Befreien wir auch die, die in der Klapse faulen/die man in der Psychiatrie eingemauert
hat/Befreien wir die Soldaten, die als Fahnenflüchtlinge verurteilt sind.
Befreien wir die Leute im Wohnsilo/deren Leben sich nur im Fernsehen abspielt/
die sich eingesperrt haben in der Zweisamkeit, in der Familie.
- SIE SIND ALLE GEFANGENE !
Befreien wir auch die, die gezwungen werden in die Schule zu gehen/Befreien wir die,
die zur Arbeit gehen müssen/vertreiben wir alle Lohnarbeiter*innen von unserer
Erde.
FREIHEIT FÜR ALLE GEFANGENEN !
Befreien wir die Neugeborenen, die verpackt sind/hinter den Scheiben steriler
Kliniksäle
Befreien wir die, die im Ghetto leben müssen/in das man sie wegen ihrer
Sexualität getrieben hat
- SIE SIND ALLE GEFANGENE !
Befreien wir unseren Körper/befreien wir unsere Phantasie
Befreien wir die Kreativität von den Fesseln der Vernunft.
DAS SIND ALLES GEFANGENE !
* *
Hintergrund:
Mitte der 70erJahre wurde ein Grossteil der RAF Leute
verhaftet. In ihren Kämpfen und Aktivitäten auch im Knast schufen sie ein neues
Problembewusstsein für das Thema „Knast“ In dieser Zeit und oft
durch sie gab es eine Vielzahl von Widerstandsformen, Hungerstreiks,
Dachbesteigungen, viele Arten zur Durchsetzung konkreter Forderungen.
Aber es brachte auch in die verschiedenen Knastgruppen, die Roten
Hilfen und Schwarzen Hilfe eine Menge Diskussion und
Differenzen, einmal das Thema der „politischen Gefangenen“ und
zum anderen deren Kritik an der Funktionalisierung durch die
RAF-Gefangenen.
Bemerkenswert war, dass es trotz aller weiteren Differenzen, Spaltungen bis hin
zu persönlichen Angriffen und Diffamierungen einige Texte auch und gerade von
Teilen der RAF mit wichtigen Impulsen für eine gemeinsame revolutionäre
Gefangenenbewegung existierten – so vor allem ein Text von Ulrike
Meinhof „Aktionsprogramm für den Kampf um die politischen Rechte
der gefangenen Arbeiter“,den ihr hier lesen:
http://de.scribd.com/doc/141958536/PROVISORISCHES-KAMPFPROGRAMM-FUR-DEN-KAMPF-UM
Dieser Text verschwand aber schnell aus der Debatte und tauchte in späteren
RAF- Schriften nicht mehr auf, es wurde nun mehr und mehr auf eine Trennung zu
den anderen Gefangenen hingearbeitet, und sie verlangten für sich den „Kriegsgefangenenstatus“im
Sinn der Genfer Konvention.
Ein anderer Text, der sich an den ursprünglichen Forderungen von Meinhofs Text
anschloss, war einer vom„Gefangenenrat Frankfurt“,der im November 1973
im „Nachrichtendienst (ND)“ veröffentlicht wurde.
Dabei wurde die Abschaffung aller Internierungen gefordert, wie im Meinhof Text
eine Gefangenenselbstverwaltung, Abschaffung jeglicher Misshandlungen gegenüber
den Internierten, Abschaffung der Briefzensur usw. usw. – das
Meiste und noch etwas mehr aus diesen beiden Texten findet sich in dem
1980 veröffentlichten „Entwurf einer Magna Charta für alle Internierten
in Gefängnissen, psychiatrischen Anstalten, Fürsorge-und
Erziehungsheimen“ wieder.
Dieser nachfolgende Entwurf war notwendig geworden, weil zum einen durch den
Konflikt innerhalb der Gruppen in den Knästen ( hier vor allem zwischen RAF und
„Gefangenenrat“) und einer Entpolitisierung der Menschen draußen das Thema
„Knast“ und dem Kampf dagegen immer mehr weggedrängt wurde –draußen war es vor
allem die Alternativen mit ihren Projekten und Zeitungen, die
sich mehr und mehr dem Knast entfremdeten, ja Texte und Informationen von den
Knastgruppen darüber sogar ablehnten – federführend der damalige „Pflasterstrand“um Cohn
Bendit undJ.Fischer.
Hier nun also der
Entwurf":
"Dieser Entwurf einer Magna Charta für alle Internierten in
Gefängnissen, psychiatrischen Anstalten, Fürsorge-und Erziehungsheimen, ist das
Ergebnis zahlreicher Briefe und Gespräche mit Eingeschlossenen sowie von
Diskussionen zwischen Knastgruppen in berlin, Hamburg und München. Wir hoffen
damit in allen Gefängnissen, Anstalten und Heimen einen Diskussions-und
Kristallisationspunkt zu schaffen, der Ausgangspunkt für eine
Gefangenenbewegung sein soll. Wir wollen darüber hinaus eine breite
Öffentlichkeit für die Problematik der Eingeschlossenen herstellen und neue
Perspektiven der Knastarbeit entwickeln. Auf der Grundlage dieses Papiers
sollen neue Knastgruppen und Initiativen entstehen, die sich für die Interessen
und Rechte der Eingeschlossenen einsetzen. Dieses Papier ist ein vorläufiger
Entwurf, eine endgültige Fassung kann nur in der Diskussion mit den
Eingeschlossenen und den Gruppen draussen erarbeitet werden.
Kollektiv Rote Hilfe München
Entwurf einer Magna
Charta für alle Internierten
…
Präambel
Mehr als 500.000 Menschen leben in der BRD ohne Rechte, für sie gilt auch nicht
das Grundgesetz. Sie werden zur Arbeit gezwungen, ohne dafür eine entsprechende
Bezahlung zu erhalten. Sie haben keinen Anspruch auf Informationsfreiheit, sie
dürfen nicht lesen und schreiben, was sie wollen, für sie ist Zensur eine
alltägliche Einrichtung. Sie leben in menschenunwürdigen Unterkünften, sie sind
nicht ausreichend versichert und haben keinen Anspruch auf Urlaub. Und all das
geschieht ohne rechtliche Grundlage. Selbst die minimalsten Rechte, die ihnen
eingeräumt worden sind, werden aufgrund der Willkür von Anstaltsleitern und
Richtern oftmals beschnitten. Sie kennen nur Verbote und Pflichten, keine
Rechte. Gemeint sind die 60.000 Internierten in den 150 Gefängnissen, die
250.000 Kinder und Jugendlichen in den 3.500 Kinderheimen, Erziehungsheimen,
Jugendschutzstellen und Heimen für Behinderte, die 200.000 Internierten in den
130 psychiatrischen Anstalten in der BRD.
Gegen diese Bevormundung und für Selbstbestimmung ist die Magna
Charta entworfen worden, von ehemaligen und jetzigen Inhaftierten,
von Knastgruppen aus Berlin, Hamburg und München. Sie ist
erarbeitet worden, weil der Knast, die Heime, die psychiatrischen Anstalten
immer unmenschlicher werden. Die Reformpolitik der 60er Jahre ist längst
gestorben, neue Gesetze und neue Bauten beschnitten die Rechte immer mehr,
machten die Isolation immer perfekter. Vom pennsylvanischen Einzellensystem der
Puritaner führt eine zielstrebige Entwicklung über die wissenschaftliche
Erforschung der Isolation und des Isolationstrakts von Ossendorf und Stammheim
bis zu den technisch perfekten Hochsicherheitstrakts unserer Tage. Der Trend
zur Isolation in der Isolation wird immer stärker. Geplant bzw. im Bau sind
neben den Hochsicherheitstrakts Knäste für inhaftierte Drogenkonsumenten und
Knäste für „klinisch nicht mehr therapierbare Kriminelle und
Geisteskranke“ (wörtliches Zitat des Bayerischen Justizministeriums), die
den irreführenden Namen Fachkrankenhäuser für forensische Psychiatrie führen
sollen (eine ähnliche Verschleierung war die Umbenennung der Gefängnisse in
Justizvollzugsanstalten). Für Jugendliche plant Bonn Gesetze zur Unterbringung
in geschlossenen Heimen und für Arreststrafen in Erziehungsheimen. Bereits
heute werden in der BRD rund 1.000 Jugendliche aufgrund von Rechtsverordnungen
der Länder ständig in Heimen von der Gesellschaft ferngehalten
(Heimjargon: Isole).
Isolation ist aber längst nicht mehr auf den Knast, die Heime und die psychiatrischen
Anstalten beschränkt. Isolation ist zum Prinzip des Systems geworden. Das
System kann nur funktionieren, wenn es die Menschen auseinander dividiert und
isoliert, sei es in der Schule, in der Universität, in der Fabrik, in den
Betonsilos unserer Städte, in den Trabantenstädten, in den Altersheimen usw.
Die modernen Knastbauten in Ossendorf und Zelle, in Stammheim und Stadelheim
sind inzwischen zum Baustil der technologischen Gesellschaft in der zweiten
Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts geworden. Sie dienen als Vorbild für
Knastneubauten bzw. -erweiterungen in der BRD und im Ausland (Moabit,
Wuppertal, Bielefeld, Straubing, Herrera de la Mancha in Spanien, Asinara in
Italien und Regensdorf in der Schweiz, um einige Beispiele zu nennen).
Knastarchitektur beherrscht die Landschaft. Man kann kaum noch
unterscheiden, ob es sich um einen Knast, eine Fabrik, eine Schule, eine
Universität, ein Atomkraftwerk oder ein Altersheim handelt. Gerade da
sehen wir aber auch eine Möglichkeit, die Gemeinsamkeit der Isolierten
herzustellen, ein Verständnis der Isolierten draußen für die Isolierten drinnen
zu erwecken. Der Versuch, die Isolation zu durchbrechen, indem man
sich gemeinsam und überall gegen die Isolation wehrt. Das „Reißt die
Mauern ein“ gilt nicht nur für die Knäste, Heime und psychiatrischen Anstalten,
es gilt für jede Art Isolation.
Isolation ist in den Knästen auch zum besonderen Problem der
politisch motivierten Gefangenen geworden, die sich mehrmals durch
Hungerstreiks dagegen gewehrt haben, allerdings ohne Erfolg, vor allem aufgrund
der falschen Forderungen. Die Kritik an den Forderungen der Gefangenen aus der
RAF, die sowohl von drinnen wie auch von draußen geäußert wurde, sollte endlich
einmal ernsthaft diskutiert, nicht länger als Defätismus, Staatsschutzdenken,
Abwiegelei oder Reformismus diskriminiert, sondern als Möglichkeit gesehen
werden, auf einer anderen, breiteren Ebene weiterzukämpfen, die auch von
draußen in größerem Rahmen unterstützt werden würde.
Dazu gehört auch, dass man den Avantgardeanspruch in jeder
Form, sei es als „politischer Gefangener“ im Gegensatz zum „sozialen“ oder
„normalen“ Gefangenen, oder sei es als „Kriegsgefangener“ aufgeben muss und
sich als Gefangener unter Gefangenen sieht. Die Forderung nach
Zusammenlegung in interaktionsfähigen Gruppen in der bestehenden Form ist
nichts anderes als ein Ausdruck dieses Avantgardedenkens. Dass man dabei im
Endergebnis noch den Vorstellungen der Justiz entgegenkommt und die Hochsicherheitstrakts
des Justizsenators Meyer als einen Erfolg des
Hungerstreiks der „politischen“ Gefangenen bezeichnet , mutet wie ein makaberer
Witz an und bestätigt nur, dass man selber an einem erfolgreichen Ausgang des
Hungerstreiks gezweifelt hat.
Wer seine politische Identität nur in der permanenten Bestätigung durch
Gleichdenkende erhalten zu können glaubt, beweist eigentlich nur die Schwäche
dieser Identität und zimmert damit gleichzeitig an seinem eigenen Ghetto.
Wer sich im Knast nur ständig mit Gleichgesinnten auseinandersetzt, besser
gesagt, sich gegenseitig bestätigt, verliert den Bezug zur Realität und
versteigt sich in abstrakte Forderungen. Für viele der Gefangenen aus der RAF
war der Gedanke, nur vorübergehend im Knast zu sein und demnächst befreit zu
werden, die einzige Hoffnung, um überleben, den Knast ertragen zu können. Das
führte dazu, dass man den Knast als Perspektive, als eine Basis der
Auseinandersetzung völlig außer Acht ließ und sich von den anderen Gefangenen
isolierte. Um nach Schleyer und Mogadischu überleben zu können, sollte man den
Knast als Perspektive und Basis einkalkulieren und sich auf einen gemeinsamen
Kampf zusammen mit den anderen Gefangenen vorbereiten. Das heißt, dass
man für eine Integration in den Normalvollzug kämpft und nicht für eine
Trennung von den Anderen. Es stimmt einfach nicht, dass man in
früheren Hungerstreiks für eine Integration eingetreten ist, man hat nur für
eine Gleichstellung mit den anderen Gefangenen gehungert, ohne näher zu
definieren, wie diese Gleichstellung aussehen sollte. Damals wurde zu Recht
kritisiert, dass die sogenannten politischen Gefangenen aufgrund der
politischen und. materiellen Unterstützung von draußen, aufgrund ihrer
Sozialisationsgeschichte, aufgrund der Möglichkeit, sich einen Anwalt ihrer
Wahl zu leisten, sowieso schon eine privilegierte Position innehaben, und die
Forderung nach Gleichstellung mit den anderen Gefangenen von diesen als Hohn
empfunden wurde.
Wenn heute von Gefangnen aus der RAF erklärt wird, dass sich die Forderung nach
Integration, die in dieser Form nie gestellt wurde, als nicht realisierbar
erwiesen habe, und man deshalb davon Abstand. genommen hätte, dann ist diese
formale Erklärung nicht überzeugend, denn es gibt RAF-Gefangene, die
sich dafür eingesetzt haben und die sich heute im Normalvollzug befinden. Sie
ist auch deshalb nicht überzeugend, weil seitdem in mehreren Hungerstreiks für
die Durchsetzung anderer Forderungen (Anwendung der Genfer Konvention und die
Anerkennung als Kriegsgefangene) gehungert wurde, die sich bisher tatsächlich
als unrealisierbar erwiesen haben, trotzdem wurde immer wieder dafür
eingetreten.
Die Integration in den Normalvollzug ist eine realistische Möglichkeit für
ein Überleben im Knast, sie würde auch eine Wiederholung der
Stammheimer Todesfälle nahezu ausschließen. Sie ist die einzige Möglichkeit für
ein Überleben, weil der Mensch nur in der täglichen Auseinandersetzung mit
anderen Menschen Stärke gewinnen und seine Identität wahren kann.
Diese Magna Charta ist natürlich nicht allein für die
Gefangenen aus der Stadtguerilla erarbeitet worden, sie ist für alle
Internierten gedacht, und die politisch motivierten Gefangenen
sind nur ein winziger Teil der Internierten. Wenn wir uns länger mit ihnen
auseinandergesetzt haben, so deshalb, weil durch sie der kollektive Widerstand
in den Knästen und Heimen öffentlich gemacht wurde, weil sie die Thematik der
Knäste und Heime problematisierten und dadurch eine breitere Öffentlichkeit
herstellten.
Dass sie scheiterten, liegt vor allem daran, dass sie stets nur für
ihre eigenen Forderungen kämpften und einen Sonderstatus
beanspruchten, den wir energisch ablehnen. Alle Gefangenen sind
politische Gefangene, und wo das erkannt wurde, wurde auch der
Widerstand auf eine breitere Ebene gehoben, kam es zu einer Solidarisierung im
größeren Rahmen, sei es in Höchst, in Straubing, Kaisheim, Preungesheim oder
zuletzt in Berlin, wo die Gefangenen erkannt haben, dass die
Hochsicherheitstrakts nicht allein für die so genannten politischen Gefangenen
errichtet wurden, sondern für jeden, der sich nicht anpasst, der sich nicht dem
Knastsystem unterwirft. Viele Gefangene haben auch schon lange vor der
Verhaftung der Gefangenen aus der RAF militantere Methoden des Widerstandes
praktiziert, vom Zerstören der Zelleneinrichtungen über
Dachbesteigungen und Sit-Ins im Hof bis zu Arbeitsniederlegungen und
Hungerstreiks. Derartiger Widerstand wird auch nötig sein, um für die
Durchsetzung dieser Magna Charta zu kämpfen. Ihnen, denen alle Rechte genommen
wurden, steht das Recht zu, mit aller Härte für mehr Rechte zu kämpfen.
Der letzte Hungerstreik in Berlin, an dem mehr als 200 Gefangene beteiligt
waren, wird zum Signal für andere werden. In jedem Knast, in jedem Jugendheim,
in jeder psychiatrischen Anstalt zwischen Berlin und Köln, zwischen Flensburg
und Konstanz sollte die Magna Charta diskutiert werden. In
jedem Knast, in jedem Jugendheim, in jeder psychiatrischen Anstalt zwischen
Berlin und Köln, zwischen Flensburg und Konstanz sollte ein Forum des
gemeinsamen Widerstands gebildet werden.
Wir rufen alle Internierten auf, sich diesem Kampf anzuschließen. Wir
rufen alle Gefangenen aus der Stadtguerilla auf, auf jeden Sonderstatus zu
verzichten und mit allen anderen gemeinsam für die Verbesserung der
Haftbedingungen, für die Abschaffung jeder Art von Isolation und für die
Integration in den Normalvollzug zu kämpfen.
Wir rufen alle Gruppen, Organisationen, Verlage, Buchläden, linke und
alternative Zeitungen und Zeitschriften und andere Institutionen sowie
Einzelpersonen auf, für die Verbreitung und Veröffentlichung der Magna Charta
zu sorgen und den Forderungen von drinnen durch Unterstützung von draußen
Naschdruck zu verleihen.
Wir rufen alle auf, Initiativen und Knastgruppen zu gründen, um sich für die
Durchsetzung dieser Magna Charta einzusetzen, den Kampf für bessere
Haftbedingungen zu unterstützen und mehr Öffentlichkeit für die Problematik der
Knäste, Heime und psychiatrischen Anstalten herzustellen.
Gefangenenselbstinitiative Hamburg
Knastgruppe Wedding
Kollektiv Rote Hilfe München
Rote Hilfe Westberlin
Wir fordern
die Abschaffung der Internierung ökonomisch, politisch und rechtlich
entwerteter Menschen in den Strafanstalten, psychiatrischen Verwahranstalten
und Fürsorgeanstalten; wir fordern die Abschaffung der Verurteilung, Verwahrung
und Einsperrung von Menschen, die dazu durch ihre Geschichte, ihre Herkunft
vorbestimmt sind.
Für sofort fordern wir
Gleicher Lohn wie draußen / Freie Arbeitswahl / Kein
Zwang zur Arbeit / Mehr Möglichkeiten für unbewachte Arbeit außerhalb der
Anstalten / Gleicher Versicherungsschutz wie draußen (Arbeitslosen-, Renten-,
Krankenversicherung, Unfallversicherung) / Einhaltung der
Unfallverhütungsvorschriften / Anspruch auf bezahlten Urlaub / Anspruch auf
Sozialhilfe
2. im Bereich der ärztlichen Versorgung
Freie Arztwahl, die jedem bei der AOK Versichertem zusteht / Abschaffung der
Anstaltsärzte und Anstaltskrankenhäuser / Auflösung der psychiatrischen
Stationen in den Anstalten / Vorlage konkreter, zeitlich festgelegter Pläne zur
Auflösung der psychiatrischen Anstalten und Umwandlung derselben in ambulante
Stationen
3. im Bereich der Sonderbehandlung
Abschaffung der Einzelisolation / Keine Aufspaltung der Eingesperrten nach
Delikt, Alter, Geschlecht, Nationalität, nach körperlichem (z.B. Behinderte)
oder psychischem (z.B. Suizidgefährdete) Zustand durch Absonderung, keine
speziellen Anstalten, Gebäude, Trakts und Abteilungen / Abschaffung aller
Hausstrafen (Arrest, Einkaufssperre, Besuchssperre etc.) / Beseitigung der
Sichtblenden und Fliegengitter vor den Fenstern / Keine Zwangsbehandlung durch
Psychopharmaka und andere Medikamente / Keine Zwangsernährung, kein
Wasserentzug / Keine Zwangsverlegung, vielmehr Berücksichtung der
Verlegungswünsche der Eingesperrten / Abschaffung aller Gewaltanwendung
(Prügelkommando, Chemische Keule, Beruhigungszelle, Fesselung, Zwangsjacke
etc.) / Abschaffung menschenunwürdiger Behandlung (Körperfilzung, Guckloch,
Kostklappe, Beobachtung rund um die Uhr etc.)
4. im Bereich Kontakt nach draußen
Unzensierter und uneingeschränkter Briefverkehr (so auch Aufhebung der
Briefmarkenbeschränkung in Bayern) / Uneingeschränktes Informationsrecht,
(Bücher, Zeitungen, Radiogeräte, Fernseher etc.) / Freier Telefonverkehr nach
draußen / Jeder hat das Recht auf Urlaub und Ausgang / Freie Sexualität für
alle Eingesperrten untereinander wie auch mit allen außerhalb der Anstalt, zu
fördern durch mehr Urlaub oder Ausgang, durch die Bereitstellung von
Möglichkeiten dazu innerhalb der Anstalt und durch Besuchsmöglichkeiten in der
jeweiligen Unterkunft / Verlängerung der Besuchsdauer auf mindestens 10 Stunden
monatlich, über deren zeitliche Aufteilung der Eingesperrte selbst entscheiden
kann / Ausdehnung der Besuchszeiten auf 6 Stunden täglich / Erweiterung der
möglichen Besucherzahl bei einem Besuch auf mindestens 5 Personen / Abschaffung
der menschenunwürdigen Leibesvisitation von Besuchern / Keine Einschränkung des
Empfangsbereichs bei Radiogeräten bzw. bei Fernsehern auf der Zelle / Jeder hat
das Recht vierteljährlich ein Paket à 20 kg mit Nahrungs- und Genussmittel, neuer
Kleidung und Gebrauchsgegenständen zu erhalten.
5. für Frauen und Kinder
Kein Knast für Frauen während der Schwangerschaft / Haftaufschub für
Hauptbezugspersonen von Kleinkindern / Entscheidungsfreiheit für ältere Kinder
und Jugendliche, wo und mit wem sie leben wollen
6. für Ausländer
Jeder Ausländer hat das Recht auf einen selbstgewählten, vom Staat finanzierten
Dolmetscher / Kein Entzug der Aufenthaltsgenehmigung bei Strafraten / Recht auf
eigensprachige Lektüre
7. im Bereich Unterbringung
Jeder hat das Recht auf eine ausreichende Wohnfläche / Freies und individuelles
Gestalten der Unterkunft / Freie Entscheidung über Einzel- oder
Mehrfachunterbringung / Offene Zellen bis 23 Uhr zur freien Bewegung in den
einzelnen Gängen bzw. Stationen / Steckdose, Lichtschalter, Thermostat und
Fenster zur eigenen Bedienung in jeder Zelle
8. im Bereich Freizeit
Recht auf Ausbildung, Weiterbildung und Umschulung; Ausbau des
Bildungsangebotes; Bereitstellung von Lern- und Ausbildungsmaterial; Recht auf
Ausbildungsförderung / Mehr Gemeinschaftsräume und Anschlagtafeln zum
Informationsaustausch / Hof und Gemeinschaftsräume dürfen in der Freizeit
uneingeschränkt benutzt werden / Selbstständige Gestaltung des Kulturprogramms
(Film, Fernsehen, Hörfunk, Anstaltszeitung, Bibliothek etc.) / Auf jeder
Station eine Kochmöglichkeit / Freier Zugang zu den Wasch- und Duschräumen /
Ausbau der Sportmöglichkeiten
9. im Bereich Einkauf
Breitgefächertes Angebot und Preise, die an den regionalen Durchschnittspreisen
draußen orientiert sind / Erhöhung des Einkaufs auf DM 300,– monatlich /
Sämtliche Gelder dürfen zum Einkauf verwendet werden; Abschaffung des speziell
zum Einkauf bestimmten Geldes / Mindestens einmal wöchentlich Einkauf, bei
schnell verderblicher Ware öfter / Eigene Läden in jeder Anstalt / Jeder
Gefangene kann selbst zum Einkaufen gehen.
10. im Bereich Essen
Besseres Essen, d.h. gleiches Essen für Bedienstete und Eingesperrte, genügend
Eiweiß, genügend Vitamine, genügend Nährstoffe / Abschaffung der
Lebensmittelrationierung / Bessere Getränke (Bohnenkaffee und schwarzer Tee)
11. im Gesetzesbereich
Gleiche Ausführungsbestimmungen zu bestehenden Gesetzen für Internierte und
einheitliche Auslegung der Gesetze und der Ausführungsbestimmungen in allen
Bundesländern / Abschaffung der Sicherheitsverwahrung, der Einweisung auf
unbestimmte Zeit und der Jugendstrafe von unbestimmter Dauer (Gummistrafe) /
Aktives und passives Wahlrecht für alle / Versammlungs- und Organisationsrecht;
Recht auf eine unabhängige, selbstverwaltete Interessenvertretung mit
Mitbestimmungsrechten im anstaltsinternen Bereich und mit Mitspracherechten im
Bereich der Gesetzgebung und der Rechtssprechung bezüglich der Haft- bzw. der
Verwahrsituation (z.B. bei Beschwerden, Drittelgesuchen) / Abschaffung der Pflicht-
bzw. der Zwangsverteidigung und Abschaffung des diskriminierenden Armenrechts /
Freie Auswahl für alle, auch für Strafgefangene; bei Zahlungsunfähigkeit muss
der Staat die anfallenden Kosten (Anwalt, Gutachter, Sachverständiger,
Dolmetscher, Zeuge, Verfahren) übernehmen.
Darüber hinaus fordern wir
die sofortige Umwandlung aller geschlossenen Fürsorge- und Erziehungsanstalten
in offene Einrichtungen bzw. in unabhängige, selbstverwaltete
Jugendwohngemeinschaften.
KOLLEKTIV ROTE HILFE 1980
*** *** ****