Freitag, 15. Dezember 2017

Ex-Gefangene dringend gesucht ! Gegen "linke"Antiknasttage??

  





 
Die Situation, die in dem Gespräch angesprochen wird, ist nicht neu. Spätestens seit dem die RAF ihre ersten Gefangenen hatte, ergab sich aufgrund der von ihr forcierten Trennung in Kriegsgefangene und gewöhnliche Gefangene eine Richtung, die nicht mehr das Gefängnis generell in Frage stellte; es wären halt nur teilweise die Falschen drin – damit entwickelte sich ein Bewusstseinswandel, dessen Ergebnis ( „politische Gefangene versus kriminielle“) eigentlich bis heute andauert.



Wenn im Gespräch über „die Linke“ geredet wird, ist dies sehr allgemein, meint aber in Bezug der Knastarbeit bzw. Antiknastarbeit, eine in sozialer und kultureller Hinsicht privilegierten Gruppe und Individuen, die sich dadurch von den anderen Gefangenen und Aktivistis abgrenzen und die Themen bestimmen …. auch wenn es in Teilen von ihnen Absichtserklärungen geben mag („eigentlich sind wir alle politische Gefangene“) verschärft sich die Kluft immer mehr:

das praktische Wissen, dass sich viele der nicht-Akademisierten durch ihre alltäglichen Erfahrungen in Stadtteil, Fabrik und hier im Knast angeeignet hatten, ist nix wert bei den vielen so genannten „Experten und Expertinnen“ die weiterhin und verstärkt die noch verbliebenen Räume besetzen mit dem Ausweis des „Besserwissens“.. 

geadelt durch die Lektüre und dem Verstehen entsprechender Literatur und dem Orden des politischen Aktivisten – konkret: die selben Handlungen wie bei einem „normalen Gefangenen“ sind halt nicht dieselben bei den Aktivistis, dienen diese doch bei letzteren einem „höheren Ziel“ egal wie hoch und konkret das jeweils auch sein mag und dient damit vor allem als Rechtfertigung gegenüber der (Straf-) Gesellschaft und  zur Abgrenzung gegenüber den anderen Gefangenen…

 und die in letzter Zeit getroffene Formulierung die „normalen Gefangenen“ als „Gefangene des Kapitalismus“ zu sehen, wirft eher neue Fragen auf, statt verbindende Antworten geben zu können … gegen was kämpfen hierzulande eigentlich die „Politischen“? Sind sie nicht auch „Gefangene des Kapitalismus“?








Was bleibt? Die vorhandene Alternative der Selbstorganisation von Gefangenen bzw. Ex-gefangenen ist keine wirkliche. Die „Gefangenengewerkschaft“, deren Aussenvertreter sich mit autoritären knastbejahenden Gruppierungen und Parteien treffen, die wiederum mit Justizminister*innen „Kaffee trinken,“orientiert sich an der herrschenden Arbeitsideologie und beklagt allenfalls „schlechte Arbeitsbedingungen“ in den Knästen, deren Vorhandensein sie in der politischen Wirklichkeit als grundlegende Säule einer kapitalistischen herrschaftlichen repressiven Gesellschaft akzeptiert.



Was ist möglich? Es wird weiter unten von einer „Organisierung von den Ex-Gefangenen bzw. den Angehörigen der Gefangenen gesprochen. Es gab Mitte und Ende der 70er so was wie „Häftlingskollektive“ (eine Gruppe von Gefangenen und Ex-gefangenen gleichzeitig), es gab den „Gefangenerat“ --- bis halt, siehe oben im ersten Abschnitt..



Vielleicht gelingt dieses oder ähnliches in einzelnen Städten, hin und wieder in den Knästen, ohne von den auf „sozialen Frieden“ Bedachten eingenommen oder von der durch Anspruch auf Führerschaft eigentlich sie verachtenden „politischen“ auseinandergenommen oder benutzt zu werden…. um damit auch zu einem neuen Selbstbewusstsein zu kommen, einem Selbstbewusstsein, das künftige Antiknasttage nicht ablehnt oder vermeidet, sondern wirklich nachhaltige Ideen dort hineinbringen kann..denn von aussen wer auch immer ist nichts zu erwarten ....


W. aboli@riseup.net


Zu der angesprochenen Situation in den USA siehe hier:

https://radiochiflada.blogspot.de/2016/07/wir-brauchen-eine-knastkritische.html




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 Studiogespräch zweier AntiKnastaktiven 


 


A: Die Antiknasttage gibt es seit hierzulande seit einigen Jahren? Was ist eigentlich der Anlass?

Z: Es gibt in unterschiedlichen Städten knastkritische Gruppen und Individuen, die sich aber meistens nur per Internet kennen , per Emails und die Idee der Knasttage ist es, wenigstens einmal im Jahr einen persönlichen Austausch zwischen den Gruppen und Einzelleuten zu ermöglichen. Dabei ist immer die Hoffnung dabei, das in den Städten, in denen diese Tage stattfinden, Leute dazukommen, die vielleicht noch nicht so engagiert sind im Kampf gegen die Knäste, sich informieren wollen, zuhören, aber auch mit diskutieren und sich einbringen..!


A: Welche Hoffnung und Erwartungen hast du mit den Antiknasttagen?

Z: Ich habe eigentlich die Erwartung, dass die Leute, die teilnehmen, unsere Positionen näher bringen können, denn das muss ich auch sagen, die Antiknasttage sind ja ne Mischung, also die Leute sind nicht einheitlich drauf. Was uns alle eint, ist die Losung: Knast ist keine Lösung! So als Forderung und fernes, noch abstraktes Ziel wollen wir alle eine Gesellschaft ohne Knäste. 

Wie wir dahin kommen, ob wir uns dabei auf Teilschritte einlassen, welchen Weg wir dahin gehen, das ist durchaus unterschiedlich unter den Beteiligten.







A: Nun waren wir beide dieses Jahr in Berlin. Wie ist dein Resümee, dein Empfinden nach diesem Wochenende…?


Z: Erst einmal war ich mal wieder überrascht. In Berlin waren zeitweise 150 Leute da, die Hütte ( Räume de SFE- Schule für Erwachsenenbildung, der Sätzer) war proper voll… so viele Interessierte bei so einem schwierigen ja unpopulären Thema hat mich überrascht...Andererseits war es ein ziemlich eng gedrängtes Programm, jede Stunde war ein anderer Workshop, ein anderes Thema angesetzt, was schon fast zu viel war. Ich persönlich war überfordert, um an allen Workshops wirklich teilnehmen zu können, andererseits, dieses Bündnis dieses Jahr sind Leute, die weitgehend zur „linken Szene“ gehören. Es sind ganz wenige Ex-Gefangene da gewesen, Angehörige, glaube ich, nur zwei, was m.E. auch ein Manko dieser Antiknasttage ist. Ich habe mit einer Aktivistin geredet, in den USA sieht es ganz anders aus. Bei solchen Treffen sind jede Menge Ex-Gefangene und Angehörige da sind und die ganz andere Schwerpunkte setzen. 







A: Mein Eindruck war ähnlich. Ich habe die Ex-Gefangenen vermisst.

 Ich glaube, erkennbar waren wir zu dritt, wobei Andre ja gerade erst entlassen ist, dann wir beide mit den bestimmten jeweiligen Erfahrungen
 Ich war in einem Bezirk/Stadtteil, wo Leute sich mit allen möglichen Themen beschäftigen, aber konkret zum Thema Knast auch in Hinblick auf die Gefangenen eine sehr allgemeine Meinung hatten. 
Immer wurde hörte ich raus, exemplarisch beim Eingangsreferat dass Gefängnisse nur ein Teil einer Repression ist und das die Knäste erst dann erst abgeschafft werden kann, wenn irgendwelche großen revolutionären Ziele erfüllt werden 

(wann immer auch danach dieses geschehen könnte, die Geschichte der Revolutionen spricht dagegen, der Sätzer). 

Ich kam mir dann etwas verloren vor, ja regelrecht fehl am Platze. Ich merkte auch beim Andre, dass er immer wieder flüchten wollte

Ich habe dich erlebt, der auch nicht warm wurde an und mit diesen Orten. Eigentlich warst du ja da, um deinen Workshop durchzuziehen. Wie war denn die Erfahrung dort?

Z: Ich habe einen Workshop gemacht, wo es um die Frage ging: lassen wir uns bei dem Ziel „Gesellschaft ohne Knäste“ auch auf kleine Teilschritte ein. Es wurde am Beispiel der Gefangenengewerkschaft diskutiert. Macht die überhaupt Sinn? Können wir uns Teilschritte vorstellen oder sollten wir warten, bis das ganze System so repressiv geworden ist, das wir nix mehr verbessern können, sondern nur noch warten, bis wir das System überwunden haben. 


Ich sagte da, ich kann mir auch hier und heute schon , Schritte und Verbesserungen vorstellen,die müssten halt in die richtige Richtung gehen, d.h. Abschaffung der Knäste. Wir sind natürlich nicht in der Position, jetzt alle Knäste abzuschaffen, aber konkret ist es möglich.
 Es gibt Knäste, da sitze Leute wegen nicht bezahlter Geldstrafen, Schwarzfahrer und so weiter. Diese Knäste können wir sofort zumachen-- auch in diesem System.

Ein anderer Schritt: Abschaffung der Zensur. Es ist unerträglich, dass Gefangene, die wir draußen alle lesen können, diese nicht bekommen oder Zeitungen, die allgemein zugänglich sind. 


Knäste sind erst einmal Freiheitsentzug, dass Knäste immer auch Umerziehungslager sein wollen, ist absolut unerträglich. Und dies können wir auch schon hier und heute beenden. 



 

Wir haben ja im Verlauf des Gespräches beklagt, dass es so wenige Ex-gefangene und Angehörige bei den AntiKnasttagen gab. Das müsste eigentlich unser Ziel sein, dass sich mehr Ex-Gefangene und Angehörige bei solchen Veranstaltungen einmischen.


A: Wir hatten mal darüber geredet, dass – auch von dir – darüber gesprochen wurde, dass viele Ex-Gefangene nichts mehr mit dem Thema Knast zu tun haben wollen. Möglichst vergessen und nicht mehr daran erinnert werden


Z: Na ja, einerseits ist Verdrängung da aber zum anderen sind da bei AntiKnasttagen verschiedene Kulturen dar, die aufeinanderprallen. 

Die „linke Szene“ ist eher bürgerlich geprägt mit ihren Verhaltensweisen, während die meisten Gefangenen eher aus dem subproletarischen Milieu kommen; und da ist es schon schwierig, sich wohlzufühlen, in der Umgebung, beim und vom Essen, Trinken, eigentlich von allem ne andere Welt ist, wahrscheinlich würden sich die meisten dieser Linken in einer proletarischen Kneipe, wenn da ne Veranstaltung wäre, wohl auch extrem unwohl fühlen. 
Da sehe ich ein großes Problem. 





Es wäre aber auch leicht zu ändern, indem wir sagen, o.k. für den einzelnen Ex-Gefangenen und Angehörige ist es vielleicht schwierig in einen so großen Rahmen zu gehen, aber sie könnten sich ja sozusagen intern in den einzelnen Städten mal als betroffenen treffen. Das Ziel: eine Gruppe zu finden von ehemaligen Gefangenen und Angehörigen ohne erst einmal die „linke Szene“ dabei zu haben; einfach die eigenen Erfahrungen auszutauschen und die eigenen Vorstellungen zu entwickeln.

A: Was mich in diesem Zusammenhang am meisten gestört hat, war so ne Aussage wie: 
Ohne Theorie keine Praxis keine Revolution..

das mag die Sozialisation von den Leuten sein, die so was ritualmässig runter rasseln, ich habe eine andere Sozialisation: 
nämlich durch z.B die Niederschlagung von (Gefängnis-)Aufständen, also meine Bildung läuft eher über diese Schiene..

und da denk ich ist ein großer Graben.


Dein Vorschlag an die Ex-gefangenen zu appellieren, und Angehörige mit einzubeziehen, erscheint mir momentan noch ein bisschen schwierig in der alltäglichen Praxis, wo es nur geringe Kontakte gibt oder nur einzelne Leute bereit sind, dann auch nachher weiter zu machen.



Wie stellst du dir das vor?



Z: In dem Leute Kontakt zu uns aufnehmen, wir sind ja nicht so szenetypisch, bei uns am Laden vorbeikommen (in Köln) oder uns schreiben… Autonomes Knastprojekt Elsaßstr. 34 50677 Köln oder Email: autonomes-knastprojekt@riseup.net






Montag, 11. Dezember 2017

Der schwarze Winkel Teil 2 --Die vergessenen Lager -


Was ein Konzentrationslager war, das entscheiden hierzulande nicht HistorikerInnen, schon gar nicht große Teile der Bevölkerung, das entscheidet der Gesetzgeber. Dieser hat die offizielle Definition der Nazis übernommen. Was die Nazis nicht als KZ definierten, gilt auch heutzutage nicht als KZ. Dies ist nicht nur eine historische Ungenauigkeit, sondern es geht um handfeste materielle Interessen. Wenn überhaupt, dann erhalten nur diejenigen eine Entschädigung, die in einem „offiziellen" KZ waren. Tatsächlich waren Deutschland und die besetzten Gebiete von einem dichten Netz von Zwangslagern überzogen. In diesem Beitrag beschränken wir uns auf 3 Typen dieser Lager: die „Arbeitserziehungs-"., „Jugendschutz-" und ,,Zigeunerlager".




Privat-KZ`s


Die Initiative zur Errichtung von „Arbeitserziehungslagern" ging nicht von staatlichen oder NS-Institutionen aus. Es waren Privatfirmen, wie z.B. die Baufirma Hochtief die zu Beginn des Jahres 1940 „ Erziehungslager für Arbeitsuntreue" bzw. „Arbeitserziehungslager" für „renitente" deutsche und vor allem ausländische Arbeiter errichteten.
Bis zu diesem Zeitpunkt waren ArbeiterInnen, die gegen die „Arbeitsdisziplin" verstoßen hatten, ins KZ verschleppt worden. Von dort kamen die wenigsten zurück. Es war nicht Menschenfreundlichkeit, sondern schlichter Arbeitskräftemangel, der die Firmen dazu bewog, eigene Lager einzurichten, wo man die „Delinquenten" zwar nicht drangsalieren, aber nach erfolgter „Umerziehung" als Arbeitskräfte behalten konnte.
 Natürlich nur, wenn sie die Torturen in diesen ,Arbeitserziehungslagern" überlebt hatten. Himmler fand diese Idee so gut, daß er im März 1940 anordnetete, 613 „ Arbeitskräfte polnischen Volkstums" bei „ Ungehorsam und Arbeitsunlust" in ein derartiges „Arbeitserziehungslager" einzuweisen seien, das nun jedoch von der Gestapo bewacht werden sollte. Für „hartnäckig Arbeitsunlustige" sei dagegen, „zum Beispiel eine Beschäftigung in den Steinbrüchen des Mauthausen angebracht."
Das Beispiel machte Schule. Viele Firmen errichteten nun solche Lager. Die Haftbedingungen in diesen Lagern unterschieden sich kaum von denen „offizieller KZ"s".

Jugendschutz?


Dies trifft auch auf die sogenannten „Jugendschutzlager" zu. Auch hier handelte es sich um eine verlogene Bezeichnung. Schließlich dienten diese Lager keineswegs dem „Schutz" der Jugendlichen, sondern ihrer brutalen Disziplinierung,rücksichtsloser Ausbeutung und rassenideologischen Selektion.
 Die Pläne zur Errichtung von Jugendschutzlagem standen im engen Zusammenhang mit den Bestrebungen Himmlers, die alleinige Zuständigkeit für die Bekämpfung und Bestrafung von sogenannten „Asozialen" nach „kriminalbiologischen Kriterien" zu gewinnen. 1940 wurde das „Jugendschutzlager Moringen" für männliche Jugendliche eingerichtet. 1942 entstand in der Nähe des KZ Ravensbrück das „Jugendschutzlager Uckermark" für weibliche Jugendliche. Ende 1942 wurde in Lodz ein sogenanntes „ Polen-Jugendverwahrlager" gebaut. Die Haftbedingungen dort waren noch schlimmer als in den beiden deutschen Lagern.


                        
                                                               ( KZ Moringen)




In die Lager Moringen und Uckermark wurden Jugendliche zwischen 16 und 21 Jahren eingewiesen, die als „asozial" and „kriminell" eingestuft worden waren. Die Jugendlichen kamen zunächst in den B-(Beobachtungs)Block. Hier wurden sie umfangreichen „kriminalbiologischen" Untersuchungen unterworfen. Von diesen hing es ab, in welchen Block sie kamen. Die Blocke waren so aufgeteilt: U(untauglich), S (Störer), D (Dauerversager), G (Gelegenheitsversager) und F (fraglich erziehungsfähig).
Nur diejenigen, die in den „G" oder „F"-Block kamen (etwa 6-8%), hatten eine reelle Chance, später zum Reichsarbeitsdienst oder zur Wehrmacht „entlassen" zu werden. Die Übrigen wurden bei Erreichen der Volljährigkeit ins KZ deportiert oder im Zuge der „Euthanasie-Aktion“ ermordet.


z.B. Fernando Molde

Die Mutter des am 27.06. 1923 in Bremen geborene Fernando Molde stirbt im Januar 1938.Dieser Verlust bestimmt seinen weiteren Lebensweg. Mit der zweiten Ehefrau des Vaters kommt der Junge nicht zurecht, er empfindet ihr Verhalten als offene Ablehnung.
Im März 1938 beginnt Fernando eine Bäckerlehre. Bei Kost und Logis lebt er im Haus des Lehrherrn.Während der Arbeit ist er der Bevormundung, den ständigen Schikanen  und häufigen Schlägen des Meisters ausgesetzt. Fernando verlässt erstmals die Arbeitsstelle, traut sich nicht zurück ins Elternhaus und lebt für einige Tage auf der Strasse. Der Jugendliche wird von der Polizei aufgegriffen. 
Nach der Rückkehr in den Lehrbetrieb verschärfen sich die Probleme im Haus des Bäckers. Fernando verlässt ein zweites Mal den Arbeitsplatz, als es wegen der langen Wochenendarbeit zu Auseinander-setzungen kommt und sich der Konflikt nicht beilegen lässt. Er lebt wiederum auf der Strasse. Nach der erneuten Verhaftung wird der Junge in Verhören bei Polizei und Jugendamt erstmalig als "Arbeitsscheuer" und "Asozialer" bezeichnet. Er wird in die Heimerziehung überwiesen.
Obwohl sich der Jugendliche dort wohlfühlt, hat das Jugendamt Bremen im Herbst 1940 eine andere Massnahme eingeleitet: Fernando wird mit der Lagernummer 94 ins Jugend-KZ Möringen eingewiesen.
Fernando Molde ist am 29.April 2001 gestorben. Bis zum Tod war er Sprecher der Überlebenden des Jugend KZ Moringen.

z.B. Katharina Anders





                                                 (Gestapofoto zu Katharina Anders)

Als Katharina Anders, geborene Sommer, am 27.01.1924 in Wien geboren wird, sind die Eltern bereits geschieden. Katharina vermisst schon früh das Gefühl der Geborgenheit, da sie einmal bei der Mutter, dann wieder in der neuen Familie des Vaters leben muss.
Das Mädchen fällt den NS-Behörden auf, weil es im Jahr 1939 eine Stelle als Gehilfin in einem jüdischen-christlichen Haushalt annimmt. Bei einer Vorladung erfolgt die Ermahnung " ..dass ein deutsches Mädel nicht bei Juden zu arbeiten habe.." Die Wienerin erklärt, dass sie keine Deutsche sei. Sie wechselt gezwungermassen den Arbeitsplatz - ihre Aussage wird in den Akten registriert.
Wenig später sind Spannungen und Differenzen über die Freizeitgestaltung und das abzugebende Haushaltsgeld für die Mutter Anlass, Katharina in ein Erziehungsheim zu schicken. Die Jugendliche ist verzweifelt! Im Heim kommt es nach einem gescheiterten Fluchtversuch mit anderen Mädchen zur Rebellion. Sie zerstören Hitler-Bilder und fertigen Zettel mit der Aufschrift "Heil Moskau". Dies wird entdeckt und Katharina im Alter von 16 Jahren wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. 
Bei der Entlassung nach der Haft in einer Einzelzelle erhält Katharina die Auflage, die Stadt nicht zu verlassen. Daran hält sie sich nicht. Das Mädchen wird in ein Heim eingewiesen.Dort kommt es zu weiteren Auseinandersetzungen, den Heimleiter bezeichnet sie als "Nazi-Schwein.". Wenig später folgt die Einweisung in das Jugend-KZ Uckermark.





                                            (Erinnerungspfad zum KZ Uckermark)


Zigeunerlager


Die Verfolgung der Sinti und Roma stellte einen Sonderfall in der Verfolgung der sogenannten "Asozialen"dar. Hier vermischte sich die Verfolgung nicht-norm-gerechten Verhaltens mit Rassenwahn. Im Gegensatz zu den Konzentrations-, Arbeitserziehungs- und Jugendschutzlagern
wurden die Zigeunerlager in der Regel nicht von zentralen Stellen, sondern von kommunalen Behörden errichtet. Dem Kölner Lager in Bickendorf kam dabei eine Vorreiterrolle zu. Dies belegen Anfragen aus anderen Städten, in denen davon die Rede ist, „ entsprechend der Kölner Regelung zu verfahren.“
Während der sogenannten Weltwirtschaftskrise waren in Köln zahlreiche „wilde Siedlungen" entstanden.
Diese Siedlungen stellten für die Nazis ein schweres sicherheitspolitisches Problem dar.
Dies belegen Zitate aus Verwaltungsunterlagen. Dort heißt es unter anderem: „ Viele von denen, die so hausten, hatten ein Interesse daran sich aus der Volksgemeinschaft zu entfernen..."
und weiter :
„Was sie auch trieben, sie wollten dabei ungestört sein; natürlich waren sie auch kommunistisch verseucht..."




                                                     (Kölner "Zigeunerlager" Winter 1937)
Überlegungen zur Errichtung eines zentralen Sammelplatzes waren bereits 1929 von der Kölner Polizei angestellt worden. Dies wurde mit „ allgemeiner Unsicherheit und Verunstaltung des Strassenbilds" begründet. (Die Planungen begannen also vor 1933 und die Verfolgung endete auch nicht 1945. Wir werden später noch dazu kommen).
Am 24.4.1935 war das Lager an der Venloer Strasse, das wegen seiner Nähe zum gleichnamigen Sportplatz auch Schwarz-weiß-Lager genannt wurde, fertiggestellt. Eingezäunt und mit einer Wachbaracke für den Aufseher versehen. Innerhalb von sieben Monaten waren alle „wilden Siedlungen" auf städtischen Grund geräumt.Auch Siedlungen auf privaten Grundstücken wurden geräumt,selbst wenn die Besitzer nicht zustimmten. Auch Sinti und Roma, die in festen Wohnungen lebten, wurden in dieses Lager eingewiesen, sobald sie beim Wohlfahrtsamt Unterstützung beantragten.

Lagerverhältnisse
Die Verhältnisse im Lager ähnelten in vielem dem, was wir auch heute an Flüchtlingslagern kritisieren:
Gutscheine statt Bargeld, später nur Naturalien;
Aufenthaltsbeschränkungen; Zwangsarbeit; miserable Wohnverhältnisse (so lebten durchschnittlich 8 Menschen auf 9 qm) eine strenge Lagerordnung mit Wachdienst. In Köln hatte das Wohlfahrtsamt den SS-Mann Willi Schmidt zum Lagerverwalter bestellt. Häufige Polizeirazzien dienten der Einschüchterung der Lagerinsassen.
Bis 1937 war nur ein kleiner Teil der Familien auf „Fürsorge“angewiesen. Die anderen verdienten ihr Geld als Musiker oder Strassenhändler
Damit war nun Schluss. Ab 1937 blieb die Kette vor dem Eingang des Zigeunerlagers verschlossen. Es herrschte nachts „Ausgehverbot". In der Kölner Presse mehrten sich die Artikel, die Zwangssterilisation und „Sicherungsverwahrung oder eine andere Form der Asylierung" forderten.


                                 (Razzia am "Schwarz-Weiss "Lager - Foto: Bundesarchiv))
  
Vom Zigeunerlager ins KZ

Seit dem Erlass „ Über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung" vom 14. 12.1937 waren alle Sinti und Roma von der Einweisung in ein KZ bedroht, da sie dem Personenkreis zugerechnet wurden, der „durch geringfügige, aber sich immer wiederholende Gesetzesübertretungen sich der in einem nationalsozialistischen Staat  selbstverständlichen Ordnung nicht fügen" wollte. 

 Aus dem Kölner Zigeunerlager wurden 1937 achtzehn Sinti und Roma ins KZ verschleppt worden. So wurde ein Sinto, der als Musiker und Korbmacher arbeitete, verhaftet, da er nicht belegen konnte, wovon er lebte. Der Lageraufseher Schmidt hatte ihn beim Karten- und Ballspielen beobachtet und als „asozial" und „Anführer von Faulenzern" in der Zigeunerkartei vorgemerkt. Der Sinto kam in das KZ Sachsenhausen. Im Rahmen der „Aktion Arbeitsscheu Reich" wurde in den frühen Morgenstun-den des 21.Juni 1938 der ganze Platz umstellt.

Alle, die nicht in lohnabhängigen Arbeitsverhältnissen standen, wurden in den Klingelpütz gebracht. Dort trafen die 20 bis 30 „Zigeuner" vom Schwarz-weiß-Platz auf etwa 5OO festgenommene Juden, „Asoziale" und „Arbeitsscheue". Sie ale wurden ins KZ Sachsenhausen gebracht. Immer wieder kam es nun auf Initiative von Wohlfahrtsamt und Arbeitsamt zur Verschleppung einzelner „Arbeitsscheuer“.

                                                    (Foto: Bundesarchiv
 
Abtransport

Mit Beginn des Krieges verschärfte sich die Situation. Die Nazis hatten wenige Tage nach dem Überfall auf Polen beschlossen, alle Juden und Zigeuner dorthin zu deportieren. 
In den frühen Morgenstunden des 16.Mai 1940 umstellte ein Festnahmekommando von Polizei. Wehrmacht und SS den Platz. Den im Schlaf überraschten Sinti und Roma wurde erklärt, sie „würden wegen der Bom-benangriffe nach Polen gebracht, wo sie ein Häuschen und Vieh bekommen."
 In der Messe wurde ein Sammellager eingerichtet. Es waren viele dort: Männer, Frauen und Kinder, und alle waren nackt. Dies war extrem entwürdigend, wie Betroffene schilderten: „So etwas gibt es bei uns nicht. Unsere Frauen zeigen sich nicht einmal nackt vor ihren Kindern. Die Frauen weinten und versuchten, sich mit ihren Haaren zu bedecken, sie stellten ihre Kinder vor sich. Es war schlimm für uns." 
Während der nächsten 5 Tage trafen weitere Transporte aus Herne. Düsseldorf, Wuppertal, Wanne-eickel, Aachen, Koblenz, Gelsenkirchen, Krefeld und Duisburg ein.
Am 21.Mai 1940 wurden etwa 1000 ..Zigeuner" in Viehwaggons getrieben. Kurz vor der sowjetischen Grenze mussten sie sich ihr eigenes Lager bauen. Dort begann für sie die jahrelange Odyssee durch verschiedene Zwangsarbeitskommandos, Ghettos und Konzentrationslager.


 






Bazillenstreuend”

 Die Verfolgung „asozialer" Frauen 

 

 

                                         (NS Plakat )



Zunächst waren es beinahe ausschliesslich Männer, die als „Asoziale" verfolgt wurden. Dies trifft sowohl auf die „Bettlerrazzia", als auch die „Aktion Arbeitsscheu Reich" zu.

 Doch bereits ab 1936 rückten Frauen mehr in den Mittelpunkt der Verfolgung. Das ,,Asozialenproblem" wurde zunehmend von einem Problem alleinstehender Wohnungsloser und Alkoholiker zu einem „Problem" „asozialer Großfamilien" und von Frauen, „die sich herumtreiben". ,

"Pflichtvergessene Mütter", ,bazillenstreuende Prostituierte" und junge Mädchen 'die sich herumtreiben', galten nun als Inbegriff ,asozialer Frauen". Besonders die Prostituierten wurden verfolgt, wie kaum eine andere gesellschaftliche Gruppe. Bereits am 22. Februar 1933 forderte das preußische Innenministeriurn die Polizeibehörden „zu vollem Gebrauch" aller strafrechtlichen Bestimmungen auf. Insbesondere sei „Reinhaltung des Strassenbildes" erforderlich.



Mit einem Gesetz vom 26.März 1933 drohten nun Prostituierten 6 Wochen Haft und anschliessende Arbeitshausunterbringung. Mußte bislang die „Verletzung von Anstand und Sitte" nachgewiesen werden, so reichte nun „der Anschein". 1927 war das ,Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten" verabschiedet worden. Ein fauler Kompromiß zwischen den Befürwortern einer Freigabe der Prostitution und jenen, die für eine stärkere Reglementierung und Kasernierung eintraten.



Obwohl dieses Gesetz eine zwangsweise Kasernierung ausdrücklich verbot, hielten sich viele Städte schon von 1933 nicht daran. Die ursprüngliche Absicht dieses Gesetzes die vorherige sittenpolizeiliche Reglementierung und Schikane durch eine ärztliche Kontrolle zu ersetzen erwies sich schnell als Makulatur. Sehr schnell erwies sich, das die Gesundheitsämter aufs Engste mit den Polizeibehörden zusammenarbeiteten. 
Ja, meist gingen die Verfolgungsmaßnahmen von den Gesundheitsämtern selbst aus. Hinzu kommt, daß der angeblich besseren Überwachung durch die Gesundheitsämter jetzt wesentlich mehr Frauen unterworfen waren, als zu Zeiten der Sittenpolizei.



1933 standen etwa 20 000 Menschen mit ,häufig wechselndem Geschlechtsverkehr" unter der Überwachung der Gesundheitsbehörden.







Da die Gesundheitsämter ohnehin als Schaltstellen rassenbiologischer Erfassung fungierten, dienten die dort gesammelten Informationen als Basis für Zwangssterilisationen. Viele Prostituierte wurden mit der Begründung „schwachsinnig" bzw. „moralisch schwachsinnig" zwangssterilisiert. In Hamburg musste jede „Fürsorgerin" pro Woche einen Sterilisationsvorschlag liefern. In Bremen wurde bis 1937 etwa 150 Zwangssterilisationen mit anschließender Entmündigung durchgeführt.



In den „Richtlinien zur Beurteilung der Erbgesundheit" von Juli 1940 zählten „Dirnen, die durch ihr unsittliches Gewerbe ihren Lebensunterhalt ganz oder teilweise verdienen", ausdrücklich zu den allen fördernden Leistungen ausgeschlossenen „Asozialen". Rassenhygienische Forschung, mit der versucht wurde, die Ursache der Prostitution in der Erbmasse „minderwertiger" Frauen festzuschreiben, basierten auf dem Material der Gesundheitsämter. 

Zur rassenhygienischen ,Ausmerze"(Zwangssterilisation) kam in zunehmenden Maße die Internierung von Prostituierten oder prostitutionsverdächtigen Frauen. Bereits in der Weimarer Republik gab es das schlimme Mittel der Arbeitshauseinweisung für unwillkommene Fürsorgeempfänger*innen. Ermutigt durch die neuen Machthaber, verschärften die kommunalen Fürsorgebehörden die Praxis der Zwangsunterbringung. War bislang laufender Bezug von Armenunterstützung die Bedingung für eine Arbeitshauseinweisung, so reichten jetzt die Kosten für eine Behandlung von Geschlechtskrankheiten als Einweisungsgrund aus.



Auf diese Weise gelang es den Fürsorgebehörden prostitutionsverdächtige Frauen, die nie Fürsorgeunterstützung bezogen hatten. als „arbeitsscheue Fürsorgeempfänger" in Arbeitsanstalten einzusperren. Im Einzelfall genügten schon 35 Mark nicht bezahlte Krankenhauskosten für eine mehrmonatige Unterbringung einer ,,sich herumtreibenden"

 jungen Frau.


 Entmündigt und eingesperrt

Massenweise wurden „gemeinschaftsfremde und gefährdete“Frauen entmündigt. Die Entmündigung erfolgte vorwiegend wegen „Geistesschwäche“.Allein in Hamburg wurden 1450 Frauen entmündigt und unter Amtsvormundschaft gestellt. Diese Sammellvormundschaft übte das Pflegeamt aus.
In den ersten zwei Jahren wurden die Entmündigten grundsätzlich in Anstalten eingesperrt. Etwa die Hälfte von ihnen wurden zwangssterilisiert. Die „Notwendigkeit" dieser Praxis begründete die Leiterin des Hamburger Pflegeamts, Käthe Petersen, wie folgt:
In Hamburg findet sich, wie in jeder grösseren Stadt,eine nicht unerhebliche Zah asozialer, seit Jahren der Prostitution verwurzelter Frauen, die immer wieder die gesundheitsbehördlichen Vorschriften übertreten und immer wieder als Geschlechtskranke ( G-Kranke) der Behandlung im Krankenhaus bedürfen. Die dem Staat durch die ,wiederholten und oft sehr ausgedehnten Krankenhausbehandlungen für jede einzelne dieser Prostituierten entstehenden Kosten sind oft weit höler als die für eine gesunde Familie verfügbaren Mittel....Diese Prostituierten gehören neben den Trinkern. Rauschgiftschütigen und sonstigen Asozialen sowie den gewohnheitsmässigen Kriminellen zu den bewahrungsbedürftigen Elementen".

In die ..Asozialenverfolgung" waren von Anfang an die Prostituierten mit einbezogen.Die Richtlinien des Reichskrirninalpolizeiamts vom 4. April 1938 legten ausdrücklich fest, daß auch „Dirnen" als ..Asoziale" anzusehen seien. Auf dieser Grundlage wies die Kripo mehrere tausend Frauen ins KZ ein.





                                                 (KZ Uckermark- Foto: Bundesarchiv)

Der Krieg verschärft die Situation


Der Kriegsbeginn führte zu einem enormen Arbeitskräftemangel. Prostitution wurde nun nicht mehr nur als mehr nur als ..sittliche Verwahrlosung" sondern zunehmend auch als Arbeitsverweigerung gesehen. Die Machthaber fürchteten eine Zersetzung der Wehrkraft durch die Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten.
Der Beginn des Zweiten Weltkriegs verschärfte die Lebensbedingungen der Prostituierten erheblich.

Am 9. September 1939 ordnete das Reichsinnenministerium im Einvernehmen mit dem Oberkommando der Wehrmacht die polizeiliche Erfassung aller Prostituierten an. Strassenprostitution sollte grundsätzlich verhindert werden. Stattdessen sollte die „Ausübung der Gewerbsunzucht in besonderen Häusern“ geduldet werden. Die Kripo wurde ermächtigt, Prostituierten umfassende Auflagen zu erteilen, wie das Verbot des Betretens bestimmter Strassen und Plätze, oder das grundsätzliche Verbot, sich nachts ausserhalb der Wohnung aufzuhalten.

In Bordellen bzw. Wehrmachtsbordellen kaserniert, streng reglementiert, polizeilich erfasst, gesundheitsamtlich überwacht, das war die einzige Form, in der im Zweiten Weltkrieg Prostitution möglich war. Verstösse konnten zur Einweisung ins KZ führen.
Neben den tatsächlichen Prostituierten gerieten zunehmend unangepasste Frauen ins Visier der Verfolger. So gut wie immer wurde in Aktenvermerken von Polizei und Fürsorge sexuell unan-gepasstes Verhalten von Frauen mit ,treibt sich herum" beschrieben. Mit diesem „sich herumtreiben" wurde ein Verhalten gebrandmarkt , das mit Prostitution im eigentlichen Sinn nicht identisch war. Die Ämter sahen jedoch darin ein Element der „Gefährdung", das zum „Absinken in die Gewerbsunzucht" führen konnte.

Frauen, die allein oder mit verschiedenen Männern ausgingen, standen stets im Verdacht, geheime Prostituierte zu sein.

Wechselnde Männerbekanntschaften in Verbindung mit ungeregeltem Einkommen, schufen insbesondere in der Kriegszeit eine hochgefährliche Bedrohungssituation für Frauen. Sexuelle Freizügigkeit - im Fürsorgejargon stets als „hwG" (häufig wechselnder Geschlechtsverkehr) bezeichnet - genügte zur Verhängung von KZ-Haft.  



Grausame Aktenlage


Auf der Suche nach Betroffenen stehen häufig nur die Akten der Verfolgungsbehörden zur Verfügung. In den Akten der Duisburger Kripo sind Unterlagen über 28 Frauen erhalten geblieben, die zwischen 1938 und 1944 als „Asoziale" in ein Konzentrationslager eingewiesen wurden. Bis auf eine Ausnahme begannen alle Einweisungen mit dem Kriegsbeginn. Im Zentrum der Vorwürfe stand fast ausnahmslos das Sexualverhalten, oftmals gepaart mit dem Vorwurf mangelnder Arbeitsleistung.


1941 und im Frühjahr 1942 wurden von der Duisburger Kripo neun „asoziale“ Frauen im KZ
Ravensbrück interniert. Von dort wurden sie 1942 in die neu errichtete Frauenabteilung des KZ Auschwitz überstellt. Nur eine der Frauen hat dies überlebt. Nur in wenigen Fällen ging die Initiative zur Inhaftierung von der Kripo selbst aus. In den meisten Fallen waren Meldungen des Fürsorgeamts und des Gesundheitsamts der Ausgangspunkt für die Verfolgung. Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen: 
Im November 1940 meldete das Gesundheitsamt der Stadt Duisburg eine 27jährige Mutter von vier Kindern an die Kriminalpolizei: „Frau M. wird seit Juni 1939 betreut. In der Zeit wurde erstmalig der Ehemann hier vorstellig, um über den liederlichen Lebenswandel seiner Frau Beschwerde zu führen. Er gab an, dass seine Frau Nacht für Nacht unterwegs sei und ihre Kinder vernachlässige. Die Kinder wurden daraufhin in Fürsorgeerziehung genommen. Frau M, die einen ungepflegten, völlig verwahrlosten Eindruck machte, hat sich, so lange sie hier bekannt ist, immer wieder herumgetrieben. Alle Ermahnungen zu einem geordneten Lebenswandel verlaufen erfolglos."

Das Gesundheitsamt schätzte die Frau als heimliche Prostituierte ein und meinte weiter:
,Nach den hier gemachten Erfahrungen wird Frau M.. deren frech-dreistes Auftreten nicht zu beschreiben ist, sich in keiner Arbeitsstelle halten."

Aufgrund dieser Meldung verfügte die Duisburger Kripo die KZ-Einweisung und schrieb in der Begründung: „Nach den Ausführungen des kriminellen Lebenslaufes, der gutachterlichen Aüßerung des städtischen Gesundheitsamtes in Duisburg, der in Abschrift vorliegenden Aussage des Ehemannes, der der ebenfalls in Abschrift vorliegenden Aktenauszüge der Gesundheitsbehörde in Duisburg, ist erwiesen, dass die Ehefrau M. durch ihre sittliche und moralische Verkommenheit ihre Ehe auf das Schwerste erschüttert hat und dem Ehemann den Grund zur Scheidungsklage gab. Ihr Trieb nach wechselndem Geschlechtsverkehr und unter Berücksichtigung dessen, dass dieselbe bereits mit Syphilis behaftet ist, bildet sie gerade in der gegenwärtigen Zeit eine grosse Gefahr für die Erhaltung der Volksgesundheit. Die M. hat aber auch weiterhin durch ihr Verhalten gezeigt, dass sie heimlich der Prostitution nachgeht."
 Über das KZ Ravensbrück wurde die Frau nach Ausschwitz deportiert, wo sie im Dezember 1942 starb.




Im November 1941 meldete das Duisburger Gesundheitsarnt eine 31jährige Frau an die Kripo. Die Frau war das jüngste von 18 Geschwistern, hatte nur die Hilfsschule besucht und keinen Beruf erlernt. Sie war bereits zweimal geschieden. Ein Kind befand sich in Fürsorgeerziehung, ein weiteres lebte beim Vater. Weiter heißt es im Schreiben des Gesundheitsamts:

Frau G. Erkrankte erstmalig an Gonorrhoe. Am 1. Mai 1940 erkrankte sie erneut. sie benahm sich während der Krankenhausbehandlung derart unbotmässig, daß ihre Verlegung auf die Ge-sehlechtskrankenstation der Provinzial-Arbeitsanstalt Brauweiler erfolgen mußte. Zum 3.Mal leidet Frau G. zur Zeit an Gonorrhoe. Die Infektionsquelle konnte bei keiner Erkrankung ermittelt werden. Frau G. steht seit Jahren im Verdacht heimlich der Unzucht nach zu gehen. Sie hat dies immer bestritten. Nachdem Frau G. Ende August in eine Beischlafdiebstahlssache verwickelt war, wurde sie am 2.8.41 als Dirne verpflichtet. Zu den amtlichen Untersuchungen ist Frau G. bisher nicht erschienen. Strafanzeige wird gestellt. Frau G. trieb sich bis zu ihrer Festnahme am 22.10. herum. Am 23.10 wurde sie erneut wegen Erkrankung an Gonorrhoe in Zwangsbehandlung genommen. Frau G. hat jahrelang Wohlfahrtsunterstützung bezogen. Seit Oktober 1940 wurde sie 2-mal zum Ar-beitsamt vermittelt. Sie hat jedoch in beiden Stellen meist gebummelt.. Alle Ermahnungen zur Arbeit verliefen erfolglos. Frau G. ist eine besonders triebhafte, asoziale Frauensperson. In ihren Angaben ist sie unwahr. Es ist anzunehmen. Dass Frau G. nach erfolgter Krankenhausentlassung sich erneut herumtreiben wird Sie bedeutet zweifellos eine Gefahr für die Allgemeinheit. Ihre Unterbringung in Vorbeugungshaft halte ich daher für erforderlich. Ich bitte das Weitere zu veranlassen.“-


Nach Verbüssung einer Haftstrafe wegen Kontrollübertritts, wurde die Frau im Januar 1941 in Vorbeugungshaft genommen.
Im November 1942 meldete das KZ Ravensbrück ihren Tod.  



                                                                   (FrauenKZ Ravensbrück)

https://vimeo.com/157283831    Trailer über das ehemalige KZ Uckermark







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Nachbemerkungen:  Ich (G.L.) bin gefragt worden, wozu denn diese Dokumentation gut sein soll. Beinahe alles ist ja schliesslich schon veröffentlicht worden. Das stimmt, schliesslich stammt das meiste Material aus dieser Doku aus Veröffentlichungen von Wolfgang Ayaß. Die Informationen über das Zigeunerlager in Köln stammen aus dem Buch von Carola Frings und Frank Sparing. Und es stimmt dann doch nicht, denn wer hat schon diese Bücher gelesen.



Die Aufgabe dieser Dokumentation sehen wir nicht darin, neue historische Wahrheiten zu verbreiten, sondern eine breiteren Öffentlichkeit herzustellen. 
Die Verfolgung der so genannten "Asozialen" hat hierzulande eine traurige Kontinuität.Bettler*innen wurden schon in der Weimarer Republik inhaftiert und in Arbeitshäuser gesteckt. Auch nach 1945 ear Landstreicherei strafbar. Und auch heute noch, werden Bettlerinnen und Bettler mit Platzverweisen und Innenstadtverboten belegt. 

Viele der Täterinnen und Täter von damals in den Fürsorge-und Gesundheitsämtern blieben in Amt und Würden.

Zwangsarbeitsprogramme kommen mehr und mehr in Mode. Ich will hier nichts relativieren, aber die Nazis haben oft nichts Neues praktiziert, sondern nahtlos an die Verfolgungsmechanismen ihrer "demokratischen" Vorgänger anknüpfen können. Viele Fürsorgeämter, viele sozialdemokratisch besetzt, lieferten wohlgefällig Menschen den Nazis aus. Die "Bettlerrazzia" war voll von den "demokratischen Gesetzen" der Weimarer Republik.
Ähnliches galt für die Verfolgung der Prostituierten, zumindest bis Kriegsbeginn. Die Nazis mussten also für ihren Terror nicht mal Gesetze ändern.

Umgekehrt wurden nationalsozialistische Terrorgesetze, wie jenes über die Einführung der so genannten "Sicherungsverwahrung" problemlos von den bundesrepubikanischen Rechtsnachfolgern übernommen.
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(G.L/W.H.)

siehe auch: http://radiochiflado.blogsport.de/2010/04/10/schafft-den-tag-der-arbeit-ab/

und als Radiosendung: http://taibo.podspot.de/files/Schwarzer%20Winkel%20und%20Co.mp3