Montag, 30. April 2018

An einen Gefangenen


Weil Du die Hoffnung nicht aufgibst
für die Welt, für ein Land
für die Menschlichkeit,
schicken sie Dich an den Galgen
oder werfen Dich ins Gefängnis
für zehn Jahre, für fünfzehn Jahre
oder, wer weiß, auch für länger.

Sage niemals
ich wollte. Ich hing endlich an
einem Strick
wie eine Fahne …

Vielleicht ist das Leben kein Spaß mehr
aber es ist Deine Pflicht
den Feind zum Trotz und zum Ärger
weiterzuleben. Jeder Tag ist wichtig.


Vielleicht ist ein Teil von Dir
So allein in der Zelle
wie ein Stein auf dem Grund des Wassers.
Doch der andere Teil Deines Ich
Ist so mit der Fülle der Welt
Verwoben,
dass Du mit jedem raschelnden Blatt
vierzig Tage entfernt von Dir
in Deinem Gefängnis zitterst.
Es ist süß, aber gefährlich,
auf Briefe zu warten,
schwermütige Lieder zu singen,
bis zum Morgen zu wachen
und an die Decke zu starren.

Betrachte Dein Gesicht
Vergiss Dein Alter,
nimm Dich in Acht vor den Läusen
und den Frühlingsabenden –
Und dann solltest Du niemals vergessen
Dein Brot bis zum letzten Krumen zu essen,
und von Herzen zu lachen.

Wer weiß,
vielleicht mag Dich Deine Liebste
nicht mehr
(Sage nicht, dass ist Nebensache
für eine(n) Gefangene(n);
es ist wie ein junger Zweig
den eine(r) vom Baume brach)

Schlecht ist es,
von den Rosen und Gärten zu träumen,
und gut,
an Gebirge und Meer zu denken.




Ich würde Dir raten:
Lies und schreibe soviel
wie möglich,
fang zu weben an
und gib nichts auf den Spiegel

Aus diese Art zu leben ist es
nicht unmöglich
dass eine(r) zehn oder fünfzehn Jahre
oder sogar noch mehr in
einer Zelle verbringt.

Du kannst es schaffen,
wenn Du in Deiner linken Brust
Dein Herz, diesen kostbaren
Edelstein,
strahlend erhältst und rein.




(Nazim Hikmet)