche Reich zu verfassenden
Strafvollzugsgesetzes" publiziert, in der u.a. der
Resozialisierungsgedanke propagiert wurde, der am besten .,durch eine möglichst
weitgehende Differenzierung der Gefangene in kleine, unter dem Gesichtspunkte
der Förderung des Besserungszweckes der Strafe zu bildende Gruppen, und zwar im
Rahmen einer einzigen Form der Freiheitsstrafe and eines progressiven Verlaufs
der Strafe" erreicht werden sollte. Karl Liebknecht sprach sich 1918 mit
seiner Schrift „Gegen die Freiheitsstrafen" für eine individuelle
Behandlung der Gefangenen im „ Verkehr mit edlen, pädagogisch gewandten
Menschen" aus. Im Görlitzer Programm der sozialdemokratischen Partei von
1921 trat sie für eine reichsgesetzliche Regelung im Sinne des Erziehungsprinzips
ein. Mit der ausdrücklichen Bejahung des bestehenden Staates wurde der
Rechtsbruch auch zu einem Angriff auf den von ihr mitge-schaffenen Staat. eine
Bedrohung der von ihr „gewollten und geschützten Ordnung", die sie
abwehren musste. Trotz Bedenken gegen die bestehende „Klassenjustiz" im
Allgemeinen und die „Unschädlichmachung" im Speziellen, ergab sich aus den
Reden und Schriften sozialdemokratischer Parlamentsabgeordneter ein übereinstimmendes
Erziehungsziel: „Das Ziel der Erziehungsarbeit ist, den Gefangenen zu einem
gesetzmässsigen Leben hinzuführen, und darüber hinaus nach Möglichkeit ihn zu
einem nützlichen (nicht bloß schädlichen)
Mitglied der Volksgemeinschaft zu machen" (Behrle, S.
73). Das Positive, das die Sozialdemokratie damit verband, war zugleich auch
immer das Gefährliche in ihren Initiativen.
Die Sozialisten forderten und befürworteten immer den Stufenstrafvollzug,
kritisierten jedoch bei seiner allgemeinen Durchführung die Reduzierung
erzieherischer Maßnahmen auf die Zugehörigen bestimmter Stufen wie auch die
Bedingungen der Einstufung. Mit der in Thüringen durch den sozialdemokratischen.
damals stellvertretenden, Justizminister Fröhlich erlassenen Vollzugs- und
Hausordnung im Oktober 1922 wurde das Stufensystem eingeführt und somit der
Übergang zum Erziehungsstrafvollzug in Thüringen eingeleitet, der neben dem
hamburgischen der „fortschrittlichste" in Deutschland war. Die
Sozialdemokratie zeigte sich als Schrittmacher in der Perfektionierung des
Angriffs auf die gefangenen Subproletarier.
Nach diesem Vorbild sollte laut Krebs ein systematischer
Erziehungsstrafvollzug mit folgenden Stufen aufgebaut werden:
1. Beobachtungsstufe: Erforschung der „äußeren und inneren
Lage des Gefangenen" durch einen psychologisch ausgebildeten Fürsorger: 2.
Behandlungsstufe: Erziehung durch Arbeit in der Gemeinschaft: 3. Bewährungsstufe:
Durch .Selbstverwaltung' sollten sich die Häftlinge an eine Verantwortung gewöhnen
und evtl. durch vorzeitige Entlassung ins freie Leben übergeleitet werden. Auf
dem Mannheimer Parteitag der Sozialdemokratischen Partei 1906 hieß es bezüglich
Disziplinarstrafen lediglich, dass die „brutalen" beseitigt werden sollten
„Die Sozialisten waren von jeher weder Anhänger der ständigen Gemeinschaft noch
der strengen lsolierung. Sie erstrebten vielmehr eine Kombination beider
Systeme mit der Begründung, jeder dieser Arten der Einsperrung wurden an sich
gute Einflüsse innewohnen, in ihrer ausschließlichen Anwendung müssten jedoch
beide zum Misserfolg fuhren." (Behrle)
Für die KPD, die den Strafvollzug in der Sowjetunion als
Vorbild ansah, war die ,Korrektion des Verbrechers durch die Arbeit“ das
zentrale Erziehungsziel. Die Einreihung der Gefangenen in den Produktionsprozess
und die Umgestaltung der Arbeitsbetriebe nach russischem Modell waren die
Hauptforderungen der Kommunisten zum Gefängnis in Deutschland. Von der
Befürwortung einzelner Erleichterungen für die Gefangenen abgesehen, lehnten
sie deshalb den bestehenden deutschen Strafvollzug ab. Die Sozialdemokraten
waren gegen die Gefängnisarbeit für Privatunternehmer und befürworteten die Übernahme
staatlicher Arbeiten. Der Ausbau der Gefängnisse zu produktiven Grossbetrieben,
d.h. die ..Ausstattung der Strafanstalten mit modernen Maschinen, damit die Gefangenen
in ihren beruflichen Fähigkeiten stets auf der Höhe bleiben und gleichzeitig
die Betriebe möglichst produktiv gestaltet werden", und die mit der
Vergesellschaftung der Produktionsweise verknüpften Realisierung eines Regiebetriebes
waren ihre zentralen Vorschläge.
NS—Strafvollzug: Vernichtung durch Arbeit oder Verwendung als
Kanonenfutter
Mit der großen Krise Ende der zwanziger Jahre nahm die
Eigentumskriminalität sprunghaft zu und bewirkte eine Änderung der
Kriminalpolitik hin zu härteren und längeren Freiheitsstrafen, die von den
Nazis ab 1933 noch starker akzentuiert wurde. Mit der Einführung der
Todesstrafe, bzw.dem „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über
Maßregeln der Sicherung und Besserung" vom November 1933 wurde die
rücksichtslose Durchführung
des Strafvollzugs „als Waffe des Staates im Kampf gegen
verbrecherische Volksschädlinge
begonnen.
Von Anfang an gab es eine intensive Zusammenarbeit zwischen
Medizinern und Kriminalisten, die mit dem Sterilisationsgesetz vom Januar 1934
freie Hand bekamen, die Zahl der „Antisozialen und Asozialen' die zu einem
Drittel ais geisteskrank eingestuft wurden, herabzusetzen.
Zentraler Inhalt des
Nazi-Strafvollzugs war jedoch die Ausweitung der Zwangsarbeit, die maximale
Leistungsauspressung der gefangenen Arbeitskräfte.
Zunächst versuchten sie,
trotz hoher Arbeitslosenquote, möglichst alle Gefangenen mit Arbeit
auszulasten. Dann konzentrierten sich die Maßnahmen auf die Leistungssteigerung
und der Arbeitszwang wurde auf die Untersuchungsgefangenen ausgedehnt. In
diesem Prozess des starken Vorantreibens der Knastarbeit entwickelten sich die
Anstalten zu rationell arbeitenden Fabriken, 1938 wurde die Gefängniszwangsarbeit
zur Erreichung des Vierjahresplanes in den „Großeinsatz aller verfügbaren Arbeitskräfte"
integriert.
Mit dem Beginn des Krieges wurden Arbeitszeit und zu
erfüllendes Arbeitspensum der Häftlinge um ein weiteres hochgeschraubt.
Widerstand gegen Anstaltsbeamte, Lebensmittel-Diebstähle und Sabotage oder
Verweigerung der Arbeit gehörten trotz Überwachungsterror zum alltäglichen
Kampf der Anstaltsinsassen. So schreibt Hellmer z.B., dass„das Heer der
Kleindiebe und Kleinbetrüger, vor allem der Bettler und Wanderer … untüchtig,
verbummelt, an Anstrengungen irgendwelcher Art nicht gewohnt und daher auch im
Vollzug nur unter hartem Zwang zur Arbeit anzuhalten (ist)."
Arbeits- oder Wehrfähigkeit waren im Krieg die Hauptkriterien,
nach denen das Nazi-Regime die Gefangenen zur Vernichtung freigab. Zur
Illustrierung einige Passagen aus den .“.Richtlinien für die Vollstreckung von
Freiheitsstrafen in der Wehrmacht" des Chefs des Oberkommandos der
Wehrmacht, Generalfeldmarscnali Keitel, vom 1.2.1945:
„Nach dem Führererlass vom 2. April 1942 sollen Verurteilte
soweit irgend möglich Gelegenheit zur Bewährung vor dem Feind erhalten.
Der Führer verlangt, dass bei der Vollstreckungsentscheidung
und während des Strafvollzugs gewissenhaft geprüft werde, ob zu Gunsten der
Feindbewahrung auf die Vollstreckung einer längeren Strafe oder Teilstrafe
verzichtet werden könne. Die Strafvollstreckung müsse sich dabei den
wechselnden Erfordernissen der Kriegslage sofort anpassen. Das Gebot der Stunde
erfordert den Einsatz jedes waffenfähigen Deutschen an der Front. Auch
bestraften, aber soldatisch brauchbaren, bewährungswürdigen und einsatzfähigen
Angehörigen der Wehrmacht und des Gefolges ist sobald wie eben möglich
Gelegenheit zur Feindbewahrung zu geben. Die Strafaussetzung darf nicht von der
Höhe der Strafe oder des Strafrestes abhängig gemacht werden. Sie ist vielmehr
nach der Persönlichkeit des Verurteilten, der Art und Schwere der Tat und ihren
Auswirkungen auf die Mannszucht zu treffen.
Wo keine Feindbewahrung möglich ist, tritt der scharfe Strafvollzug
in der Feldstrafgefangenenabteilung an ihre Stelle. Wehrunwürdige sind, wenn
sie weder für den Feldvollzug in der Zuchthauseinheit einer Feldgefangenenabteilung,
noch für eine sofortige Feindbewahrung in Frage kommen, der Geheimen
Staatspolizei zu kriegsgewichtigem Arbeitseinsatz unter erschwerten Bedingungen
zu überweisen.
Für die Wehrmacht nicht tragbare Elemente (Asoziale.
kriminell Veranlagte, Verräter, Saboteure. Zersetzer) von denen eine brauchbare soldatische Leistung
auch nach genügender erzieherischer Einwirkung im Feldvollzug nicht mehr zu
erwarten ist, sind der Geheimen Staatpolizei zum Arbeitseinsatz in einem Konzentrationslager
(Zwischenhaft II) zu überweisen. Das Gleiche gilt für die vom Einsatz bei der Bewährungstruppe
Ausgeschlossenen".
Die Geschichte des Widerstands der Jugendlichen unter dem Nazi-Regime ist bis heute noch weitgehend unbekannt. Die Erlasse in den vierziger Jahren über den Vollzug des Jugenddienstarrestes oder zur Einweisung Jugendlicher ins Jugendschutzlager, deren „kriminelle und asoziale Neigungen-. ihre mangelnde Arbeitsdisziplin " bekämpft wurden, sprechen eine deutliche Sprache. Mit steigender Zahl an Jugendgefängnissen nahm die Diskussion über Jugendstrafvollzug und Jugendstrafrecht immer mehr einen zentralen Raum bei den Nazis ein. Aus Dokumenten über den Strafvollzug gegen Ende des Regimes, vor allem über die mit den Frontverschiebungen notwendig gewordenen Gefangenentransporte, ist zu entnehmen, dass der offene Widerstand gegen Aufsichtsbeamte und Fluchtaktionen von Einzelnen oder in Massen immer mehr anstiegen, und die Polizei präventiv die „gefährlichsten" Gefangenen liquidierte.
Filtervollzug fiir den regionalen Arbeitsmarkt und
"Behandlung der Gefangenen"
In der Zeit zwischen 1945 und dem Ende der fünfziger Jahre
greifen die alten Experten des Strafvollzugs auf die Reformdiskussionen in der
Weimarer Republik zurück, während gleichzeitig aus dem Ausland wichtige Impulse
für einen alternativen Vollzug der "Behandlung“ kommen. Besonders aus den
USA stammen Untersuchungen über die "Prison Community", die
Auswirkungen der totalen Institution" auf ein widerständiges Häftlingsmilieu
und neue Methoden der Bekämpfung dieses Unruheherdes. Anfang der sechziger
Jahre werden in den einschlägigen Publikationen und Tagungen vor allem Fragen der Persönlichkeitserforschung, der Klassifizierung
der Häftlinge
und der Gefangenensubkultur diskutiert. Die Ereignisse im Hamburger "Santa
Fu" und im Kölner "Klingelpütz" Mitte der sechziger Jahre
brachten einen entscheidenden Wendepunkt: durch das zunehmende Bewusstsein der
Gefangenen und ihrem wachsenden Widerstand hat sich seit diesem Leitpunkt eine
neue Gefangenenbewegung entwickelt, die mit dem frischen Wind der APO und dem
starken Interesse am Gefängnis in der Öffentlichkeit gegen die Zustande im
Knast und für das Überleben der Gefangenen kämpft.
Der Neubau von Ossendorf ist die erste Reaktion auf
Klingelpütz gewesen. Santa Fu und Klingelpütz sind der Auslöser für einen
qualitativen Sprung vorwärts in der Kontrolle des Kriminellen, des Angriffs auf
seine Person und in der Ausbeutung der gefangenen Arbeitskraft. Es ist der
Übergang vom "Erziehungs-" zum "Behandlungsvollzug', der
systematischen Anwendung neuester Erkenntnisse und Methoden der Sozial-und Humanwissenschaften
zur Entpersönlichung des Häftlings, wie es früher noch nicht möglich gewesen ist.
JVA Ossendorf
JVA Ossendorf
Mit der Aufgliederung des Strafvollzugs in geschlossene,
halboffene und offene Formen ist ein differenzierter Arbeitseinsatz der
Gefangenen möglich geworden, der in Abstufungen sowohl eine sichere Bewachung
als auch eine optimale Eingliederung der Kriminellen in den Produktionsprozess
bewirkt. Dadurch hat immer mehr eine Verschiebung vom Regie-System zugunsten
des Unternehmerbetriebes stattgefunden. Die Entlohnung der Gefangenen ist nicht
einheitlich, denn durch die Anwendung des REFA-Systems zur punktemäßigen
Bewertung des Arbeitsplatzes und der Leistungsstufen wird sie gleichermaßen
aufgeteilt. Arbeitspsychologische Begutachtungen der Gefangenen werden in
bestimmten Zeitabständen gemacht, um die Leistungsfähigkeit und den
Arbeitseinsatz des Häftlings zu überprüfen. Als Gefangenenarbeitskommandos oder
als Freigänger müssen sie in privaten Unternehmen oft auch manuelle Arbeiten verrichten,
die normalerweise schon
maschinell gemacht werden, sich bei solchen billigen Arbeitskräften jedoch noch
als profitabler erweisen. Die von privaten Unternehmern unterhaltenen Gefängnisbetriebe
sind zu deren festen Zweigproduktionsstätten geworden.
Angesichts der Tatsache.
dass gut zwei Drittel der Strafgefangenen un- oder angelernte Arbeiter sind,
wird klar, dass auf diese Weise während der Krise die arbeitslosen, arbeitsverweigernden,
krimininellen Angehörigen der Unterklassen über den Knast gefiltert als stark überwachte
und sanktionierte Arbeitskräfte dem regionalen Arbeitsmarkt wieder zugeführt
werden. Als Gefängnisinsassen sind sie immer noch produktiv in die Fabrikgesellschaft
„eingegliedert".
Im Knast befinden sich die Arbeitsverweigerer in einer
zwiespältigen Situation. Über
Langsamarbeiten, ständige Versetzungsanträge in andere Arbeitsbetriebe,
Kritisieren von arbeitswilligen Häftlingen bis zur totalen Arbeitsverweigerung
wehren sie sich gegen diese Zwangssituation. Das Einkaufsverbot als
Sanktionsmittel nimmt ihnen jedoch die letzte Möglichkeit, mit den wenigen
Kleinigkeiten, wie Tabak, Körperpflegemittel etc. das Überleben einigermaßen zu
ermöglichen. Sie müssen deswegen ihre Arbeitskraft zu einem Spottpreis
verkaufen.
Die Zerschlagung der Gefangenengemeinschaft ist ein weiteres
Hauptziel in der Reformierung des Knastsystems, denn dieses Milieu zeigt durch
sein Zusammenhalten, dass es einen tiefen Graben zwischen Anstaltsbeamten und
Häftlingen gibt, der Ausdruck des permanenten Kleinkrieges ist.
Durch die
Vereinheitlichung der Freiheitsstrafen sind günstigere Voraussetzungen für
die gezielte Klassifizierung der Gefangenen geschaffen worden. Die
Persönlichkeitsdiagnose durch Psychologen und Sozialarbeiter in Form van
Lebenslauf- und Fragebögen Aufnahmegesprächen, Beurteilungsbögen und Briefkontrolle
dienen der genauen Beurteilung des Gefangenen und der Einweisung in den
entsprechend ausgewählten Anstaltstyp, um die Zusammensetzung der Insassen zu
bestimmen und eine rationale und ökonomische Durchorganisierung des Knasts, von
der Knastarchitektur bis zur Einteilung der Zeiten und der Tätigkeiten von
Beamten und Gefangenen, um im Stil des Fließbandtaktes den Tagesablauf
funktional einzuteilen.
"Humaner Knastbau" wie z. B. in Köln-Ossendorf,
als Antwort auf Klingelpütz, ist ein Teil dieser funktionalen Klassifizierung
und Disziplinierung der Häftlinge, damit sie sich später leichter in der
Gesellschaft draußen zurechtfinden und ihre Pflichten erfüllen.
Die Diskussion über einen Sonderstrafvollzug für
Überzeugungstäter, wie z.B. Kriegsdienstverweigerer und politische
Delinquenten, hat Deutschland Tradition und wurde in den letzten Jahrzehznten hier
wieder sehr intensiv geführt . Durch die umfassende Analyse der
Auswirkungen sozialer Isolation auf die Psyche und das Verhalten der Gefangenen
konnten Maßnahmen realisiert werden, "die auf Totalität zielten, auf
Iückenlose Kontrolle aller Lebensäußerungen, auf hellsichtige Abdichtung… ,Nichtvorgeplante,
spontane Kontakte, die Leben und Lebendigkeit bedeuten, gibt es nicht; alle
Beziehungen sind genau abgesteckt und eng kanalisiert. Das Gerüst der Sicherheitsvorkehrungen
ist wie ein Glassturz über die Gefangenen gestülpt und schafft eine Art
Extraterritorialität ." (Rasch).
Die umfassende Isolierung von Häftlingen durch Dunkelhaft,
Kontaktsperre, Besuchertrennscheibe, Besuchsverbot, Einzelhofgang, Postzensur,
über gerauschisolierte Zellen, Sichtblenden, Bilderverbot, gleichförmiger
Tagesablauf, permanente Beobachtung, akustischen und visuellen Reizentzug,
Leibesvisitationen, Dauerbeleuchtung, ständige Verlegungen, in andere Zellen,
bis zum Verprügeln durch Beamte und dem Vorfinden von Rasierklingen und
Schlingen als Aufforderung zum "Selbstmord'' ist inzwischen so intensiv
und differenziert weiterentwickelt worden. dass die Quäker oder Wichern mit
ihren Einzelhaft-Projekten vor Neid erblassen würden.
Gegen widerständige soziale und politische Gefangene sind in
vielen Anstalten Sonderabteilungen eingerichtet worden, um sie nicht nur von
den Menschen draußen sondern auch von den Mitgefangenen auszusondern. Häftlinge
aus der Strafanstalt Tegel hatten darüber informiert, wie in die Isolierstation
oder in die "Tigerkäfige" die "Gewalttätigen, nicht
einordnungsfähigen, destruktiven und antisozialen Elemente zur Trennung von den
Mitgefangenen oder zur "Eliminierung" gesteckt worden sind. Die
Berichte von politischen Gefangenen runden dieses Bild ab. Einhergehend mit
diesen Sonderisolationstrakten sind Anstaltsbeamte nach psychologischen und pädagogischen
Gesichtspunkten geschult und eine Art
GSG-9 für den Knast als "besonders mobile Sicherheitsgruppe'' aufgebaut worden.
Von Sondertrakten über halboffenen Vollzug bis zu den
Freigängern besteht ein breiter Fächer von Vollzugsmaßnahmen, wo es nur noch
die Alternative des Gehorsams und Funktionieres für die Fabrikgesellschaft oder der Aussonderung und "lebendigen Zerstörung“ nichtanpassungsbereiter Gefangener gibt
Die Grenzen zwischen den traditionellen „Kranken" und
"Kriminellen“ verschwinden immer mehr. Mit der therapeutischen Behandlung
der Gefangenen ist ein umfassender Zugriff auf die Identität des Anstaltsinsassen
in Kombination mit organisierter Dressur, eingeleitet worden. So schreibt G.
Blau schon 1969:
"Freilich ist eine passive Anpassung des Kriminellen (wie
auch des psychisch Kranken) an seine Umwelt mit Mitteln der Hirnchirurgie und
der Psychopharmaka heute schon möglich . . . Da ihr (die Kriminalpädagogik,.)
Ziel die soziale Ertüchtigung in unserer industriellen Massengesellschaft ist,
darf sie nicht nur 'Erziehung zur Freiheit' sein, sondern muss sie auch
sondern muss sie auch bis zu einem gewissen Grade "Dressur'
sein, d. h. Steigerung der Reaktionsbereitschaft gegenüber den Signalen, durch
die unsere Handlungen im Zeitalter der Automatisierung gelenkt werden."
(Blau, G.: "Aufgaben und Grenzen der Kriminalpädagogik-". in Kluge,
"Kriminalpädagok", 1. Bd., S. 125, 128).
Durch die gesetzliche Verankerung der Führungsaufsicht als „Resozialisierungsinstrument
ohne Freiheitsentzug" werden nicht mehr nur seither unter Bewährung
stehende Menschen beobachtet und kontrolliert, sondem breite Kreise der Anpassungsverweigerer
und Widerstandsleistenden überwacht. Die aus der Sicherungsverwahrung,
psychiatrischen Krankenhäusern, Entziehungsanstalten, sozialtherapeutischen
Anstalten auf Bewährung Entlassenen, Rückfalltäter u.a. können laut Gesetz bis
zu fünf Jahren unter Führungsaufsicht gestellt werden . Die Überwachung endet
nicht mit der Entlassung aus der Anstalt, sondern sie wird draußen fortgesetzt
und massiv ausgeweitet und verfeinert.
Überwachung und Kontrolle vor und nach dem Knast, abgestufter
Strafvollzug von Einzel-Isolation bis zum offenen Vollzug. psychiatrische
Behandlung und Prügel, wissenschaftliche Auswertung der dosierten "Behandlungs-Angriffe
gegen den "inneren Feind" und die Speicherung aller erfassbaren Daten
im Computer sind keine Gegensätze mehr, vielmehr bilden sie eine Einheit im
Kampf gegen die Unterklassen. die Kriminellen. die Psychiatrisierten, die
Arbeitsverweigerer und alle nicht Anpassungsbereiten. Mit der Entwicklung eines
feinen sozialen Kontrollnetzes breitet sich der Knast auf die gesamte Gesellschaft
aus. Wir leben in einer Knast-Fabrik-Gesellschaft, die genau überwacht,
selektiert, die Menschen zur Aufrechterhaltung dieses Systems gewaltsam
funktionalisiert und ausbeutet oder sie aussondert.
***
(stark gekürzt und neu bearbeitet von W., Originaltext bei: AUTONOMIE Neue Folge 2, 1979)
***
(stark gekürzt und neu bearbeitet von W., Originaltext bei: AUTONOMIE Neue Folge 2, 1979)
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