Montag, 16. Mai 2016

Gefangenenzeitungen z.b. HABERFELD....Freiheit ist unteilbar (1985)

homesick blues
die welt hat rote backsteinwände /vier ecken, einen zipfel himmel/der aber nie richtig blau wird.
die welt hat eine stahltür mit spion/das licht der welt kommt von  draussen/ neon - alleibliothek 20 minuten:klick/
die welt hat einen verbrannten rasen/hat tauben,spatzen und ein bäumchen/
die welt hat im winter möwen, die schrein/ 
die welt hat 20 qm/ ein klo im wohnzimmer/ein klo im schlafzimmer/ein klo in der küche/ein klo in der bibliothek/ein klo im arbeitszimmer...
die welt hat eine stimme um 21.45 h, die sagt "es ist 21.45.in einer stunde wird das licht gelöscht.wir wünschen ihnen eine gute nacht."
die welt ist eine stimme, die du nicht abstellen kannst/ist aus beton/ist ein schliessfach/ist eine fliege an der wand, die brummt
die welt ist zartgelb gestrichen/zartgelb dämpft die aggressionen/die gib es draussen/die herren der welt tragen grün/die herren der welt tragen zivil/
die mutter der herren der welt heisst sicherheit, geborene ordnung/alterslos geboren in dachau/besondere kennzeichen: keine
die welt ist nicht heimat/ heimat, das ist eine kette um den hals/ein amulett, ein ring/ein foto der lieben/ ein zeitungsausschnitt/
heimat ist, was du verbirgst/gefährdet sicherheit und ordnung
heimat steckt zwischen den schläfen… PISTOLENSCHUSSBEREIT…

heimweh ist auftrag
heimweh – auftrag zum kampf


TREBOR (vorher Knast Bruchsal)

aus: HABERFELD, Nr. 2




Die erste Gefangenenzeitschrift erschien 1800 in New York, gegründet von einem Insassen des Schuldgefängnisses „Forlorn Hope“, die erste von der Anstaltsleitung herausgegebene, wo Gefangene „resozialisierend“ mitarbeiten durften, 1883 ebenfalls in New York.
In Deutschland war es dann ab 1901 ähnlich, oft wurde die Zeitungen auch ohne Gefangene herausgegeben, die wohl einzige Ausnahme gab es in Untermassfeld, wo zumindest die Gefangenenvertretung eingebunden war. Die Nazis übernahmen dann ab 1935 die Kontrolle und nutzte eine von ihnen hergestellte Zeitung zur „nationalen Erziehung“ der Gefangenen.
Auch heute noch werden die meisten Gefangenenzeitungen, wenn nicht direkt von der Knastleitung herausgegeben, von speziellen JVA Mitarbeitern zusammen mit Gefangenen gemacht.. Da die Zeitungen dem Anstaltsrecht unterliegen, ist eine unabhängige und nichtzensierte Herausgabe erschwert und oft durch die entsprechenden Produktionsmittel (Druckerei usw.) unmöglich gemacht.

Ein erster Versuch, eine wirklich unabhängige und komplett unzensierte Gefangenenzeitung zu machen, war wohl in deutschen Gefängnissen der „Durchblick“ aus dem Knast Berlin Tegel.
Ihre erste Ausgabe, die Artikel heimlich von verschiedenen Gefangenen  auf ihren Schreibmaschinen produziert, erschien mit einer Auflage von 100 Stück und einer Seitenzahl von 20 Ende November 1976. Der Anlass war eine steigende Kritik an der  bis heute exisitierenden Zeitung „Der Lichtblick“

Der Lichtblick geniesst die volle Unterstützung der Knastverwaltung, wird finanziert aus dem Etat des Justizsenators und zum Teil in der anstaltseigenen Druckerei gedruckt. Die Redakteure werden vom Anstaltsleiter eingestellt und von der Justiz bezahlt……“
Wenige Tage nach dem Erscheinen der ersten Ausgabe des „Durchblick“ gab es die ersten Zellenrazzien und Beschlagnahme des „Durchblick“ , am 23.12, wurde gar ein Redakteur zurück in die JVA Moabit verschleppt – eine beliebte Taktik der Justiz, die wir auch später beim „Haberfeld“ feststellen können.
Im Laufe der Zeit nahmen die Repressionen zu, weitere Verschleppungen von „Durchblick“ Redakteuren, Aushänge und Radiodurchsagen der Anstaltsleitung, die den Besitz der Zeitung unter Strafe stellten… und mit ihnen aber auch die Anzahl der Gefangenen, die die Zeitung auf vielfältige Weise unterstützten…und im April 1977 etablierte sich „draussen“ die Initiativgruppe „Durchblick“, die sich nun verstärkt um die Herausgabe der Zeitung einsetzte.
Es erschienen wohl ingesamt 5 Ausgaben.




In Straubing waren es vor allem G. Linner und L.Lugmeier, die sich 1985 an die Herausgabe einer Gefangenenzeitung namens "HABERFELD" machten. Anlass war die rigide Zensurpraxis in der JVA. Die Texte und das Layout wurden - ähnlich wie beim "Durchblick" - in den Knastzellen vorbereitet und in einem ausgeklügelten UntergrundSystem durch einen Unterstützer*innenkreis draussen fertiggestellt.
in dieser Zeit waren Knäste noch sehr im Alltag von linken Aktivist*innen verwoben, sei es durch eigene Erfahrung oder Teil einer revolutionären Arbeit gegen das herrrschende strafende System. Mit den folgenden Ausgaben wuchs auch die Mitarbeit aus anderen Knästen, viele Artikel gingen an die Unterstützer*innen draussen, die dann bei verstärker Repression vor allem  gegen die beiden oben genannten Hauptredakteure mehr und mehr die technische Produktion übernahmen, neben dem ständig steigendem Versand des "Haberfeld" in die Knäste und die Sympatisant*innen draussen.



Die Zeitung machte vielen in den Knästen Mut, der nicht unbeantwortet blieb von Seiten der Knastverwaltung. Nach dem es aufgrund der Repression gegen Redakteure und auch Leser und verschärfter Zensur eine Dachbesteigung von einigen Gefangenen geplant war, wurden die beiden Redakteure Gerd und Lucky regelrecht aus Straubing verschleppt und in verschiedene andere Knäste gesperrt - damit waren für die Knastverwaltung die Aufrüher weg...
welche Auswirkungen das auf den "Haberfeld" hatte und wie es überhaupt weiterging,könnt ihr hier in einem ausführlichen Interview auch mit Gerd Linner erfahren.


Gefangenenzeitungen, so sie von den Gefangenen selbst gemacht werden, haben einen hohen wert in der alltäglichen Knastarbeit, zeigen sie doch, daß durch Kreativität und Gemeinschaft etwas bewirkt werden kann, was über das eigentliche Machen einer Zeitung hinausgeht, wie der "haberfeld" in Sfraubing gezeigt hat. Gleichzeitig erfährt die Öffentlichkeit draussen was in den Knästen wirklich passiert und kann sogar günstigenfalls eine Art Netzwerk zwischen drinnen und draussen schaffen - dies setzt allerdings auch ein bestimmtes Bewusstsein und entsprechende Initiative der Menschen auf beiden Seiten voraus, wie sie in den Jahren von "Durchblick" und "Haberfeld" vorhanden war.
Heute gibt es in und aus deutschen Gefängnissen ca. 50 Gefangenenzeitungen, aber wirklich unabhängig und unzensiert ist keine. 

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hier könnt ihr die "Haberfeld" Ausgaben in digitalisierter Form einsehen https://we.riseup.net/haberfeld-magazin