„
Damals
und auch jetzt noch sagte ich, das ich, solange es eine niedere
Klasse gibt, ich zu ihr gehöre. Solange es kriminelle Elemente gibt,
bin ich ein Teil davon, und solange jemand im Gefängnis sitzt, bin
auch ich nicht frei.“
Es
gibt eine Reihe von Gründen warum ich Eugene Debs „Ich bin nicht
frei“ Zitat mag. Zum einen gehört es zum Selbstverständnis als
Linke, sich betroffen zu fühlen, solidarisch zu sein gegenüber
Unrecht und Ungerechtigkeit. Das bedeutet auch Empathie zu zeigen mit
den Verachteten, für
die Menschen einzutreten, sogar für die, die grausame Dinge gemacht
haben könnten. Das Zitat ist eine Ermahnung an das universelle
Mitgefühl
Darüber
hinaus enthält das Statement von Debs auch eine radikale ja extreme
Sichtweise auf die Gefängnisse: Solange eine einzelne Person im
Gefängnis ist, kann es keine wirkliche Freiheit geben.
--
damit wird klar, welche Welt damals schon Debs wollte: eine Welt ohne
soziale Klasse, ohne Trennung zwischen „Kriminellen“ und
„Nicht-kriminellen“, ohne Knäste. Und Debs schien damals schon
zu glauben, dass dies mehr als nur ein Traum war, weil er wollte, das
dies tatsächlich geschehen muss, weil es die Voraussetzung für
unsere eigene Freiheit ist.
Wir
sind nicht frei, es fehlen die Gefangenen -
Abolitionismus,
die
Überzeugung
dass
die Gefängnisse nicht nur reformiert ,sondern gänzlich abgeschafft
werden sollten, hat eine lange Tradition. Frühe Anarchist_innen z.B.
waren der festen Überzeugung, dass eine gerechte Gesellschaft die
Existenz von Verbrechen und damit die Notwendigkeit von Gefängnissen
beseitigen könne, weil die Ursachen der Verbrechen eben in einer
ungerechten Gesellschaft begründet sind – wie es Peter Kropotkin
mal in einer Broschüre schrieb:
„Das
Gefängnis verhindert keine antisozialen Handlungen…..Es verbessert
nicht diejenigen, die hinter seinen Mauern verschwinden. Wie es auch
immer reformiert werden mag, es bleibt eine künstliche Umgebung, wie
ein Kloster, die dem Gefangenen immer weniger fit macht für das
Leben danach in einer Gemeinschaft.Es erreicht dieses Ziel nicht.Es
degradiert die Gesellschaft . Es muss verschwinden…. Die erste
Pflicht der Revolution wird sein, Gefängnisse abzuschaffen, diese
Monumente der menschlichen Heuchelei und Feigheit“
Später
sollte es der Rechtsanwalt Clarence Darrow in einer Ansprache an
Insassen des Cook County Gefängnisses in Chicago so ausdrücken: „Es
sollte keine Gefängnisse geben. Sie erreichen nicht das, was sie
vorgeben zu tun. Wenn du sie abschaffst, gäbe es keine Kriminellen
mehr als momentan.. Gefängnisse sind ein Schandfleck für die
Zivilisation, ein Beweis für den Mangel an Nächstenliebe der
Menschen, welche
Gefängnisse herstellen und sie füllen mit den Opfern ihrer Gier...“
Die
Argumente der Abolitionist_innen sind geradeheraus: Gefängnisse
machen die Welt schlimmer als besser. Es sind unmenschliche Plätze
..
die sich nicht mit den Ursachen der Kriminalität befassen,
stattdessen zu Rückfällen ermutigen, in dem sie die Insassen weiter
verhärten… oder, wie es Emma Goldmann anschaulich ausgedrückt
hat:
„Jahr
für Jahr spucken die Tore der Gefängnishölle eine Gruppe
ausgemergelter, deformierter, willenloser Schiffbrüchiger der
Menschheit in die Welt, die das Kainsmal auf der Stirn tragen. Ihre
Hoffnungen sind zerschlagen, ihre natürlichen Neigungen wurden
vereitelt. Auf sie wartet nichts als Hunger und Unmenschlichkeit und
so sind diese Opfer gezwungen, bald wieder kriminell zu werden, da
sie sonst nicht überleben können. „
Die
Aussage der Abolitionist_innen hat rhetorische Stärke, und ich denke
auch eine gewisse Überzeugungskraft. Es ruft sowohl emotionale als
auch rationale Appelle hervor: Emotional die menschliche Liebe zur
Freiheit und den Hass auf Zwang während es rational erklärt, dass
die Kosten der Gefängnisse ihre Vorteile überwiegen.
Auch
wenn dies für die Mehrheit der Bevölkerung total verrückt klingt.
Sie erinnern sich dann an eine Person, die wirklich gefährlich und
gewalttätig war und sind froh, das diese eingesperrt ist; und dann
fallen ihnen Menschen ein, die noch gefährlicher gewalttätiger
waren und der Abstand zu den Aussagen der Abolitionist_innen wird
noch größer. Was ist denn mit den Serienvergewaltigern, den
bewaffneten Räubern ja auch von ihnen aus mit den
Hedgefondsmanagern? Die sollen freigelassen werden, wieder in die
Gesellschaft zurückkehren, wo sie ihre Bösartigkeit gegenüber
nichts ahnenden und aufrichtigen Menschen ausgelebt haben? Wie naiv
ist das denn ?
Und
wirklich, ich glaube, Abolitionist_innen waren in der Vergangenheit
wirklich naiv oder zumindest irreführend.
Als
Antwort auf die o.a Fragen wiesen sie auf die Faktoren hin, die
solche Menschen zu ihren Taten getrieben haben. Sehr wenige Menschen
im Todestrakt zum Beispiel hatten ein stabiles früheres Leben. Und
jene Taten, die nicht aus offensichtlichen sozialen Gründen
begangen wurden, wurden von ihnen als Ausdruck von
Geisteskrankheiten gesehen, die eher therapiert als eingesperrt
gehören. Auch weisen Abolistionist_innen häufig auf Ansätze der
opfer orientierten Justiz hin (restorative Justice), wo versucht
wird, Opfer und Täter zusammenzubringen, um herauszufinden, wie das
begangene Unrecht wieder möglichst vergessen gemacht werden kann
Aber
nichts davon befasst sich tatsächlich mit der tatsächlichen Frage.
All das klingt in der Theorie gut, aber es beschreibt eher eine
ideale Gesellschaft als die Gesellschaft, in der wir leben.
In der
realen Welt gibt es Menschen, die schwere Gewaltverbrechen begangen
haben. Wenn diese Leute eines Tages plötzlich freigelassen würden,
würden sie wahrscheinlich das Muster des Missbrauchs wieder
aufnehmen, weil es sehr schwer ist, eine Person über Nacht zu
verwandeln. Wenn mensch sich nicht nur mit der Ungerechtigkeit
konfrontiert sieht, die den Angeklagten durch ein brutales
Gefängnissystem zugefügt wird, sondern auch mit gewalttätigen
Aggressionen, dann bedeutet die Abschaffung des Gefängnisses, dass
man blindlings versucht, eine Ungerechtigkeit zu stoppen, während
man die möglichen Konsequenzen einer weiteren Ungerechtigkeit
ignoriert.
Das ist, was mit Naivität gemeint ist: Anstatt die Frage
zu stellen: "In welchen Fällen können alternative
Gerechtigkeitsansätze funktionieren, und gibt es andere, in denen
sie nicht funktionieren?" nehmen die Abolitionist_innen eine
extreme Position und sagen: „eine strafende Gerechtigkeit ist
falsch und die restorative Gerechtigkeit ist richtig, deshalb müssen
wir die strafende beenden."
Abolitionist_innen
befürworten durchaus alle Arten von sinnvollen Maßnahmen, wie die
Entkriminalisierung von Marihuana und Sexarbeit, die Verbesserung der
sozialen Dienste, die den Menschen helfen,nach dem Gefängnis einen
Arbeitsplatz zu finden, die Einwirkung auf die Justiz auf
Täter_innen/Opferausgleich und Gemeinschaftsdienste statt Gefängnis.
Das bringt uns aber immer noch keine klare Antwort auf die Frage:
Wann ist Gefängnis gerechtfertigt und akzeptabel? Wenn
Abolitionist_innen das Gefängnis wirklich als Sklaverei betrachten,
ist diese Frage absurd: Es ist, als würde mensch fragen, wann Sklaverei
gerechtfertigt ist. Die Abschaffung der Todesstrafe müsste daher
bedeuten, dass Mörder freigelassen werden, ungeachtet der möglichen
Konsequenzen. Wir können diese Problematik in den mitreißenden
Reden und Artikeln von Menschen wie Emma Goldman, u.a. sehen: alle
sagten, Gefängnisse seien an und für sich ein Verbrechen, aber
keine/r von ihnen war bereit, sich den Problemen zu stellen, die sich
aus einer solchen Sichtweise ergeben.
Da
die Abschaffung der Gefängnisse im Realen eine unhaltbare Position
zu sein scheint, sind viele Aktivist_innen stattdessen für eine
„Reform“ des Gefängnisses: Sie stehen für eine Position wie Entkriminalisierung bestimmter Straftaten, Betonung der
Rehabilitation, Verbesserung der Haftbedingungen (u.a in der
medizinischen Versorgung, im Arbeitszwang usw.). Sie glauben, dass es
zwar immer ein gewisses Bedürfnis nach Strafe geben wird, aber das
Ziel sollte sein, Gefängnissysteme den skandinavischen Ländern
ähnlicher zu machen: human und reformorientiert und mit dem Ziel,
die Täter_innen davon abzuhalten, die Gesellschaft zu schädigen,
indem sich nicht an ihnen gerächt wird.
Manche Kreisen dieser
reformorientierten Linken sprechen davon, das das Ziel sein sollte,
dass alle Gefangenen Bedingungen haben, wie sie der norwegische
Massenmörder Anders Breivik hatte. Sie zeigen ein Foto seiner Zelle,
um zu demonstrieren, dass wenn alle Gefängnisse so aussehen würde,
es schwer zu glauben wäre, dass es danach wirklich ernsthafte
Rückfälle geben würden
.
Ich
glaube, einige Menschen wären durchaus bereit, das zu glauben.
Anders
Breivik ermordete Dutzende von Jugendlichen. Er hat dies mit Bedacht
und Planung gemacht und bedauert es nicht. Ihm Haftbedingungen zu
geben, die sich im wesentlichen nicht von einem durchschnittlichen
Student_innenwohnheim unterscheiden, erscheint für viele völlig
unbedenklich, in seiner Person möglicherweise etwas zu nachsichtig .
Norwegische
Gefängnisse unterscheiden generell ganz bewusst nicht vom
Außenleben. Sie folgen dem so genannten „Normalitätsprinzip“,
was bedeutet, dass das tägliche Gefängnisleben nicht anders sein
sollte als das gewöhnliche Leben, soweit dies möglich ist.“
Nehmen
wir ein Beispiel: Häftlinge auf der Gefängnisinsel Bastoey südlich
von Oslo können sich in einem dorfähnlichen Rahmen frei bewegen,
sich auf einem Bauernhof um Tiere kümmern. Sie fahren Ski, kochen,
spielen Tennis.. sie haben ihren eigenen Strand mit einer Fähre, die
die Leute von und zur Insel bringen kann. Ab dem Nachmittag, wenn die
meisten Gefängniswärter nach Hause gehen, bleiben eine Handvoll von
ihnen, um sich um 115 Gefangene zu kümmern
.
Wenn
so die Gefängisse überall wären, dann wäre doch auch für viele
ein akzeptabler Rahmen geschaffen !?
Und
doch: Ich bin weiterhin der Meinung, das das Prinzip der
Abolitionist_innen das einzig Richtige ist. Wenn ich mir das Foto von
Breiviks Zelle ansehe, denke ich zuerst: „Nun, das ist nichts
Falsch dran.Sicher so was wie ein Ideal“
Aber
dann wird mir klar, dass das Wort „Ideal“ bei diesem Hintergrund
pervers wirkt. Das Foto wurde gemacht, weil 77 Menschen tot sind. Ich
schaue nicht nur in ein Zimmer, ich schaue auf den Ort, in dem ein
rassistischer Massenmörder festgehalten wird und frage mich, ob es
wirklich ein vernünftiger und gerechter Ort für solche Menschen
ist? Dies fordert uns die Gefängnisreform zur Diskussion: Was ist
der humane Weg, eine Person zu behandeln, die solche Taten begangen
hat. Die Antwort der engagierten Reformer scheint dieses Foto zu
sein.
Als
Abolitionistin aber habe ich andere Prämissen. Wenn wir annehmen,
dass Menschen wie Anders Breivik in unserer idealen Gesellschaft IKEA
Möbel und Tischtennisplatten bekommt,setzen wir weiterhin die
Existenz bzw. die Taten von Anders Breivik voraus.
Aber
die Gesellschaft, die die Abolitionist_innen anstreben, sollte nicht
diejenige sein, in der „Kriminelle gut behandelt werden.“ Es
sollte eine Gesellschaft sein, in der wir keine weißen Rassisten
haben, die Dutzende von Kindern ermorden.
Was
ich damit sagen will: Es ist gut, die Haftbedingungen zu bessern,
aber diese Bedingungen sind nicht das eigentliche Problem, so als ob
wir hauptsächlich die Bedingungen für „Kriegsgefangene“
verbessern, statt Kriege zu beenden usw.
Es
ist wertvoll, sich für die Verbesserungen in Justiz und Gefängnis
einzusetzen und muss auch getan werden, aber die Abolitionist_innen
sagen auch, dass es ebenso wichtig ist, zu verstehen, warum
Kriminalität überhaupt stattfindet.
Wenden
wir uns nochmal kurz der Rede des Rechtsanwalts Clarence Darrow im
Gefängnis von Chicago zu:
„Der
einzige Weg auf der Welt, Verbrechen und Verbrecher abzuschaffen, ist
die Abschaffung von „Oben“ und „unten“. Faire
Lebensbedingungen für alle. Abschaffung des Privateigentums,
Abschaffung des Monopols. ...Der einzige Weg ist die Gleichheit.“
Kriminalität
entsteht erst einmal durch die Gesetzgebung, ist also
gesellschaftlich , sozial konstruiert , je nachdem welchen
Stellenwert z.b. dem Privateigentum eingeräumt wird z.b. in einer
Gesellschaft, die Reichtum, Leistung und entsprechendem Erfolg hoch
anstellt, der aber in der Regel auf der anderen Seite viele Menschen
deklassiert, ausgrenzt oder ausbeutet. Hier wird der Schutz des
dadurch aneigneten Privateigentums zu einer Art Grundgesetz und der
Versuch einer Wiederaneignung durch z.B. die entrechteten
Arbeiter_innen, Erwerbslose usw. zum „Verbrechen“ erklärt. Das
Gefängnis dient dann entsprechenden Funktionen wie Säuberung (von
unproduktiven),Abschreckung auch als Funktion der Verschleierung
(Ablenkung von der so genannten „White-Collar-Crime“..)
Die
Abschaffung des Gefängnisses und die Reform des Strafvollzugs können
relativ einfach miteinander in Einklang gebracht werden. Das
ultimative Ziel ist die Abschaffung des Gefängnisses bzw. dessen
Funktion, denn in einer Welt der sozialen und wirtschaftlicher
Gemeinschaft, ohne Hass und Gewalt würde es keine Gefängnisse mehr
geben, und das Ziel ist eine Welt ohne Hass und Gewalt. In der
Zwischenzeit müssen Gefängnisse besser und humaner gemacht werden.
Es
ist nicht so, dass du in der Welt, in der wir jetzt leben, die
Gefängnistore öffnen und Mördern Bewährung geben sollst. Du
solltest immer daran denken, dass, selbst wenn du meinst, dass
Gefängnis ein notwendiges Übel ist, es immer noch grausamer macht,
und grausamer Dinge sollten letztendlich beseitigt werden, unabhängig
von ihrer kurzfristigen Notwendigkeit.
Sie können gleichzeitig
pragmatisch und utopisch sein. Mensch sollte immer die "utopische"
Position einnehmen, weil es hilft zu bestätigen, was unser Ideal ist
und als Leitstern dient. Aber Sie können gleichzeitig mit den realen
politischen Zwängen arbeiten, die Sie haben. Wie Angela Davis sagt:
"Die Forderung nach Abschaffung des Gefängnisses drängt uns
dazu, uns eine ganz andere soziale Landschaft vorzustellen und danach
zu streben."
Es ist nützlich, weil es uns über große Fragen
nachdenkt, wie sehr verschiedene Welten aussehen könnten und dann
anfangen zu planen , wie wir von hier aus dahin kommen.
Für
mich ist Oscar Wildes "Ballad of Reading Gaol" eines der
bewegendsten Stücke über das Gefängnis. Ich finde es eine viel
überzeugendere Anklage gegen das Konzept des Gefängnisses als jede
Äußerung von Abolitionist_innen oder politischen Papieren über
restorative Justiz. Wilde, von einem ungerechten und bigotten
viktorianischen Strafgerichtssystem zerstört, schrieb, dass, egal
wie wir uns über die Gerechtigkeit bestimmter Gesetze fühlten, die
Existenz von Gefängnissen ein Makel auf die Menschheit war:
„Ich
weiß nicht. Sind Gesetze gut oder sind Gesetze arg?
Wir
Zuchthäusler wissen eines nur: Gefängnismauern sind stark.
Und
ein einziger Tag gleicht dort einem Jahr – einem Jahr, das die
Ewigkeit barg
Und
sicher weiß ich , das jedes Gesetz
das
der Mensch für den Menschen ersann
seit
das Böse in dieser bedrückenden Welt
durch
Brudermorde damals begann
dem
Sieb gleich, mit dem man statt wertvollem Korn
nutzlose
Spreu nur gewann.
Und
das weiß ich auch – und es wäre gut -
wüßt
es die ganze Welt
dass
Zuchthausmauern,von Menschen gebaut
nur
die Schande zusammenhält
Und
Gitter verhindern, dass Christus es sieht
wie
der mensch seinen Bruder dort quält.
++++
nach einem Text von Nathan Robinson : Can Prison abolition ever be pragmatic?
übersetzt und bearbeitet von W. (für Abolisha)