Mittwoch, 19. Oktober 2016

Statt Gefängnis „humane“ Fussfesseln und totale Kontrolle? Studiogespräch zu Galli und seinem Buch „Die Schwere der Schuld"





W.: Ja, G., unser letztes Treffen heute, oder?

G.: Mal sehen, das heutige Thema lautet auf jeden Fall: Sinn und Unsinn von Strafen und dies anhand eines Buches von einem Anstaltsleiter. Er schreibt darin, daß Gefängnisse gesellschaftlicher Unsinn sind und hat inzwischen auch konkrete Alternativen.

W.: Ein wiederkehrendes Thema und Galli hat also nun in aktuellen Interviews bestimmte Ideen entwickelt ..!?

G.: Das Infragestellen des Gefängnisses ist schon etwas Aussergewöhnliches in der jetzigen gesellschaftlichen Situation, wo der Ruf nach immer mehr und immer härteren Strafen lauter wird. Wir haben trotzdem noch einige kritische Anmerkungen an seinen Positionen, der ja in letzter Zeit ziemlich viele Interviews gibt. Für eine bürgerliche Öffentlichkeit ist es schon etwas Besonderes, wenn ein Gefängnisdirektor sagt, Knäste seien gesellschaftlicher Unfug und alle Gefangenen, die in seinem Knast sitzen, die müssten eigentlich sofort entlassen werden. Das ist doch schon ein aussergewöhnlicher Schritt...

W.: Aber das betrifft uns hier nicht so, weil wir wollen schon genauer wissen, was er damit meint. In einem Interview schlägt er konkrete Alternativen vor und diese erscheinen mir doch durchaus diskussionswürdig. So schlägt er z.B.vor, daß viele der Gefangenen -nicht alle, einige will er doch drin lassen oder auf ne Gefängnisinsel bringen – also viele sollen statt Knastzelle elektronische Fussfesseln tragen – um das Sicherheitsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger, die ihm sehr am Herzen liegen, weiterhin befriedigt zu wissen.

G.: Ja, aber schauen wir dort erstmal auf das Positive solcher Vorschläge. Er sagt, 90 % oder mehr könnten nach seiner Sicht sofort raus, also Kleinkriminelle, Diebe, Schwarzfahrerinnen...

W.: .. aber er sagt damit nicht, dass diese Genannten keine Fussfesseln tragen sollen....Stellen wir uns mal folgendes vor: Eine Schwarzfahrerin bleibt zwar draussen in ihrem sozialen Umfeld, muss vielleicht dabei auch die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen und trägt dabei Fussfesseln- wie albern ist das denn?




Steilvorlage für die Hassprediger in Politik und Gesellschaft

G.: Ich habe ihn dabei eigentlich etwas anders verstanden und zwar so, daß er die Fussfesseln für diejenigen vorschlägt, die er zu den „weniger Gefährlichen“ zählt.

W.: Also, die „Gefährlichen“ auf ne Insel, die „weniger Gefährlichen -Fussfesseln, ohne konkret zu sagen, wen er damit meint –um sie draussen zu kontrollieren bzw. kontrollieren zu lassen.Apropos Fussfesseln: ein Paradies für die Hassprediger bei den Politikerinnen und Politiker, die schon seit längerem dies auch für Obdachlose, Demenzbetroffene und – ganz aktuell- für Flüchtlinge empfehlen – für all die Personen,die sie bisher nicht in die Knäste stecken konnten.
Aber gut – fangen wir bei dem Positiven an.
Als ich damals im Knast war, wurde ich aus meinen sozialen Bezügen herausgerissen und mir fehlten danach 3, 4 Jahre um in den sozialen Kontakten irgendwie danach weitermachen zu können. Von daher verstehe ich, wenn auch Gefangene die Idee unterstützen, Fussfesseln zu tragen um damit im alten Umfeld zu bleiben.

G.: Das Problem ist für mich, wir können diese Vorschläge durchaus diskutieren, wenn es eine Alternative wäre. Alle alernativen Vorschläge, die bisher gemacht wurden, sind immer nur eine Ergänzung geworden, d.h. es gab nicht weniger Knastplätze sondern es kamen welche dazu...das mit den neuen und zusätzlichen Strafformen ist ja so neu nun auch nicht...Wenn wir uns die Entwicklung der letzten Jahre angucken, dann wurde eher dazu übergegangen, weniger ganz kurze Strafen zu verhängen und dafür immer mehr so genannte Sozialstunden, d.h. Arbeit als Strafe einzusetzen, das kommt bei Thomas Galli auch sehr häufig vor, Arbeitszwang draussen als neue Strafform einzuführen-- zigtausende von Leuten wurden zu Sozialstunden verurteilt, daß hat aber nicht dazu geführt, daß nun weniger Leute in den Knast kommen...

W.: in dem Zusammenhang müssen wir noch etwas zu dem Buch von Galli sagen: er stellt ja das System von Strafen nicht in Frage, so wenig wie er das was die Gesellschaft unter kriminell“ oder „Kriminalität“ versteht nicht in Frage stellt, für ihn bleiben die jetzigen Abweichler*innen weiterhin kriminell, werden bestraft und sollen bestraft werden, nur die Form hat sich geändert.
Es ist hier ein Spannungsverhältnis : zum einen trennt sich der Staat als Organ mehr und mehr von seinen Aufgaben und Verpflichtungen und schiebt diese in Richtung der Bürgerinnen und Bürger, die dann „selbstbestimm“ und „individuell“ für sich übernehmen sollen. Dadurch ergibt sich dann auch ne bestimmte, veränderte Form der Kontrolle oder der Bestrafung in Richtung „Erziehung“.das also die Abweichlerinnen mit Werten, die diese so genannte Zivilgesellschaft bestimmt, erzogen werden sollen. .. da passen die Fussfesseln, die Sozialstunden, die Arbeits und Leistungsideologie --- und alle die in diese Werteschema nicht reinpassen werden halt aussortiert und weiterhin in Verhältnisse gesteckt oder belassen, die vielleicht manche vielleicht Galli nicht gedacht hatten..

Bedrohungsszenarien z.b. in Köln

G.: Du sprichst die Verschärfung des öffentlichen Raums an..bleiben wir in Köln.. in einem Fernsehbericht eines lokalen Senders wurde Beschwerde darüber geführt, daß Bagatelldelikte zu wenig verfolgt würden und dies ein Klima der Unordnung erzeugt, z.b. ist hier das Lagern auf öffentlichen Plätzen verboten und wer es doch tut,der erzeugt ein Klima der Bedrohung oder wenn die Leute bei Rot über die Ampel gehen, das ist einfach ein Klima der Unordnung und wo Unordnung ist da ist ja auch Kriminalität.

W.: Jetzt werden wir mal ernst. Das Vertreiben von Obdachlosen aus der Öffentlichkeit ist hier in Köln schon länger Praxis, aber seit Silvester 2015 ist in Köln eine Stimmung in der Politik und in den Institutionen entstanden, auch einem Teil der lokalen Medien, die unerträglich geworden ist – von Bürgermeisterin, Polizei und Medien wird fast täglich darüber gesprochen, wie sie das, was Silvester passiert ist, verhindern. Da gibt es einen beständigen Rassismus gegen Flüchtlinge und zum anderen eine Tendenz, alles was in das Bild der Touristenstadt nicht rein passt, noch mal extra zu vertreiben..





G.: Das gesellschaftliche Klima, das jetzt bewusst so gesteuert wird oder so entstanden ist, ist geprägt von ner Bedrohungssituation. Aber wovon fühlen sich die Leute eigentlich bedroht? Vom Flüchtling, von der Bettlerin, die auf der Strasse liegt ? – ich fühle mich von ganz anderen Sachen bedroht, in Köln gibt es 23 000 Wohnungen, die aus Spekulationsgründen leer stehen, während Leute verzweifelt ne Wohnung suchen. Das ist für mich eine reale Bedrohung.Und das sind diesen üblen Werte in dieser Gesellschaft.







W.: Es ist eine grosse Entsolidarisierung, in der jede/r an sich sich selbst, seine Vorteile, ihre Zukunft denkt, das Soziale, dieses Gemeinschaftsgefühl ist was für die Mülltonne, in der wir dann wühlen dürfen.und wenn wir was gefunden haben und an das Gemeinschaftliche appellieren oder auch praktizieren, wird es rigoros ausgetrieben und oder von der Polizei weggeräumt..

G.: Es ist ja auch leichter auf der Suche nach vermeintlichen oder tatsächlichen Sündenböcken sich an Schwächere zu halten. Ist auf jeden Fall einfacher als sich mit den Starken anzulegen, also dem Chef, dem Vermieter usw. den Immobilienkonzernen, sich mit denen anzulegen, das erfordert schon ein wenig Mut

W.: Ja, und jetzt mal wieder zurück zu Leuten wie Galli.. dies alles sollte doch eigentlich dazu führen, dass wir den Begriff der „Kriminalität“ überdenken sollten, was ja da nicht geschieht. Also ein offenes Nachdenken darüber, was „kriminell“ eigentlich ist. Dsa würde inhaltlich sicher mehr verändern


Hartz IV ist kriminell und der Hunger ist Gewalt
G.: Na ja, ein bisschen reflektiert Galli in seinem Buch ja schon, was die gesellschaftlichen Wurzeln
da sind.. so sagt er zu Hartz IV, das sei auch ein Programm zur Förderung von Kriminalität.. es landen überdurchschnittlich viele Hartz IV Bezieherinnen/Bezieher im Knast, weil sie so genannte Straftaten aus reiner Not heraus begehen. Entweder reicht das Geld nicht oder die Sanktionen der Jobcenter, die ja oft mehrere Monate den ganzen Betrag streichen, die Menschen geradezu auffordern, sich „kriminell“ am Leben zu erhalten..




W.: Nun, welche Konsequenzen ziehen wir daraus , im Rahmen einer Strafverschärfung, im Rahmen einer Gesellschaft die immer mehr trennt, immer mehr Leute aussortiert, immer grössere Gräben zieht, müssten wir eigentlich fast dankbar sein für Leute wie Galli, die mit ihren Ideen, ihren scheinbaren Alternativen an die Öffentlichkeit gehen. Ich weiss nicht, dankbar bin ich nicht, wenn ich mir das ganze Elend, was wir gerade erleben, noch mal vergegenwärtige. Ich aber andererseits nicht glaube, daß wir irgendetwas in eben diese Öffentlichkeit bringen können, sind doch ganze andere Leute im Fokus, die, die mit dem Ausweis des so genannten „besserwissenden“ angeblichen Experten ausgestattet sind, dafür haben sie ja studiert, dafür wurden sie ja von dem hiesigen System ausgebildet...

G.: Für mich wäre ein Kriterium, wenn ich mich ernsthaft mit seinen Vorschlägen auseinandersetzen müsste, Stichwort Fussfesseln. Ich würde mich dann für mich für Fussfesseln entscheiden, wenn dafür auf der anderen Seite ein Knastplatz gestrichen würde

W.: Die bedauernswerte Knastindustrie...
.
G.: Nicht mein Problem.. aber überleg doch mal, jedes Jahr werden rd. 500 000 junge Leute wegen Drogenbesitz verurteilt

W.: Also wäre es doch das erste, beim Umdenken, was Galli und andere fordern, eine Entkriminalisierung, soll heissen, so genannte Delikte wie Diebstahl, Drogenbesitz oder auch Schwarzfahren einfach aus dem Strafgesetzbuch zu streichen


Samstag, 1. Oktober 2016

Restorative Justice - gute Alternative - für das herrschende System

Grundlagen:

restorative justice bedeutet sowas wie wiederherstellende gerechtigkeit und steht im gegensatz zur
vergeltenden und zur resozialisierienden justiz, bei denen die täterpersonen im vordergrund stehen
und lässt sich auch mit „opferorientierter gerechtigkeit“ übersetzen, wo die betroffene die
hauptrolle hat. der konflikt wird vom staat weg hin zu den konfliktbeteiligten gebracht.

RJ ist so neu nicht. schon vor herausbilden des staates und der errichtung der gefängnisse gab es
diese art von konfliktlösung..in vielen indigenen gemeinschaften wird sie auch heute noch
praktiziert.In den favelas in brasilien z.b. gibt es restorative circles
in neuseeland wurde sie von staatlicher seite von den maoris übernommen.





In deutschland existiert sie vor allem in form des „täter opfer ausgleich“ durch den einsatz von
mediator*innen als vermittlungsinstanz... initiiert durch die sozialen dienste der justiz,
jugendgerichtshilfe, auch staatsanwaltschaften, ausgeführt durch private institutionen wie z.b."die
waage" in köln.
 fand der t/o/a bisher bei kleinen bis mittelschweren delikten statt und vor allem in
der jugendarbeit, nähert sich der T/O/A nun auch handlungen der sexualisierten gewalt zu.

bei RJ wird die tat nicht mehr über das jeweilige gesetz definiert, nicht mehr als handlung gegen
den staat gesehen, sondern über den schaden definiert, der dem opfer zugefügt wird. RJ dient der
wiedergutmachung durch den verursacher. als schadens und leidensausgleich der geschädigten.


Hiesige Praxis:


während in den indigenen gemeinden und manchen von vorwiegend schwarzen bewohnten
stadtteilen in den usa, die sogenannte community einen wichtigen platz im gelingen der RJ einnimmt
zeigen sich hierzulande die zerstörungen durch den neoliberalismus: dem auflösen sozialer
gemeinschaften, der desintegration sozialer lebenswelten, der entsolidarisierung und dem
befriedigen subjektiver bedürfnisse und damit dem ausschluss des/der anderen, um sich selbst zu
stärken...hierzulande kann es also nur in einbeziehung von kleinen kreisen gehen: in der familie
oder dem freundeskreis der beiden betroffenen...das erklärt aber auch zum anderen das steigende
interesse an rj :

wächst zum einen das delegieren von vormals staatlichen aufgaben an die bürger*innen, die sich
für ihr wohlergehen selbst verantwortlich erklären, so erscheint bei RJ dadurch andererseits der
wunsch nach nichtstaatlichen strukturen und gemeinschaften ...obwohl es sich dann dabei wieder in
diesen neoliberalen kreis fügt..(verschlankung des staates mit gleichzeitiger bewahrung staatlicher
interessen durch übertragung auf seine bürger*innen.)..also eine kooperation mit dem
neoliberalen ethos: individuelle wahl, selbstverantwortliches handeln, bestimmer des eigenen
schicksals eigeninitative ..im rahmen und akzeptanz der bestehenden gesetze...
und hier zeigt sich die schwäche der RJ.





Kritik:


fundamentale soziale veränderungen können durch individuelle bearbeitung der konflikte nicht
erreicht werden..sondern kann eher zu einer weiteren form der sozialen kontrolle führen .. verstärkt
wird das auch durch die wachsende professionalisierung der RJ.. es gibt eine wachsende anzahl
von theoretischen auseinandersetzungen zur RJ, die ersten professoren treten auf verschiedenen
kongressen auf...professionelle mediator*innen sehen neue verdienstmöglichkeiten..
unternehmer*innen gründen entsprechende firmen, diplomarbeiten versprechen entsprechende
abschlüsse...die zunahme der sogenannten höheren bildung treibt mehr und mehr leute in die suche
nach neuen aufgaben, die sich in bezahlte arbeit umwandeln lässt. die balance verschwindet im
sozialen raum..der ja wie oben beschrieben..schon klein und überschaubar war.
kippt zu gunsten der sogenannten experten ..mit ihren werten und kapital (siehe Grafik)...und verfestigt dadurch die vorhandene ungleichheit.






.
fehlte schon vorher bei vielen anderen das ökonomische kapital und durch die gentrifizierung z.b.
das sogenannte soziale kapital...alles gründe die zu vermehrten sogenannten "kriminellen
handlungen" führten und führen... so verlieren sie nun weiterhin..das praktische wissen das sie sich
durch ihre alltäglichen erfahrungen angeeignet hatten ist nix mehr wert bei den vielen expert*innen
die plötzlich die räume besetzen mit dem ausweis des „besserwissens“..

"RJ does not mean abolishing the concept of crime.".
sagt einer der führenden vertreter der RJ (Braithwaite*)..damit wird sich also weiterhin am
herrschenden strafrecht orientiert..was die sogenannten „kriminellen“ in ihrer rolle belässt ohne
dass sich über die gründe und den zweck dieser zuweisung gedanken gemacht wird bzw. zu den
hintergründen des abweichenden verhaltens... von einer entsprechenden gesellschaftlichen
veränderung gar nicht erst zu reden …


das konzept der RJ wird in den zuständigen institutionen - politik, justiz, polizei durchaus zur
kenntnis genommen und vor allem im jugendbreich schon praktiziert...auf der anderen seite aber
steht weiterhin die kriminalitätsbekämpfung, die sich in strafverschärfungen und
kompetenzerweiterungen von polizei und justiz ausdrückt (vor allem gegenüber den o.a.
bevölkerungsgruppen wie arme, vertriebene , flüchtlinge) ...das gefängnis auch in seinem
industriellen komplex scheint eisern zu stehen...
für den sozialen frieden bietet sich dabei die RJ an...


(*john braithwaite ist ein australischer kriminologe )





Alternativen bieten sich in der sogenannten “transformative justice” übersetzt wie “transformative
hilfe”...TJ ist in den radikalen sozialen bewegungen und den aktionen gegen die gefängnisse, die
todesstrafe und andere vergeltungs und strafmethoden verwurzelt.TJ ist mehr als die
konfliktbewältigung zwischen zwei personen. wir stehen in einem komplexen verhältnis von
unterdrückern und unterdrückten und wir sind nur dann in der lage, frei zu werden, wenn wir alle
systeme von herrschaft und verletzungen uns und den anderen gegenüber herausfordern, um
strukturen und systeme zu ändern...


....(wird fortgesetzt)                      ( W. für Abolisa)

Mittwoch, 27. Juli 2016

Wir brauchen eine knastkritische feministische Bewegung wie auch eine knastkritische Antifa ... (aus einem Interview mit einer Aktivistin aus Oakland, Original 2014)

Hallo, ich spreche mit jetzt mit einer Aktivistin aus Oakland Kalifornien, die die Knastkämpfe dort mitbekommen hat und Soliarbeit mitorganisiert. Li, möchtest du uns einen Überblick über den Widerstand gegen das Knastsystem in den USA erzählen?








Der Widerstand hier in Kalifornien hat sich in den letzten Jahren vor allem gegen Isohaft gerichtet und gegen die folterähnlichen Bedingungen bzw. die Bedingungen, die inzwischen als Folter bezeichnet werden in der Isohaft . Isohaft betrifft hier wahnsinnig viele Leute, also erstmal: Knast bzw.das Knastsystem in den USA betrifft wahnsinnig viele Leute, in einem viel größeren Ausmaß als in Deutschland oder in vielen anderen Industrienationen in der Welt und ich glaube, dass sich dagegen vor allem die knastkritische Bewegung hier in den USA wendet, unter anderem.

Es gab mehrere Hungerstreiks in den letzten Jahren schon, unter anderem einen im Jahre 2011, der aber dann beendet wurde, weil die Regierung gesagt hat, ja, sie werden sich kümmern zu den Themen, die gefordert werden, aber es hat sich dann nichts verändert, es hat die Situation nur verschlimmert und dann wurden Anfang diesen Jahres Stimmen lauter, die sagten, es werde wieder ein Streik geplant und wir haben von außen überlegt, wie können wir das unterstützen. Mitte Juni gab es einen Streik, der zwei Monate gedauert hatte, und zwar nicht nur ein Hungerstreik sondern auch ein Arbeitsstreik, also, in den Gefängnissen wurde die Arbeit niedergelegt. Was nun bemerkenswert war an dem Hungerstreik , meiner Meinung nach, war die Anzahl der Menschen, die sich daran beteiligt haben. Über 33 000 Gefangene haben aufgehört zu essen – mit der Zeit wurden es in den nächsten Wochen immer weniger, aber diese Zahl – 33 000 – allein in Kalifornien – erschien mir bis dahin unvorstellbar.

Es fing an in einem Gefängnis in Nordkalifornien – Pelican Bay - . als wir die Soliarbeit begannen, dachten wir draußen alle, o.k. das passiert jetzt hier in Pelican Bay, doch dann verbreitete sich der Streik  hinaus bis in den Süden von Kalifornien.
Was bemerkenswert war, von Anfang an wurde gesagt, wir –also die Gefangenen – hören nicht auf, bis unsere Forderungen angenommen werden, weil einfach aus der Erfahrung gesagt wurde, in der Vergangenheit wurde von der Regierung was versprochen, es wurde verhandelt und dann kam nichts dabei raus.



Dieses Mal wurde gesagt, wir machen unseren Hungerstreik, bis verhandelt wird oder einer von uns stirbt. Leider kam es in den beiden Monaten dazu, dass einer an den folgen des Hungerstreiks gestorben ist.

Welche Überlegungen gab es denn von Solikreis zur Unterstützung?

Ich denke, das was interessant und wichtig ist an diesen Protesten , dass Streiks und Proteste von innen geführt worden, und das das von außen respektiert und anerkannt wurde, d.h. von außen wurde lediglich Soliarbeit nach innen gemacht in der Form, wie es halt von innen nicht möglich ist, z.b. Kontakt zur Presse halten, wenn die nicht in die Gefängnisse kam, oder öffentliche Mitteilungen schicken, weil drinnen es ja keinen Zugang für die Gefangenen zum Internet gibt, telefonieren von innen teuer ist, - so wurde ein guter Kontakt zu den Gefangenen gehalten, vielleicht auch, weil einige NGOs beteiligt waren, deren Aufgabe sowieso Gefangenenarbeit war, und die schon vorher im Kontakt standen.
Bemerkenswert wie viel Kontakt von innen nach außen existierte, obwohl es reguliert wurde, und die Knastleitung logischerweise keinerlei Interesse hatte, dass Informationen nach außen kommen. Hinzu kamen dann von außen Solidemos, öffentliche Besuche am Wohnsitz des kalifornischen Gouverneurs usw.
Herausragend dabei ist, dass die Familienangehörigen und die, die den Gfangenen sonst wie nahe standen, bei all dem eine zentrale Rolle gespielt haben und öffentlich auftraten.
In den USA sind etwa 0.76 Prozent der dortigen Menschen inhaftiert, im Vergleich dazu in Deutschland 0.078 Prozent der Menschen –also 10 mal soviel. Kann das einer der gründe sein, warum das Thema in der US-amerikanischen Gesellschaft so stark behandelt wird?





Ja schon, weil es viel mehr Leute betrifft und auch eine größere Bewegung gegen den „Gefängnisindustriekomplex“ gibt und ich glaube das es in den USA bekannt ist, dass es ein gesellschaftlich gebeuteltes Phänomen ist , also, dass die Regierung Knäste will, damit Profit macht, dass Firmen Profit machen, also die privatisierten Knäste, und das es nicht nur  ein kapitalistisches System ist sondern auch ein klar rassistisches.
Heute sind in den USA mehr Schwarze Menschen in den Knästen als je in den USA versklavt waren. Es sind mehr schwarze Männer entsprechend dem Alter in den Gefängnissen als in Colleges und das ist gesellschaftlich gewollt. Und das macht Sinn, dies zu bekämpfen.





Also hier in bestimmten Bevölkerungsschichten kennt fast jede/r eine/n, die im Knast ist und ich glaube, das dies auch ein Ausdruck der Us-amerikanischen neoliberalen Politik ist – in bestimmten Bezirken wird von der „Prison go to Prison Pipeline „ gesprochen, also der Pipeline, die die Schulen und die Gefängnisse verbindet.D.h. Es sind oft arme Stadtviertel oder arme Städte wie Oakland, die historisch eine Arbeiter*innenstadt ist und eine schwarze Stadt, also mit einem sehr hohen Anteil schwarzer Bevölkerung. Es gibt Regionen, wo den Schüler*innen in den Schulen schon klar ist, wenn sie aus der Schule rauskommen, ein großer Prozentsatz von ihnen landet im Knast.  Und das ist in der Regierung auch bekannt. Statt nun soziale Maßnahmen dagegen zu entwickeln, Geld zur Verfügung zu stellen, Obdachlosenhäuser zur Verfügung zu stellen, wird dies als Methode gesehen, die Armen von der Straße zu kriegen. Das ist ein Angriff auf die Ärmsten in der Bevölkerung und ist ein rassistischer Angriff und das wird von den Leuten so verstanden und auch so weitergeben …








Es gibt Gruppen, die sich speziell auf diesen Rassismus hin engagieren und ich habe gelesen dass es auch Gruppen gibt, die speziell Transmenschen unterstützen. .die wohl auch in andere Knäste, also die zu ihnen gehörenden Frauenknäste wollen weil sie im Männerknast sehr viel Gewalt gegen sich erfahren  „


Ja, das Problem ist wenn eine Geschlechtseinteilung gemacht wird, so wird in der Regel nach den Genitalien gemacht und das bedeutet viel Gefahr , ist verbunden mit sexualisierter Gewalt und ein nicht Anerkennen der eigenen Identität, worunter diese Leute halt leiden. Auf verschiedenen Ebenen ist das Problem erkannt , es gibt Queergemeinschaften, die sich regelmäßig treffen, Briefe in die Knäste schreiben und die Community im Knast unterstützen und es gibt Organisationen die im Besonderen Transmenschen im Knast unterstützen und die dann auch Transmenschen in die Leitungen ihrer Organisationen wählen am besten dann noch die, die schon mal im Knast waren …und wenn wir uns den Widerstand in den USA ansehen, wird er von vielen NGO`s getragen , die sich spezialisiert haben, es gibt Organisationen, die sich um Frauen mit Kindern in den Knästen kümmern oder Frauen die aufgrund von häuslicher Gewalt in die Knäste gelandet sind, Organisationen, die sich um Transmenschen kümmern, Organisationen, die sich um schwarze Männer im Knast kümmern usw. und was sie alle eint, ist, dass sie die Menschen die jeweils am meisten betroffen sind, in ihre Leitungsfunktionen beförderndiese Entwicklung gibt es seit einigen Jahren, weil anerkannt wurde, dass die Menschen, die am meisten betroffen sind, auch am meisten dazu sagen können und am meisten Veränderungen bringen… wenn wir das mit Deutschland vergleichen, mit der Knastbewegung bei euch, kann diese NGOisierung  ein Fluch wie ein Segen sein, zum einen sind viele Organisationen dabei bei der Knastarbeit und machen eine Arbeit, die andere in dem Maße nicht können, z.b. Kontakt halten zu Anwälten und Kontinuität zu den Leuten in den Knästen, haben die finanziellen Mittel , das professionelle Ansehen, was halt informelle und radikale Gruppen nicht bringen können- auf der anderen Seite hatte ich das Gefühl, weil diese Proteste ja von diesen NGO´s draußen getragen wird, wenig Protest auf die Straße vermittelt wird, gab es auch, aber was NGO´s eben nicht können, ist eine größere Bewegung mobilisieren – in Deutschland wird ja, so denke ich, die Antiknastarbeit eher auf der Straße, also nicht in den Büros ausgefochten wird, und manchmal auch dadurch einen ganz anderen Druck ausüben als das NGO´s können oder vielleicht auch wollen – das wird dann auch von der Regierung so gerne gesehen und gefördert, wenn wir zurückdenken in die 70er, ja 60er schon,, wo z.b. die Black Panther viel auf der Straße gemacht haben, Volksküchen eingerichtet haben, da sagten sich die Politiker, wir müssen die NGO´s z.b. finanziell unterstützen, damit sich die Leute nicht radikalisieren und das wurde in den letzten Jahren auch stark durchgeführt und das erklärt, warum die NGO´s hier in den USA so einen Stellenwert haben

Wie läuft den die Zusammenarbeit zwischen NGO und selbstorganisierten Gruppen?

Komplex,auf der einen Seite arbeiten die NGO´s sehr professionell , haben Ressourcen, die sie mitbringen, die informelle Gruppen nicht haben, haben Anwälte usw. aber es gibt immer wieder Militanzdebatten, Reibungspunkte zwischen den Gruppen, die verschiedene Aktionsformen haben vor allem in Oakland, die ja ne starke Occupybeswegung gab.




Hast du den Eindruck, dass in den Angehörigengruppen auch abolitionistische Positionen gibt?

Ich denke schon, ein Beispiel: als ich letztes Jahr in neu York war und Flyer in die Hand bekam zum Thema Antiknastarbeit, na dachte ich, vielleicht sind so 10 ,15 Leute da, und die üblichen Büchertische, aber es waren Hunderte von Leuten, mindestens 500, die Hälfte von ihnen People of Color, in einer gemieteten Kathedrale, und ich komm da rein und höre nur eine Stimme, die über dem Lautsprecher sprach und ich fragte die Leute neben mir, wer spricht denn da, und mir wurde gesagt, das sei eine Liveschaltung in den Knast und der, der da redet sei Mumia Abu Jamal, der davon sprach, dass wir eine Abschaffung der Knäste brauchen, und keine Reformen und alle um mich herum springen auf und jubeln, und ich dachte, wow, das wäre in Deutschland überhaupt nicht vorstellbar, und vor allem nicht von solchen verschiedenen Menschen hier in diesem Moment..

Wenn ich an die deutsche linke denke, fällt mir erst einmal der Slogan „Freiheit für alle politischen Gefangenen“ . Wie sieht es damit in den USA aus?

Diese Forderung habe ich in den USA auch schon gehört, aber eher in dem Sinne, dass die Privatiserung der Knäste in den USA  ein genereller Angriff auf die Ärmsten in der Bevölkerung ist und vor allem die schwarze Bevölkerung aber generell auch die gesamt People of Color in den USA und in diesem Sinne alle Gefangenen in den USA politische Gefangene sind.. Ansonsten wird diese Trennung, wie sie auch in Deutschland verstanden wird, eher von den Leuten gemacht wird, die Reformen wollen ( also Verbesserungen innerhalb des Knastsystems) und für die Menschenrechte kämpfen und denen, die das ganze herrschende System abschaffen wollen.

 In den USA wird das ganze eher aus einer feministischen oder antirassistischen Perspektive verstanden, das heißt, es hilft nicht, Vergewaltiger und Nazis in Knäste zustecken, weil es das Problem, eher schlimmer macht. Weil die dort mit ihresgleichen zusammenkommen, weil sie ihre Netzwerke verstärken und vor allem weil eine Verantwortungsübernahme der Täter*innen verhindert wird. Also, hier gibt es einige Konzepte der Übernahme von Täterveranwortung durch die betroffenen Gemeinschaften z.b durch die „transformative justice“.






Lassen sich aus den ganzen Aktionen, Erfahrungen Dinge mitnehmen, die für uns hier in der deutschen Antiknastbewegung Anregungen geben kann?

Ich glaube, ne ganze Menge. Zum einen hat es – siehe AKW Bewegung – Erfolg, Projekte die im Bau sind, zu bekämpfen, weil ja schon bestehende Gefängnisse da etwas schwieriger sind, zu bekämpfen , also dass die Tendenz auch in Deutschland Knäste zu privatisieren, von Beginn an bekämpft werden sollte, weil –am Beispiel USA – noch mehr Menschen als zuvor dann in die Knäste bekommen. Diese Knäste werden hier in USA irre subventioniert, in Kalifornien ist das Knastsystem auf Platz 1 der Staatsausgaben, während die Bildung auf Platz 50 ist .

Ein anderes Feld, hier in den USA, werden auf der anderen Seite viele Knäste geschlossen und die Gefangenen dann in andere, dann überfüllte Knäste gepackt…klar, wie formulieren wir das denn,wenn wir da auf einmal gegen die Schließung von Knästen demonstrieren,..




Des Weiteren, was ich hier erlebt habe, dass wir mehr Kontakt in die Knäste halten sollten, soll heißen, die Gefangenen sind die, die die meisten Kompetenzen haben und wir die Gespräche mit denen suchen sollten, und einen langanhaltenen fortlaufenden Dialog suchen müssen, zu ihren Forderungen, zu ihrer Sichtweise





Und sehr wichtig, die Knastkämpfe antirassistisch und feministisch zu erweitern, einfach mal jetzt zum aktuellen Thema auch in Deutschland, sexualisierte Gewalt, zum einen sollte es verhindert werden , dass es noch mal passiert und die schon betroffenen Frauen fragen, was sie brauchen, das jetzige Justizsystem kümmert sich um die betroffenen Frauen überhaupt nicht, es wird nur auf die Täter geschaut, aber auch da wird von der Justiz /Knast eine wirkliche Auseinandersetzung verhindert, die Täter hocken da ein paar Jahre und es verschlechtert sich eher,weil in dem Umfeld, in dem sie nun gesteckt sind, an ihren Problemen nicht arbeiten können, und stattdessen eben am besten natürlich mit/und durch die, denen sie leid zugefügt haben, … denn der Nährboden für die sexualisierte Gewalt, patriarchalische Gesellschaft , das politische Umfeld, das persönliche Umfeld , nichts davon wird ´momentan in die Verantwortung genommen, diese Auseinandersetzung, die wir alle dringend brauchen, wird durch den Knast verhindert.






Wir brauchen eine feministische Antiknastbewegung und wir brauchen eine knastkritische feministische Bewegung wie auch eine knastkritische Antifa das muss alles zusammengedacht werden – anders kann es nicht funktionieren.

***


Das ganze Interview könnt Ihr hier hören: http://akpradio.podspot.de/post/von-der-schule-in-den-knast/








Mittwoch, 20. Juli 2016

Arbeitszwang und die "Erziehung" der Gefangenen (oder die Vernichtung der "Arbeitsverweigerer)- ein historischer Abriss



Gesetzlich befohlen wurde der Arbeitszwang durch das deutsche Strafgesetzbuch 1871, und 1878 wies der deutsche Handelstag mit einer Enquete über Gefängnisarbeit auf die Notwendigkeit der Beschäftigung von Gefangenen hin. Ab 1884 war der Arbeitszwang in den Knästen breit durchgeführt und nur eine Minderheit war noch „beschäftigungslos.'









Die Gefängnisarbeit wurde in drei Hauptsystemen durchgeführt: Im „Unternehmersystem" wurden die Gefangenen an einen Unternehmer verpachtet, der den gesamten Strafvollzug unter sich hatte. Eine Variante davon war die „Spezial-Enterprise", bei der der Staat die Verwaltung stellte und die Werkzeuge und Werkmeister vom Privatunternehmen gestellt wurden.

 Die zweite Organisationsform von Gefängnisarbeit war das “Kunden- oder Akkord-System". der Staat ließ die Häftlinge auf Rechnung von Unternehmern arbeiten.

Im „Regie-System" besorgte die Gefängnisverwaltung Rohmaterial und Arbeitsgeräte und ließ unter Anleitung eigener Werkmeister Produkte herstellen, die an Privatunternehmen oder an öffentliche Verwaltungen verkauft wurden. „Regie-System" und „Kundensystem" nahmen immer mehr zu und wurden in Nord-und Süddeutschland unterschiedlich praktiziert.
 In Württemberg z.B. war die Knastarbeit in einer Mischform von „Akkord-" und „Unternehmersystem" organisiert, in dem ein dauerndes Vertragsverhaltnis mit einem Unternehmer bestand.

Mit dem starken Anstieg der Eigentumskriminalitat im 1. Weltkrieg und der Neuzusammensetzung der Delinquenten wurde die Umstrukturierung der Gefängnisarbeit forciert. Durch die Verwendung von Häftlingen zum „Kriegshilfsdienst" wurden die Knäste für das Regime zu wichtigen Fabriken, in denen das Arbeitskräftepotential maximal ausgepresst wurde.





1916/17 traten proletarische Frauen und Jugendliche ais politische Kraft hervor: Aneignung von Lebensmitteln. Sabotageakte in Kriegsbetrieben und militanter Aufruhr standen auf der Tagesordnung. Die massenhafte Anwendung illegaler Praktiken wurde zu einer Waffe dieser radikalen Bewegung gegen Krieg, Not, Ausbeutung und Unterdrückung. Die ersten Akte der Befreiung in der Novemberrevolution waren dann auch der Sturm auf die Gefängnisse. Die erfolgreiche Befreiung von Häftlingen in Militär- und Zivilgefängnissen durch revoltierende Matrosen, die zuerst ihre wegen Verweigerung des weiteren Kriegseinsatzes eingesperrten Kameraden befreit hatten, und Unorganisierte in den verschiedenen Regionen wird aus Kiel, Bremen, Danzig, Köln, Koblenz, Düren, Trier, Aachen, Dortmund, Bochum, Gelsenkirchen, Duisburg, Krefeld, Recklinghausen, Mülheim, Solingen und München berichtet, wobei diese Aufstellung sicher nicht vollständig ist, von misslungenen Befreiungsversuchen, wie z.B. in Bielefeld, ganz abgesehen Mit dieser Öffnung der Gefängnisse kam es zur direkten Konfrontation zwischen der traditionellen sozialdemokratischen Arbeiterbewegung, die mit den ,,Arbeiter- und Soldatenraten" den Aufstand taktisch kanalisieren wollten, und dem Subproletariat, das zur direkten Aktion übergegangen war.

Für Aschaffenburg, z.B. den früheren Assistenten Kraepelins, war diese autonome „soziale Amnestie" und die weiter anhaltende Massenkriminalität die Sache der Psychopathen, Zuchthäusler, Gewohnheitsverbrecher und aufgepeitschten Jugendlichen. Verbrechertum und geistige Störung seien zwei Pflanzen auf demselben Boden der körperlichen und geistigen Entartung, und in ihrer Bekämpfung sollte seiner Meinung nach schon lange gegen die Person des Rechtsbrechers vorgegangen werden, von seiner Individualität ausgehend musste die Auswahl wirksamer staatlicher Gegenmittel abhängig gemacht werden.Aschaffenburg sprach sich für mehr Erziehung der Delinquenten und die Feststellung der Geisteskranken im Strafvollzug durch Ärzte und Psychiater aus, denn in den Begriffen „Gefängnis" und „Irrenanstalt" sei nur der Ausdruck eines Bestrebens zu sehen, mit zwei völlig verschiedenartigen Methoden gegen solche Personen vorzugehen
,„die sich von der Norm, sei es durch krankhafte, sei es durch asoziale oder antisoziale Haltungen abheben, und wir sind wohl berechtigt, die beiden Schlagworte durch die zutreffenderen und ihrem ganzen Wesen nach richtigeren zu ersetzen: ,Strafe- oder „Behandlung".'' (Aschaffenburg 1908).





Mit der Massenkriminalität des 1. Weltkrieges entwickelte sich eine reformpädagogische Strömung des präventiven institutionellen Kampfes von oben. Im Mittelpunkt der Gefängnispädagogik stand die Arbeit.Erziehung zur Arbeit" und „Erziehung durch Arbeit“sollte den Widerstand der Jugendlichen brechen und sie zur .sozialen Arbeitspflicht" erziehen.
 In Gemeinschaftshaft sollten sie nicht durch Zwang, sondern durch Selbstdisziplinierung und freiwilliges sich einfügen in eine höhere Ordnung erzogen werden. In dieser Reformpädagogik sollte die Prügelstrafe zwar abgeschafft, Strafen in Form von Verboten, E ntziehung von Vergünstigungen und Anwendung des Arrest sollten jedoch beibehalten werden.
 Nach dem Beispiel des irischen Strafvollzugs sollte eine Stufenprogression der Haftarten und der Haftvergünstigungen entwickelt werden. Verbunden mit solch' einer Erziehung der Kriminellen war die systematische Sammlung und Auswertung von Kenntnissen über das Individuum. Mit der Entstehung der Kriminalpsychologie wurden u.a. folgende Forderungen für den Strafvollzug aufgestellt: Einbeziehung von psychologisch geschulten Erziehern; Zusammenarbeit mit psychologischen Instituten; psycho-analytische und individualpsychologische Untersuchungen: Differenzierung der Gefangenen in Bezug auf Arbeit, Unterricht, evtl. auch Wohngemeinschaften; Aufstellung von Psychographien und Psychogrammen, Anfertigung psychologisch orientierter Fragebögen; Einzelbehandlung schwererziehbarer Häftlinge: psychologische Ausbildung der Beamten und wissenschaftliche Verarbeitung des Materials
. Die Frage nach den Wirkungen der Freiheitsstrafe auf die Psyche der Gefangenen war kriminalpolitisch erst dann wichtig geworden, als das Programm des Erziehungsstrafvollzuges propagiert wurde. Mit der Untersuchung von Eindrücken ehemaliger Gefangener in ihren Memoiren entstand die Haftpsychologie, die nun allerdings versuchte, über statistische Typisierungs- und Klassifizierungsraster hinaus zunehmends in das Innenleben der Inhaftierten vorzustoßen, indem die Sozialdiagnose integraler Bestandteil des Programms wurde.

Mit der Praktizierung des Erziehungsstrafvollzugs und einer differenzierteren Kriminalpolitik war bis Anfang der dreißiger Jahre ein neues Potential an wissenschaftlich erarbeiteten und feineren Methoden des Angriffs auf die Person des Gefangenen entwickelt worden, welche im realen Strafvollzug aber noch weitgehend im Modellstadium blieben, mit Ausnahme des Stu-fenstrafvollzugs, der in Deutschland in den zwanziger Jahren allgemein eingeführt worden war.


Sozialdemokratie und Strafvollzug


Die Rolle der Sozialdemokratie in der bewussten  Kriminalisierung und Denunzierung militanter, rechtsbrechender Arbeiterfraktionen seit den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, vom Lumpenproletariat sowieso ganz zu schweigen, ist allgemein bekannt. Ziemlich klar aufgezeigt wurden die Positionen der sozialdemokratischen Parlamentarier zum Strafvollzug, zu Fragen wie Knastarbeit und die Behandlung politischer Gefangener, durch die Veröffentlichung von Alfred Behrle

Die Sozialdemokratie trat von Anfang an für eine Sonderbehandlung der politischen Gefangenen ein. Schon 1875 brachte der Reichstagsabgeordnete Johann Most, der damals selber eine längere Freiheitsstrafe in Plötzensee absitzen musste, eine Petition ein,
die ein schnelles Notgesetz für die gerade Gefängnisstrafen verbüßenden politischen Gefangenen forderte, damit ihnen gesetzliche Selbstbeköstigung und Selbstbeschäftigung erlaubt wurde. Liebknecht unterstützte Mosts Antrag. Die sozialdemokratischen Abgeordneten wandten sich in den folgenden Jahren immer wieder gegen das Kahlscheren der politischen Gefangenen, gegen das Zusammenlegen mit gewöhnlichen Verbrechern, ihre Fesselung in der Öffentlichkeit, gegen die Beschäftigung von Redakteuren mit einfachen Arbeiten wie Tütenkleben, Stuhlflechten, Kaffeebohnenlesen etc. und verlangten freie Lektüre. Mit der besseren Behandlung politischer Gefangener wurde eine reichsgesetzliche Regelung für das gesamte Gefängniswesen gefordert.

Als später in Sachsen z.B. das Justizministerium von November 1918 bis Anfang 1924 ohne Unterbrechung von Parteigenossen besetzt war, erhielten die politischen Gefangenen einen Sonderstatus, indem sie ähnlich wie Untersuchungsgefangene sich selbst beschäftigen und durch Empfang von Lebensmittelsendungen selbst beköstigen konnten. Weiter wurde ihnen erlaubt, eine Tageszeitung und politische, wissenschaftliche wie Unterhaltungsliteratur zu beziehen.

In der sozialistischen Revue _Die Zukunft" wurde 1877/78 unter dem Pseudonym N.N. eine Artikelserie zu dem Thema „Strafrecht. Strafverfahren und Strafvollzug im Lichte des Sozialismus, unter besonderer Berücksichtigung eines für das Deutsche Reich zu verfassenden Strafvollzugsgesetzes" publiziert, in der u.a. der Resozialisierungsgedanke propagiert wurde, der am besten .,durch eine möglichst weitgehende Differenzierung der Gefangene in kleine, unter dem Gesichtspunkte der Förderung des Besserungszweckes der Strafe zu bildende Gruppen, und zwar im Rahmen einer einzigen Form der Freiheitsstrafe and eines progressiven Verlaufs der Strafe" erreicht werden sollte. Karl Liebknecht sprach sich 1918 mit seiner Schrift „Gegen die Freiheitsstrafen" für eine individuelle Behandlung der Gefangenen im „ Verkehr mit edlen, pädagogisch gewandten Menschen" aus. Im Görlitzer Programm der sozialdemokratischen Partei von 1921 trat sie für eine reichsgesetzliche Regelung im Sinne des Erziehungsprinzips ein. Mit der ausdrücklichen Bejahung des bestehenden Staates wurde der Rechtsbruch auch zu einem Angriff auf den von ihr mitge-schaffenen Staat. eine Bedrohung der von ihr „gewollten und geschützten Ordnung", die sie abwehren musste. Trotz Bedenken gegen die bestehende „Klassenjustiz" im Allgemeinen und die „Unschädlichmachung" im Speziellen, ergab sich aus den Reden und Schriften sozialdemokratischer Parlamentsabgeordneter ein übereinstimmendes Erziehungsziel: „Das Ziel der Erziehungsarbeit ist, den Gefangenen zu einem gesetzmässsigen Leben hinzuführen, und darüber hinaus nach Möglichkeit ihn zu einem nützlichen (nicht bloß schädlichen)
Mitglied der Volksgemeinschaft zu machen" (Behrle, S. 73). Das Positive, das die Sozialdemokratie damit verband, war zugleich auch immer das Gefährliche in ihren Initiativen.


Die Sozialisten forderten und befürworteten immer den Stufenstrafvollzug, kritisierten jedoch bei seiner allgemeinen Durchführung die Reduzierung erzieherischer Maßnahmen auf die Zugehörigen bestimmter Stufen wie auch die Bedingungen der Einstufung. Mit der in Thüringen durch den sozialdemokratischen. damals stellvertretenden, Justizminister Fröhlich erlassenen Vollzugs- und Hausordnung im Oktober 1922 wurde das Stufensystem eingeführt und somit der Übergang zum Erziehungsstrafvollzug in Thüringen eingeleitet, der neben dem hamburgischen der „fortschrittlichste" in Deutschland war. Die Sozialdemokratie zeigte sich als Schrittmacher in der Perfektionierung des Angriffs auf die gefangenen Subproletarier.

Nach diesem Vorbild sollte laut Krebs ein systematischer Erziehungsstrafvollzug mit folgenden Stufen aufgebaut werden:
1. Beobachtungsstufe: Erforschung der „äußeren und inneren Lage des Gefangenen" durch einen psychologisch ausgebildeten Fürsorger: 2. Behandlungsstufe: Erziehung durch Arbeit in der Gemeinschaft: 3. Bewährungsstufe: Durch .Selbstverwaltung' sollten sich die Häftlinge an eine Verantwortung gewöhnen und evtl. durch vorzeitige Entlassung ins freie Leben übergeleitet werden. Auf dem Mannheimer Parteitag der Sozialdemokratischen Partei 1906 hieß es bezüglich Disziplinarstrafen lediglich, dass die „brutalen" beseitigt werden sollten „Die Sozialisten waren von jeher weder Anhänger der ständigen Gemeinschaft noch der strengen lsolierung. Sie erstrebten vielmehr eine Kombination beider Systeme mit der Begründung, jeder dieser Arten der Einsperrung wurden an sich gute Einflüsse innewohnen, in ihrer ausschließlichen Anwendung müssten jedoch beide zum Misserfolg fuhren." (Behrle)

Für die KPD, die den Strafvollzug in der Sowjetunion als Vorbild ansah, war die ,Korrektion des Verbrechers durch die Arbeit“ das zentrale Erziehungsziel. Die Einreihung der Gefangenen in den Produktionsprozess und die Umgestaltung der Arbeitsbetriebe nach russischem Modell waren die Hauptforderungen der Kommunisten zum Gefängnis in Deutschland. Von der Befürwortung einzelner Erleichterungen für die Gefangenen abgesehen, lehnten sie deshalb den bestehenden deutschen Strafvollzug ab. Die Sozialdemokraten waren gegen die Gefängnisarbeit für Privatunternehmer und befürworteten die Übernahme staatlicher Arbeiten. Der Ausbau der Gefängnisse zu produktiven Grossbetrieben, d.h. die ..Ausstattung der Strafanstalten mit modernen Maschinen, damit die Gefangenen in ihren beruflichen Fähigkeiten stets auf der Höhe bleiben und gleichzeitig die Betriebe möglichst produktiv gestaltet werden", und die mit der Vergesellschaftung der Produktionsweise verknüpften Realisierung eines Regiebetriebes waren ihre zentralen Vorschläge.


 NS—Strafvollzug: Vernichtung durch Arbeit oder Verwendung als Kanonenfutter




Mit der großen Krise Ende der zwanziger Jahre nahm die Eigentumskriminalität sprunghaft zu und bewirkte eine Änderung der Kriminalpolitik hin zu härteren und längeren Freiheitsstrafen, die von den Nazis ab 1933 noch starker akzentuiert wurde. Mit der Einführung der Todesstrafe, bzw.dem „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung" vom November 1933 wurde die rücksichtslose Durchführung
des Strafvollzugs „als Waffe des Staates im Kampf gegen verbrecherische Volksschädlinge
begonnen.

Von Anfang an gab es eine intensive Zusammenarbeit zwischen Medizinern und Kriminalisten, die mit dem Sterilisationsgesetz vom Januar 1934 freie Hand bekamen, die Zahl der „Antisozialen und Asozialen' die zu einem Drittel ais geisteskrank eingestuft wurden, herabzusetzen. 
Zentraler Inhalt des Nazi-Strafvollzugs war jedoch die Ausweitung der Zwangsarbeit, die maximale Leistungsauspressung der gefangenen Arbeitskräfte.
 Zunächst versuchten sie, trotz hoher Arbeitslosenquote, möglichst alle Gefangenen mit Arbeit auszulasten. Dann konzentrierten sich die Maßnahmen auf die Leistungssteigerung und der Arbeitszwang wurde auf die Untersuchungsgefangenen ausgedehnt. In diesem Prozess des starken Vorantreibens der Knastarbeit entwickelten sich die Anstalten zu rationell arbeitenden Fabriken, 1938 wurde die Gefängniszwangsarbeit zur Erreichung des Vierjahresplanes in den „Großeinsatz aller verfügbaren Arbeitskräfte"  integriert.

Mit dem Beginn des Krieges wurden Arbeitszeit und zu erfüllendes Arbeitspensum der Häftlinge um ein weiteres hochgeschraubt. Widerstand gegen Anstaltsbeamte, Lebensmittel-Diebstähle und Sabotage oder Verweigerung der Arbeit gehörten trotz Überwachungsterror zum alltäglichen Kampf der Anstaltsinsassen. So schreibt Hellmer z.B., dass„das Heer der Kleindiebe und Kleinbetrüger, vor allem der Bettler und Wanderer … untüchtig, verbummelt, an Anstrengungen irgendwelcher Art nicht gewohnt und daher auch im Vollzug nur unter hartem Zwang zur Arbeit anzuhalten (ist)."

Arbeits- oder Wehrfähigkeit waren im Krieg die Hauptkriterien, nach denen das Nazi-Regime die Gefangenen zur Vernichtung freigab. Zur Illustrierung einige Passagen aus den .“.Richtlinien für die Vollstreckung von Freiheitsstrafen in der Wehrmacht" des Chefs des Oberkommandos der Wehrmacht, Generalfeldmarscnali Keitel, vom 1.2.1945:

„Nach dem Führererlass vom 2. April 1942 sollen Verurteilte soweit irgend möglich Gelegenheit zur Bewährung vor dem Feind erhalten.
Der Führer verlangt, dass bei der Vollstreckungsentscheidung und während des Strafvollzugs gewissenhaft geprüft werde, ob zu Gunsten der Feindbewahrung auf die Vollstreckung einer längeren Strafe oder Teilstrafe verzichtet werden könne. Die Strafvollstreckung müsse sich dabei den wechselnden Erfordernissen der Kriegslage sofort anpassen. Das Gebot der Stunde erfordert den Einsatz jedes waffenfähigen Deutschen an der Front. Auch bestraften, aber soldatisch brauchbaren, bewährungswürdigen und einsatzfähigen Angehörigen der Wehrmacht und des Gefolges ist sobald wie eben möglich Gelegenheit zur Feindbewahrung zu geben. Die Strafaussetzung darf nicht von der Höhe der Strafe oder des Strafrestes abhängig gemacht werden. Sie ist vielmehr nach der Persönlichkeit des Verurteilten, der Art und Schwere der Tat und ihren Auswirkungen auf die Mannszucht zu treffen.
Wo keine Feindbewahrung möglich ist, tritt der scharfe Strafvollzug in der Feldstrafgefangenenabteilung an ihre Stelle. Wehrunwürdige sind, wenn sie weder für den Feldvollzug in der Zuchthauseinheit einer Feldgefangenenabteilung, noch für eine sofortige Feindbewahrung in Frage kommen, der Geheimen Staatspolizei zu kriegsgewichtigem Arbeitseinsatz unter erschwerten Bedingungen zu überweisen.

Für die Wehrmacht nicht tragbare Elemente (Asoziale. kriminell Veranlagte, Verräter, Saboteure. Zersetzer)  von denen eine brauchbare soldatische Leistung auch nach genügender erzieherischer Einwirkung im Feldvollzug nicht mehr zu erwarten ist, sind der Geheimen Staatpolizei zum Arbeitseinsatz in einem Konzentrationslager (Zwischenhaft II) zu überweisen. Das Gleiche gilt für die vom Einsatz bei der Bewährungstruppe Ausgeschlossenen".


Die Geschichte des Widerstands der Jugendlichen unter dem Nazi-Regime ist bis heute noch weitgehend unbekannt. Die Erlasse in den vierziger Jahren über den Vollzug des Jugenddienstarrestes oder zur Einweisung Jugendlicher ins Jugendschutzlager, deren „kriminelle und asoziale Neigungen-. ihre mangelnde Arbeitsdisziplin " bekämpft wurden, sprechen eine deutliche Sprache. Mit steigender Zahl an Jugendgefängnissen nahm die Diskussion über Jugendstrafvollzug und Jugendstrafrecht immer mehr einen zentralen Raum bei den Nazis ein. Aus Dokumenten über den Strafvollzug gegen Ende des Regimes, vor allem über die mit den Frontverschiebungen notwendig gewordenen Gefangenentransporte, ist zu entnehmen, dass der offene Widerstand gegen Aufsichtsbeamte und Fluchtaktionen von Einzelnen oder in Massen immer mehr anstiegen, und die Polizei präventiv die „gefährlichsten" Gefangenen liquidierte.


 Filtervollzug fiir den regionalen Arbeitsmarkt und "Behandlung der Gefangenen"



In der Zeit zwischen 1945 und dem Ende der fünfziger Jahre greifen die alten Experten des Strafvollzugs auf die Reformdiskussionen in der Weimarer Republik zurück, während gleichzeitig aus dem Ausland wichtige Impulse für einen alternativen Vollzug der "Behandlung“ kommen. Besonders aus den USA stammen Untersuchungen über die "Prison Community", die Auswirkungen der totalen Institution" auf ein widerständiges Häftlingsmilieu und neue Methoden der Bekämpfung dieses Unruheherdes. Anfang der sechziger Jahre werden in den einschlägigen Publikationen und Tagungen vor allem Fragen der Persönlichkeitserforschung, der Klassifizierung
 der Häftlinge und der Gefangenensubkultur diskutiert. Die Ereignisse im Hamburger "Santa Fu" und im Kölner "Klingelpütz" Mitte der sechziger Jahre brachten einen entscheidenden Wendepunkt: durch das zunehmende Bewusstsein der Gefangenen und ihrem wachsenden Widerstand hat sich seit diesem Leitpunkt eine neue Gefangenenbewegung entwickelt, die mit dem frischen Wind der APO und dem starken Interesse am Gefängnis in der Öffentlichkeit gegen die Zustande im Knast und für das Überleben der Gefangenen kämpft.

Der Neubau von Ossendorf ist die erste Reaktion auf Klingelpütz gewesen. Santa Fu und Klingelpütz sind der Auslöser für einen qualitativen Sprung vorwärts in der Kontrolle des Kriminellen, des Angriffs auf seine Person und in der Ausbeutung der gefangenen Arbeitskraft. Es ist der Übergang vom "Erziehungs-" zum "Behandlungsvollzug', der systematischen Anwendung neuester Erkenntnisse und Methoden der Sozial-und Humanwissenschaften zur Entpersönlichung des Häftlings, wie es früher noch nicht möglich gewesen ist.



                                                                    JVA Ossendorf

Mit der Aufgliederung des Strafvollzugs in geschlossene, halboffene und offene Formen ist ein differenzierter Arbeitseinsatz der Gefangenen möglich geworden, der in Abstufungen sowohl eine sichere Bewachung als auch eine optimale Eingliederung der Kriminellen in den Produktionsprozess bewirkt. Dadurch hat immer mehr eine Verschiebung vom Regie-System zugunsten des Unternehmerbetriebes stattgefunden. Die Entlohnung der Gefangenen ist nicht einheitlich, denn durch die Anwendung des REFA-Systems zur punktemäßigen Bewertung des Arbeitsplatzes und der Leistungsstufen wird sie gleichermaßen aufgeteilt. Arbeitspsychologische Begutachtungen der Gefangenen werden in bestimmten Zeitabständen gemacht, um die Leistungsfähigkeit und den Arbeitseinsatz des Häftlings zu überprüfen. Als Gefangenenarbeitskommandos oder als Freigänger müssen sie in privaten Unternehmen oft auch manuelle Arbeiten verrichten, 
die normalerweise schon maschinell gemacht werden, sich bei solchen billigen Arbeitskräften jedoch noch als profitabler erweisen. Die von privaten Unternehmern unterhaltenen Gefängnisbetriebe sind zu deren festen Zweigproduktionsstätten geworden. 

Angesichts der Tatsache. dass gut zwei Drittel der Strafgefangenen un- oder angelernte Arbeiter sind, wird klar, dass auf diese Weise während der Krise die arbeitslosen, arbeitsverweigernden, krimininellen Angehörigen der Unterklassen über den Knast gefiltert als stark überwachte und sanktionierte Arbeitskräfte dem regionalen Arbeitsmarkt wieder zugeführt werden. Als Gefängnisinsassen sind sie immer noch produktiv in die Fabrikgesellschaft „eingegliedert".

Im Knast befinden sich die Arbeitsverweigerer in einer zwiespältigen  Situation. Über Langsamarbeiten, ständige Versetzungsanträge in andere Arbeitsbetriebe, Kritisieren von arbeitswilligen Häftlingen bis zur totalen Arbeitsverweigerung wehren sie sich gegen diese Zwangssituation. Das Einkaufsverbot als Sanktionsmittel nimmt ihnen jedoch die letzte Möglichkeit, mit den wenigen Kleinigkeiten, wie Tabak, Körperpflegemittel etc. das Überleben einigermaßen zu ermöglichen. Sie müssen deswegen ihre Arbeitskraft zu einem Spottpreis verkaufen.

Die Zerschlagung der Gefangenengemeinschaft ist ein weiteres Hauptziel in der Reformierung des Knastsystems, denn dieses Milieu zeigt durch sein Zusammenhalten, dass es einen tiefen Graben zwischen Anstaltsbeamten und Häftlingen gibt, der Ausdruck des permanenten Kleinkrieges ist.

 Durch die Vereinheitlichung der Freiheitsstrafen sind günstigere Voraussetzungen für die gezielte Klassifizierung der Gefangenen geschaffen worden. Die Persönlichkeitsdiagnose durch Psychologen und Sozialarbeiter in Form van Lebenslauf- und Fragebögen Aufnahmegesprächen, Beurteilungsbögen und Briefkontrolle dienen der genauen Beurteilung des Gefangenen und der Einweisung in den entsprechend ausgewählten Anstaltstyp, um die Zusammensetzung der Insassen zu bestimmen und eine rationale und ökonomische Durchorganisierung des Knasts, von der Knastarchitektur bis zur Einteilung der Zeiten und der Tätigkeiten von Beamten und Gefangenen, um im Stil des Fließbandtaktes den Tagesablauf funktional einzuteilen. 

"Humaner Knastbau" wie z. B. in Köln-Ossendorf, als Antwort auf Klingelpütz, ist ein Teil dieser funktionalen Klassifizierung und Disziplinierung der Häftlinge, damit sie sich später leichter in der Gesellschaft draußen zurechtfinden und ihre Pflichten erfüllen.

Die Diskussion über einen Sonderstrafvollzug für Überzeugungstäter, wie z.B. Kriegsdienstverweigerer und politische Delinquenten, hat Deutschland Tradition und wurde in den letzten Jahrzehznten hier wieder sehr intensiv geführt . Durch die umfassende Analyse der Auswirkungen sozialer Isolation auf die Psyche und das Verhalten der Gefangenen konnten Maßnahmen realisiert werden, "die auf Totalität zielten, auf Iückenlose Kontrolle aller Lebensäußerungen, auf hellsichtige Abdichtung… ,Nichtvorgeplante, spontane Kontakte, die Leben und Lebendigkeit bedeuten, gibt es nicht; alle Beziehungen sind genau abgesteckt und eng kanalisiert. Das Gerüst der Sicherheitsvorkehrungen ist wie ein Glassturz über die Gefangenen gestülpt und schafft eine Art Extraterritorialität ." (Rasch).

Die umfassende Isolierung von Häftlingen durch Dunkelhaft, Kontaktsperre, Besuchertrennscheibe, Besuchsverbot, Einzelhofgang, Postzensur, über gerauschisolierte Zellen, Sichtblenden, Bilderverbot, gleichförmiger Tagesablauf, permanente Beobachtung, akustischen und visuellen Reizentzug, Leibesvisitationen, Dauerbeleuchtung, ständige Verlegungen, in andere Zellen, bis zum Verprügeln durch Beamte und dem Vorfinden von Rasierklingen und Schlingen als Aufforderung zum "Selbstmord'' ist inzwischen so intensiv und differenziert weiterentwickelt worden. dass die Quäker oder Wichern mit ihren Einzelhaft-Projekten vor Neid erblassen würden.





Gegen widerständige soziale und politische Gefangene sind in vielen Anstalten Sonderabteilungen eingerichtet worden, um sie nicht nur von den Menschen draußen sondern auch von den Mitgefangenen auszusondern. Häftlinge aus der Strafanstalt Tegel hatten darüber informiert, wie in die Isolierstation oder in die "Tigerkäfige" die "Gewalttätigen, nicht einordnungsfähigen, destruktiven und antisozialen Elemente zur Trennung von den Mitgefangenen oder zur "Eliminierung" gesteckt worden sind. Die Berichte von politischen Gefangenen runden dieses Bild ab. Einhergehend mit diesen Sonderisolationstrakten sind Anstaltsbeamte nach psychologischen und pädagogischen  Gesichtspunkten geschult und eine Art GSG-9 für den Knast als "besonders mobile Sicherheitsgruppe''  aufgebaut worden.

Von Sondertrakten über halboffenen Vollzug bis zu den Freigängern besteht ein breiter Fächer von Vollzugsmaßnahmen, wo es nur noch die Alternative des Gehorsams und Funktionieres für die Fabrikgesellschaft oder der Aussonderung und "lebendigen Zerstörung“ nichtanpassungsbereiter Gefangener gibt




Die Grenzen zwischen den traditionellen „Kranken" und "Kriminellen“ verschwinden immer mehr. Mit der therapeutischen Behandlung der Gefangenen ist ein umfassender Zugriff auf die Identität des Anstaltsinsassen in Kombination mit organisierter Dressur, eingeleitet worden. So schreibt G. Blau schon 1969:

"Freilich ist eine passive Anpassung des Kriminellen (wie auch des psychisch Kranken) an seine Umwelt mit Mitteln der Hirnchirurgie und der Psychopharmaka heute schon möglich . . . Da ihr (die Kriminalpädagogik,.) Ziel die soziale Ertüchtigung in unserer industriellen Massengesellschaft ist, darf sie nicht nur 'Erziehung zur Freiheit' sein, sondern muss sie auch
sondern muss sie auch bis zu einem gewissen Grade "Dressur' sein, d. h. Steigerung der Reaktionsbereitschaft gegenüber den Signalen, durch die unsere Handlungen im Zeitalter der Automatisierung gelenkt werden." (Blau, G.: "Aufgaben und Grenzen der Kriminalpädagogik-". in Kluge, "Kriminalpädagok", 1. Bd., S. 125, 128).

Durch die gesetzliche Verankerung der Führungsaufsicht als „Resozialisierungsinstrument ohne Freiheitsentzug" werden nicht mehr nur seither unter Bewährung stehende Menschen beobachtet und kontrolliert, sondem breite Kreise der Anpassungsverweigerer und Widerstandsleistenden überwacht. Die aus der Sicherungsverwahrung, psychiatrischen Krankenhäusern, Entziehungsanstalten, sozialtherapeutischen Anstalten auf Bewährung Entlassenen, Rückfalltäter u.a. können laut Gesetz bis zu fünf Jahren unter Führungsaufsicht gestellt werden . Die Überwachung endet nicht mit der Entlassung aus der Anstalt, sondern sie wird draußen fortgesetzt und massiv ausgeweitet und verfeinert.

Überwachung und Kontrolle vor und nach dem Knast, abgestufter Strafvollzug von Einzel-Isolation bis zum offenen Vollzug. psychiatrische Behandlung und Prügel, wissenschaftliche Auswertung der dosierten "Behandlungs-Angriffe gegen den "inneren Feind" und die Speicherung aller erfassbaren Daten im Computer sind keine Gegensätze mehr, vielmehr bilden sie eine Einheit im Kampf gegen die Unterklassen. die Kriminellen. die Psychiatrisierten, die Arbeitsverweigerer und alle nicht Anpassungsbereiten. Mit der Entwicklung eines feinen sozialen Kontrollnetzes breitet sich der Knast auf die gesamte Gesellschaft aus. Wir leben in einer Knast-Fabrik-Gesellschaft, die genau überwacht, selektiert, die Menschen zur Aufrechterhaltung dieses Systems gewaltsam funktionalisiert und ausbeutet oder sie aussondert.

***

(stark gekürzt und neu bearbeitet von W.,  Originaltext bei: AUTONOMIE Neue Folge 2, 1979)






Mittwoch, 1. Juni 2016

Gefängnis - sinnvoll/ sinnlos ? - ARTE Doku 2016


9.Juli 2016: Protest gegen "Einarztpolitik" in den Knästen


WUPPERTAL,  9.JULI : PROTESTDEMONSTRATION „ MAUERN ÜBERWINDEN“ UND „KNASTSCHADEN§KOLLEKTIV“ RUFEN AUF ZUM PROTEST GEGEN DIE EINARZTPOLITIK HINTER GITTERN!





Vor 3 Jahren führte man das so genannte Patientenrechtgesetz ein, die Patienten haben nun mehr Rechte auf Entschädigung und Schmerzensgeld und schon gab es erste Zahlen wie viele Behandlungsfehler man z.B 2015 in der BRD hatte ,es waren weit mehr als 4064 Fälle; eine Steigerung gegenüber 2014 um mehr als 400 Fälle...

 Doch was geschieht hinter den Mauern in den Gefängnissen der BRD? Auch heute gibt es weiterhin keine öffentliche Beschwerdestelle für die Patienten hinter Gittern, weiterhin sind wir Patienten 3.Klasse!
STRAFVOLLZUG SOLL PRIMÄR NUR FREIHEIT NEHMEN! ABER NICHT DURCH SCHLECHTERE MEDIZINISCHE VERSORGUNG ZUSÄTZLICH BESTRAFEN!

Anstaltsärzte ignorieren medizinische Entscheidungen der Ärzte draußen, über 70% der Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger werden bei Haftantritt abgebrochen (Stöver European Addiction Research 2011,44-54).

 Bewegungsmangel, Reizarmut,Unerforderung, Unselbstständigkeit, Lethar-gie, Depressionen, Passivität, Interessen-und Mutlosigkeit, die Fremdbestimmung und Monotonie des Alltagsgeschehens führt zur Abstumpfung und Antriebsinnigkeit....





HAFT MACHT KRANK ! !

Die Folgen des Freiheitsentzugs, sie beginnen am Tag der Verhaftung, aus dem Leben gerissen, weg von Familie, Arbeit, Freunde und Bekannte, Hobbies...alles ist weg...Einzelzellen gerade mal 7,5 qm, auch DIXI-WOHNKLO genannt...Denn wer glaubt, so man  BILD glauben soll, leben ja die Menschen hinter Gittern in Hotelsuiten! Der Journalist soll sich mal ne Nacht ins Hotel begeben... Mal sehen was er dann berichtet..... Fakt ist und die Justiz gibt es selbst zu, dass Haft krank macht!
Nehmen wir doch die Menschen, die auch behandelt werden wollen, so wie die Menschen in Freihei, modernste Medizin gibt es z.B für die Opiatabhängigen, doch kein Zugang zu BUPRENORPHIN ,HEROIN ist gar nicht möglich; im Gegenteil die Gefangenen/Patienten werden genötigt(?), so in der JVA Wuppertal vom Anstaltsarzt, das Medikament Methadon zu nehmen, obwohl man draußen Subutex, Polamedon bekommen hat; auch Untersuchungsgefangene, die in Haft gekommen sind wegen einer Straftat und mit Sicherheit auch Beikonsum hatten, werden gnadenlos abdosiert! Das WIDERSPRICHT den Richtlinien der Bundes Ärzte Kammer!
Diese treiben weiterhin ihr Unwesen hinter Gittern.


Daher möchten wir auch 2016 zum Protest aufrufen mit einer Demonstration in Wuppertal am 9.Juli,  wo „Mauern überwinden“ sein Projekt vorstellt, ein „begehbaren Raum entstehen lassen"...Das Gefühl der Isohaft soll dem Einzelnen in einen Raum von 1 x 2 Meter und in der Höhe von 1,90.. Dort kann man auf einer Pritsche sitzen können, der Raum ist komplett dunkel und wird mit Tönen unterstellt, dabei werden auch Texte von Gefangenen vorgetragen... Es soll das Gefühl der Enge, Beklemmung, Einsamkeit und Verzweiflung von Gefangenen erzeugt und glaubhaft herüber kommen...

http://www.xn--mauernberwinden-4vb.de/






Menschen, die in der SV 20,30 Jahre einsitzen, was fühlen sie, mit dem Ziel keine Entlassung vor sich zu haben.... Was auch zu unseren Thema passt ,den die Isohaft, die weiße Folter die nicht nur zu Zeiten der RAF in den 70ern vollzogen wurde, nein auch heute wird sie noch vollzogen...§ 129,129a StGB ist der beste Beweis...
Aber die Haft, die heute in der BRD vollzogen wird, auch BEHANDLUNGS-VOLLZUG genannt, ist eine reine Täuschung der Öffentlichkeit!

 Die medizinische Versorgung und gesundheitliche Problematik von Gefangenen in den europäischen Gefängnissen sind die vier Hauptprobleme: Drogengebrauch Infektionskrankheiten ,psychische Erkrankungen und Suizide die zentralen Probleme der Anstaltsmedizin bilden!!
Vor allem unser Problem, was wir seit Jahren mit allen Mitteln bekämpfen...denn die Folgen sind eben der Drehtürvollzug! Vor allem die Politik mit unqualifizierten Fachkräften denken auch noch heute, das man mit Zwang die Menschen von ihren Süchten heilen kann, dabei sind die Süchte heute weitaus mehr als Substanzen, es gibt das Handy, Internet....was macht man da...weiterhin kein Zugang zu modernen Techniken! Also werden besonders junge Menschen mit Depressionen zu kämpfen haben! Vergessen sind auch die, die seit Mollath weiterhin noch mit Zwangsgutachten in den Forensikknast kommen, wo sie über Jahre einsitzen....




und dort werden sie nicht nur krank gemacht...Nein dort werden sie ausgebeutet mit Arbeiten von Privat-Betrieben von der Lebensmittelindustrie bis zu Ein Euro Ladenketten...Für ein Taschengeld von 40.- EUR im Monat müßen sie Pensumarbeiten verrichten und wer nicht gut mitarbeitet der muß gehen...Buchbindereien, Elektrowerkstätten,  Gärtnereien ,da viele Kliniken ja von Grün umgeben sind, werden die Gefangenen/Patienten für den Garten und Landschaftsbau eingesetzt.

SOLIDARITÄT IST UNSERE WAFFE/SETZEN WIR SIE EIN!

Rasmane Koala, Willie, Stefan, Uwe, Torsten, Monika, Ulrike, Andreas, Harry, Thorsten„ Peter,Wolfgang und viele..viele andere Opfer haben ihr Leben hinter Gittern lassen müssen und gerade erst gab es ein Opfer der Gewalt in der Jugendhaftanstalt Wuppertal-Ronsdorf,die Anzahl der Todesopfer ist damit in dieser JVA weiter angestiegen...Genaue Zahlen über Opfer in der BRD,NRW folgen noch....




Kommt zum Aktionstag am 9.Juli nach Wuppertal. Alles Weitere in Kürze hier: 



(Andre Moussa, z.Zt. JVA Wuppertal Simonshöfchen 26  42327 Wuppertal)