"Der entscheidende Anstoß, Kriminologie oder Verbrechen und Strafen
in einer anderen Weise zu sehen, kam eigentlich aus den USA. Und zwar
während man sozusagen in Europa und auch in Deutschland annahm, dass es
ganz bestimmte Merkmale des Verbrechers geben könnte, sagten die
Amerikaner oder eine Richtung in der amerikanischen Soziologie, das sind
eigentlich Definitionen, das sind eigentlich Konstruktionen. Dass
eigentlich Kriminalität nicht ein Merkmal der Handlung selbst ist,
sondern auf den Definitionen durch das Recht und die Gesellschaft
beruht. Dass sozusagen die Herrschenden bestimmen, was kriminell ist und
wer kriminell ist."
http://www.deutschlandfunkkultur.de/auffallend-unauffaellig-warum-frauen-weniger-kriminell.976.de.html?dram:article_id=398928
Hier der Link zur Audiodatei: http://podcast-mp3.dradio.de/podcast/2017/10/23/auffallend_unauffaellig_frauen_im_reich_des_verbrechens_dlf_k_20171023_1930_0cd85bed.mp3
siehe auch hier: Die Entstehung der Frauenknäste: http://digitalresist.blogspot.nl/2015/04/wenn-eine-wutend-wird-legt-sie-in.html
Mittwoch, 25. Oktober 2017
Montag, 9. Oktober 2017
(Transformative Gerechtigkeit/Community accountability)...Gerechtigkeit? welche Gerechtigkeit? --- Vortrag bei den "Anti-Knasttagen" Oktober 2017 in Berlin
Zuerst
etwas zu mir: Als
„Ex-Gefangener" und Überlebender habe ich lange Zeit in
verschiedenen Antiknastgruppen mitgearbeitet, zuletzt im Autonomen
Knastprojekt Köln. Eine der zentralen Aufgaben und Handlungen war es
u.a. Alternativen zum vorherrschenden Knast-und Strafsystem zu
diskutieren und weiterzugeben.... Das Konzept "Transformative
Gerechtigkeit" bietet die Möglichkeit, dies in einen grösseren
Rahmen zu stellen….
Gerechtigkeit:
Gerechtigkeit bedeutet vieles, für mich heisst das so was wie fair
zu sein und gleichgestellt... in der momentanen Gesellschaftsordnung,
in der wir uns mehr oder weniger bewegen, ist die „gerechte,
verdiente Strafe" das Credo, die vertikale Gerechtigkeit,
die auf Justiz und Strafe aufgebaut ist, und sich durch das Straf-und
Gewaltmonopol des Staates legitimiert...es gibt nicht wenig Leute,
die darin historisch einen Fortschritt sehen (Stichwort: der Mensch
ist des Menschen Wolf)
Staatliche
Institutionen sind daher die einzigen denen es die Gesellschaft
erlaubt unmittelbaren Zwang gegen andere anzuwenden, die Legitimität
des Staates als Ordnung aufrecht erhält und sie als alternativlos
darstellt; und so begreifen die staatlichen Organe alle Taten gegen
sich und nehmen dadurch dem jeweils Betroffenen den Konflikt
weg... das gegenwärtige Strafsystem übernimmt die Kontrolle und
belässt die eigentlich Betroffenen in eine machtlose Opferrolle..
ohne direkten Einfluss auf das Geschehen
Die
transformative oder umgestaltende Gerechtigkeit bringt die
ursprünglichen Konfliktparteien dagegen wieder in den Mittelpunkt
des Geschehens, weg vom Staat wird die Tat also nicht über das
jeweilige Strafgesetz definiert, sondern als Konflikt persönlicher
und sozialer Beziehungen.. und gibt den so genannten Opfern so was
wie die Würde durch Selbstbestimmung zurück, eine Selbstbestimmung,
die so eine wirkliche und nachhaltig Verarbeitung des Geschehens
möglich macht, unterstützt werden sie dabei durch eine Gemeinschaft
,nämlich derjenigen, wo der Konflikt entstanden ist...
Wir sind alle
Produkte einer unterdrückenden Gesellschaft, leben in komplexen
wechselseitigen Beziehungen von Unterdrückern und Unterdrückten
(Stichwort: Intersektionalität).... denn unser ganzes Leben
lang werden wir mit Gesetzen, Normen, Unterdrückungsverhältnissen
konfrontiert, gehindert und übernehmen sie, üben in gewissen
Zusammenhängen selbst diese Unterdrückung aus...und um dies
aufrecht zu erhalten dient die Strafe als Klammer, als
Stärkung in den jeweiligen auch oft Basisgruppen bis hinein in linke
Kreise und Kollektive... Abweichungen und Verstösse gegen die
jeweilige Ordnung müssen mindestens mit Ausgrenzung rechnen ...
Gewalt existiert so auf vielfältige Weise: körperliche, psychische,
verbale und sexualisierte Gewalt, Diskriminierug, Abwertung,
Anfeindungen aufgrund von Herkunft, Alter usw. durch Einzelpersonen
wie auch auf struktureller Ebene...
Bei der
umgestaltenden Gerechtigkeit dagegen geht es nicht um eine neue
Unterdrückung, sondern um die Möglichkeit, das jede/r und alles
sich ändern kann, ob in den Beziehungen und/oder den jeweiligen
Strukturen... d.h die transformative Gerechtigkeit unterstützt die
Betroffenen durch die jeweilige Gemeinschaft durch entsprechende
Sicherheit , aber appelliert auch an die Verantwortung und
Verhaltensänderung bei den „Tätern" und „Täterinnen"
als Mitbetroffene, soweit sie dazu bereit ..er oder sie als
Mitdenkende, Mitentscheidene einbezogen werden...ohne strafende
Reaktionen..
Beispiel: eine
Gewalttat. Keiner nützt es nachhaltig, die gewaltausübende Person
der Justiz und dem Gefängnis auszuliefern, eine Person, die Gewalt
als sozial erlernte erfolgreiche Verhaltensweise durch entsprechende
Umgebungen usw. eingesetzt hat und die dann in einen weiteren Strudel
der Gewalt gerät....dessen Auslieferung oder Ausschluss ändert
nichts an den Wurzeln und der Fortführung der Gewalt. Das
Wiederherstellen oder Neuaufstellen der sozialen Beziehungen
erscheint nachhaltiger. Beiziehungen, die von der entsprechenden
Gemeinschaft unterstützt wird..
Was ist mit der
Gemeinschaft gemeint? Das kann der Freundeskreis sein, das Autonome
Zentrum wie auch der Arbeitsplatz, die Schule, die Nachbarschaft, da
wo, wie gesagt, der Konflikt passiert ist. Dazu gibt es einen
weiteren Oberbegriff der übersetzt sowas wie „gemeinsame
Verantwortungsübernahme" community accountability
heisst'. ...gemeinsame Verantwortung heisst, die klassischen
Aufteilungen wie „Opfer" und „Täter" und wir die Guten
und sie oder er das Böse, abzulehnen, weil es herauszufinden gilt,
in welchem Zusammenhang welchen Hintergründen die Tat geschehen ist,
die Ursachen zu erkennen ( Stichwort: intersektionales System)
und daraus neue Handlungen entwickeln zu können,
Der Gemeinschaft
kommt dadurch eine vielleicht anfangs nicht zu bewältigende Rolle
zu,wird sie doch selbst gefordert, ihrerseits anzuerkennen, das wir
alle Möglichkeiten und Fähigkeiten haben, Gewalt in verschiedenen
Situationen auszuüben, und sei es auch nur bei dem Moment, wo wir
andere stigmatisieren, ausgrenzen, Gewaltverhältnisse durch
individuelle Übertragung negieren... und deshalb als Ziel auch eine
Transformation des gesamten Umfelds erreichen müssen..
Beispiel: Wenn ein
Armer eine andere Arme beklaut, so helfen weder Knast noch
Wiedergutmachung, sondern nur der gemeinsame Kampf gegen die Armut
(und deren Ursachen)
Soweit zur
Theorie: In der Realität sind diese Gemeinschaften kaum oder nur
ansatzweise vorhanden.. das Erarbeiten solcher Gemeinschaften sollte
schon eine der Voraussetzungen für eine wirkliche Breite der
umgestaltenden Gerechtigkeit sein..für eine grundlegende Änderung
zu einer straf-und repressionsfreien Gesellschaft müssten die Inseln
der Autonomen Zentren und sogenannten Affinitätsgruppen verlassen
und mehr den Schwerpunkt in die alltäglichen Kämpfe verlagert
werden, in die Stadtteile, die Fabriken, die Nachbarschaft usw,
bleiben sie in ihren "geschützten Räumen"
(Stichwort: Safety Spaces), erinnert mich das eher an eine
Erzählung von Edgar Allan Poe „Die Maske des roten Todes"...
die transformative
Gerechtigkeit erscheint momentan zwar nur im lokalen Rahmen
umsetzbar... aber da es nur in der jeweiligen Gemeinschaft Sinn
macht, kann es auch nicht als allgemeines Dogma übertragen werden,
was den anderen jeweiligen Gemeinschaften aber Raum und Möglichkeit
lässt, ihre eigenen Prozesse in Gang zu setzen …
Vielen Dank für die
Aufmerksamkeit !
W.H. (aboli@riseup.net)
W.H. (aboli@riseup.net)
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