Montag, 7. August 2017

Politische versus anarchistische Gefangene ? Notwendigkeit oder wiederkehrende Inszenierung?

Regelmässig zum 18.Oktober findet der "Tag des politischen Gefangenen" statt(veranstaltet von der "Roten Hilfe" und anti-imperialistischen Gruppen).
Dem entgegen wird seit einigen Jahren die "Woche der anarchistischen Gefangenen" von so genannten ABC(Anarchist Black Cross ) Gruppen ausgerufen.




Was es in der Vergangenheit mit dieser Unterscheidung auf sich hat, versucht folgender Beitrag über die Geschichte des Anarchist Black Cross zu erklären... heute beziehen sich  viele ABCGruppen auf die Gefangenen aus dem  sogenannten "Insurrektionalismus", eine nihilistische Strömung eher der Autonomen, die sich selber als die "wahren Anarchisten" sehen....

http://radiochiflado.blogsport.de/2010/03/27/der-aufstaendische-anarchismus/







"Wir glauben, das Gefängnisse keine anderen Funktionen haben, als der Erhalt der herrschenden Klasse.Wir glauben auch, dass eine freie Gesellschaft alternative und effektive Wege finden kann, um mit "anti-sozialem Verhalten" umzugehen. 
Aber das kann nur geschehen durch eine drastische Veränderung der ökonomischen, sozialen und politischen Systeme.
Unser primäres Ziel ist es, diese fundamentalen Änderungen umzusetzen,, aber das bedarf nicht nur des Aufbaus sondern auch der Verteidigung.
Wir verteidigen all jene, die in diesem Kampf gefangengehalten und verfolgt werden " (Anarchist Black Cross Federation)



Die Gründung des „Anarchistischen Roten Kreuzes“ wird von Rudolf Rocker, dem „Schatzmeister“ des „ABC“ in London, zwischen 1900- 1905 angegeben. Genauer sind die Angaben von Harry Weinstein, einem der beiden Männer, die 1906 die Gruppe in Russland organisierten.

Andere sprechen von 1907. Zu diesem Jahr fanden zwei Konferenzen in London statt, an der 
Vera Figner sich mit Anarchist*innen traf, um die Notlage der Gefangenen in Russland zu besprechen.




Heute können wir wohl den Ursprung des „Anarchistischen Roten Kreuzes“ zwischen 1906 und 1907 in Russland sehen. Der Juni 1907 gilt für die Entwicklung der inter-nationalen Gruppen.

Der Grund bleibt unstrittig: Das „
Politische Rote Kreuz“ wurde in der Zarenzeit von Sozialdemokraten kontrolliert, die sich in der Regel weigerten, trotz fortlaufender Spenden, revolutionäre und anarchistische Gefangene zu versorgen.


Die Mitarbeiter*innen des „Anarchistischen Roten Kreuzes“ wurden vom zaristischen Regime verhaftet und gefoltert, einige auch ermordet. Die Organisation wurde verboten, eine reine Mitgliedschaft reichte, um in die Arbeitslager nach Sibirien zu kommen.
Nur wenige überlebten dort. Die, die entkamen, gründeten Gruppen in London, New York, Chicago und anderen Städten.

Zwischen 1918 – 1920 änderte die Organisation in der Ukraine ihren Namen in „Anarchistisches Schwarzes Kreuz“ um, um Verwechselungen mit dem „Internationalen Roten Kreuz“ zu vermeiden, geriet dann aber unter dem bolschewistischen Regime wieder in Not. Wieder Verbote, wieder Verhaftungen und Tod....

Bei ihnen.. Olga Taratuta.



Olga war eine der wenigen Frauen, die nicht aus adligen oder großbürgerlichen Häusern kamen und trotzdem studieren konnten. Ihr Vater hatte einen kleinen Verkaufsladen in dem ukrainischen Dorf, wo sie nach dem (kurzen) Studium als Lehrerin arbeitete. 

Sie hatte nur Unverständnis, manchmal etwas Spott für die Gebaren der anderen Studentinnen, die aus Aristokratenkreisen kamen, Dienstboten und Kinderfrauen gewohnt waren und deren vorrangiges Streben darin bestand, sich aus den vor allem sexuellen Konventionen ihrer Umgebung zu lösen und sich oft durch Scheinehen Pässe für Europa besorgen zu können zu können.

Olga erlebte die Missachtung dieser Frauen gegenüber den Arbeiterinnen, die Verelendung der Leibeignen auf den Gütern und – als Tochter jüdischer Eltern – die täglichen Pogrome vor allem auf den Dörfern hautnah mit.
 







Als Olga 1908 in Kiew mit einer kleinen Gruppe die Gefängnismauern in die Luft sprengen will,  um einige Anarchisten herauszuholen, wird auch sie verhaftet und zu 21 Jahren Kerkerhaft verurteilt.
Die Oktoberrevolution 1917 holt sie da erst einmal raus.

Olga nahm bald Kontakt zu der Machnow Bewegung auf, die ihr rd. 5 Millionen Rubel (aus Enteignungen und Diebstählen) gaben, um mit dem Geld in Charkiw (Ukraine) das "Anarchistische Schwarze Kreuz “ aufzubauen und den gefangenen Revolutionären möglichst viel Unterstützung geben zu können.


So unglaublich es auch klingen mag, und doch ist es Tatsache: Die Zuchthäuser und Gefängnisse Russlands sind heute dicht bevölkert von den besten revolutionären Elementen des Landes. Von Männern und Frauen, die Anhänger der höchsten sozialen Ideale und Ziele sind. Im ganzen weit ausgedehnten Gebiete Russlands, sowohl in Groß- Russland wie auch in Sibirien, sind die Gefängnisse des alten wie des neuen Regimes und die düsteren Verließe der Tscheka, in die keine Nachricht aus der Außenwelt dringt, überfüllt mit Revolutionären aller Parteirichtungen und Bewegungen. Da sind Maximalisten, Kommunisten, Anhänger der „Arbeiter- Opposition“, Anarchisten, Anarcho- Syndikalisten und Universalisten, Anhänger verschiedener Schulen sozialer Philosophie; aber alle sind sie wahre Revolutionäre, und die meisten waren begeisterte Teilnehmer der November- Revolution 1917.
Aus den Gefängnissen in Moskau, Petrograd, aus Orel und Wladimirk, aus den fernen Provinzen des Ostens und von Kameraden, die verbannt sind in den eisigen Norden, kommen entsetzliche Nachrichten. Der Hunger, der furchtbare Skorbut frisst an ihren Leibern. Ihre Hände und Füße schwellen an, ihre Gaumen werden lose und die Zähne fallen ihnen aus. Die Körper zerfallen lebendigen Leibes.


Kameraden! Eure Ohren müssen diesen Hilfeschrei hören! Die russischen Anarchist*innen (des Schwarzen Kreuzes) sind nicht mehr fähig, auch nur die allerelementarsten Bedürfnisse ihrer gefangenen Kameraden zu befriedigen; sie können ihr Hilfswerk nicht fortsetzen, ohne dass sie Hilfe von ihren Freunden aus anderen Ländern bekommen.“ (aus einem Brief von Alexander Berkman und Emma Goldmann)




 Das „Anarchistische Schwarze Kreuz“ organisierte auch Selbstverteidigungseinheiten und war eine Zeitlang für die „Schwarze Armee“ der Machnowbewegung so etwas wie eine Stadtmiliz, kämpfte dort gleichzeitig gegen Kosaken und "Rote Armee", ohne Uniform zwar, aber in Overalls und Armbinden leicht erkennbar.



Nach der Niederschlagung in der Ukraine reaktivierte sich die Gruppe in Berlin neu, unterstützte die Gefangenen des bolschewistischen Regimes , aber auch die anarchistischen Gefangenen des italienischen Faschismus und anderswo...
In den 40er Jahren brach die Gruppe wegen fehlender Finanzen zusammen....



                                                                   "The Angry Brigade"

Albert Meltzer und Stuart Christie (siehe Video über die "Angry Brigade"), der zuvor wegen einem misslungenen Attentat auf Franco in spanischen Gefängnissen gesessen hatte, gründeten zu Beginn der 70erJahre die "Anarchist Black Cross" erneut - wobei sie vor allem die libertären Gefangenen des Franco-regimes unterstützten und versorgten.
Schnell breitete sich die Organisation über Europa und Nordamerika aus. Dort verschmolzen 1995 verschiedene SchwarzKreuz Gruppen zu einer Föderation.






Lorenzo Komboa Erwin, ehemaliger Black Panther, Vertreter der "Anarchist of Color", entwickelte während seiner Haftzeit die Ideen für das "Anarchist Black Cross Netzwerk" , das sich 2001 gründete. 

http://www.abcf.net/support-introduction/

"Die Absicht ist es, Gefangene bei ihrem Kampf aktiv zu unterstützen, ihre Menschenrechte zu wahren und ihnen gegen das System beiseite zu stehen. Die Abschaffung von Gefängnis und Staat ist das endgültige Ziel eines jeden Anarchisten...dabei müssen wir das Gefängnissystem angreifen und wir müssen dafür kämpfen, Kriegsgefangene zu befreien."




 Was einmal als russische Organisation begonnen hatte, hat inzwischen viele Gesichter über den ganzen Erdball verteilt. Hier eine Liste mit den aktuell tätigen "Anarchist Black Cross" Gruppen 

https://solidarity.international/index.php/abc-groups-around-the-world/


















Dienstag, 1. August 2017

Transformative Gerechtigkeit..!!?der entsprechende Werkzeugsatz hier:


....." Wie können scheinbar ‚gute Ideen‘, wie das Unterstützen von betroffenen Personen von Gewalt, so falsch laufen und rassistische Überwachung und Sicherheitsregime festigen?
 Dieses Toolkit stellt das Sicherheitsversprechen des Staates im Falle sexualisierter & Partner_innen Gewalt in Frage, weil Techniken wie Polizei, Gefängnis und Grenzen mehr Gewalt (re)produzieren anstatt sie zu beenden.
Das Toolkit thematisiert die Verquickungen staatlicher Gewalt und verschiedene Formen von zwischenmenschlicher Gewalt (vor allem sexualisierter Gewalt und Partner_innengewalt) in Deutschland, um zu zeigen, dass der Staat zwischenmenschliche Gewalt ermöglicht statt sie zu verhindern und daher keine Lösung für diese Gewalt sein kann.
Wenn uns Polizei und Grenzen keine Sicherheit geben können, welche Alternativen haben wir in unseren Zusammenhängen? Wie können wir uns selbst Sicherheit schaffen? Um Analysen und Antworten zu finden, wurde ein Toolkit für Aktivist_innen zusammengestellt, mit vielen tollen Beiträgen, hauptsächlich von Berliner Organisationen und einzelnen Aktivist_innen. Das Toolkit bietet Werkzeuge für Community-basierte & intersektionale Alternativen für Sicherheit, die nicht auf staatliche Gewalt zurückgreifen müssen und die Wurzeln von Gewalt tatsächlich angreifen. Mehr Information zu den Themen des Toolkits findest du in der Einleitung auf den nächsten Seiten.


https://www.transformativejustice.eu/wp-content/uploads/2017/07/toolkit-finished-1.pdf





.."In manchen Prozessen ist die gewaltausübende Person beteiligt, weil entweder die betroffene Person dies wünscht oder weil der Täter die Bereitschaft hierzu zeigt. Dieser Aspekt von Transformative Justice ist besonders kontrovers.

Für viele ist Rache die erste, intuitive Reaktion auf ein Gewalterlebnis, und oft fehlen die Möglichkeiten, gewaltaus- übende Personen erfolgreich zur Verantwortung zu ziehen
Von welcher Verantwortung sprechen wir also, und wie kann diese erfolgreich übernommen werden? 

Die Initiative Creative Interventions definiert dies so: Gewalt beenden; Gewalt und ihre Konsequenzen ohne Wenn und Aber anerkennen; Entschädigung für die betroffene Person; das Verändern von schädigenden Einstellungen und Verhaltensweisen, so dass Gewalt nicht wiederholt wird; und auch die Entwicklung der Community

 Während die Gefängnislogik ein paar »faule Äpfel« isoliert, erkennt der transformative Ansatz Gewalt als systematisches Problem an. Gewalt wird oft von Personen verübt, die selbst Isolation, Gewalt oder persönliche Brüche erlebt haben. (Dies bietet eine Erklärung, aber keine Entschuldigung für Gewalt.) Aber der Ausschluss eines Gewalttäters ändert nichts an den systemischen Wurzeln von Gewalt. Soziale Beziehungen sind ein Teil der Lösung: Beziehungen, die eine kritische Auseinandersetzung fordern und fördern..."