Über das Buch
Thomas Galli erzählt von seiner Arbeit als Gefängnisleiter und
zeichnet präzise Verbrechen und innere Konflikte von besonders
auffälligen Häftlingen nach. Vor allem die aussichtslosen Fälle
blieben ihm in Erinnerung - die unverbesserlichen und hemmungslosen,
die süchtigen und die resignierten Täter. Er schildert
auch Situationen, in denen das Justizpersonal überfordert
war: Gewalt, Geiselnahmen, Verführungsversuche.
Durch seine Erfahrung und Fachkenntnis gelingt es dem Autor,
ein differenziertes Bild des deutschen Strafvollzugs zu zeichnen
und die schwierige Aufgabe der Justizbeamten zu vermitteln,
gleichzeitig öffentliche Sicherheit, Persönlichkeitsrechte der
Gefangenen und Resozialisierung zu gewährleisten.
Thomas Galli, geboren 1973, studierte Rechtswissenschaften,
Kriminologie und Psychologie und arbeitet seit über fünfzehn
Jahren im Strafvollzug. Seit 2013 ist er Leiter der JVA Zeithain.
Daneben beschäftigt sich Galli auch wissenschaftlich mit kriminologischen
Fragestellungen, ist Lehrbeauftragter u. a. für
Strafrecht und Psychologie und Autor zahlreicher Artikel zum
Strafvollzug.
hier der gesamte text:
https://linksunten.indymedia.org/de/node/174065
Mittwoch, 30. März 2016
Freitag, 18. März 2016
Gefängnisse wird es immer geben... oder vielleicht doch nicht? (Übernahme einer Buchbesprechung)
Anmerkung: Diese Buchbesprechung fanden wir auf der seite:
http://www.strafvollzugsarchiv.de/index.php --- vielleicht gibt es ja von draussen mal wieder ne buchspende an einen lieben/eine liebe im knast
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Ein Literaturhinweis von Johannes FeestDurch allerlei Zufälle ist mir ein bemerkenswerter Essay in die Hand gefallen, der sich dieser Frage aus historisch-rechtsphilosophischer Sicht widmet.:
Bertha Graanz: Die andere Seite der Gitterstäbe
In: Knut Stang, Das andere Prinzip Trotz. Dilettantenvorträge, nicht gehalten auf der 41. Tagung der Akademie zu Bad Meinungen an der Glaubste.
Bärenbücher: Grassel 2015 (Books on Demand), 556 Seiten, € 16,99.
(das Buch kann als e-publikation sofort heruntergeladen werden).
Die Autorin wird uns vorgestellt als eine Schweizer Historikerin, Spezialgebiet: "Methodik statistischer Methoden in den Geschichtswissenschaften". In ihrem Beitrag möchte sie zeigen, wie die Fragen der Historiker "nach dem Woher einer Sache in ein Wohin münden " können. Als Beispiel nimmt sie die Institution Gefängnis, wobei sie weniger die Gebäude interessieren als "der Freiheitsentzug, als o die Haftstrafe als Mittel der Strafjustiz, zu deren Umsetzung es dann Einrichtungen wie Gefängnisse oder, moderner gesprochen Justizvollzugsanstalten braucht".
Die Autorin stellund beantwortet dann vier Fragen:
1. Gab es Gefängnishaft schon immer?
Antwort: weder die Sumerer, noch die Griechen oder Römer kannten den Freiheitsentzug als Strafe. Erst im Mittelalter gabe es so etwas wie Galeerenstrafen. Im Vordergund standen jedoch weiterhin Körperstrafen, einschließlich Todesstrafe. "Erst das 18.Jahrhundert wandte sich unter dem Einfluss der Aufklärung nach und nach von den teilweise drakonischen Körperstrafen des Mittelalters ab". Es entstanden "Besserungsanstalten", die aber zugleich abschrecken sollten.Die Gefängnisse sind also ein "kind der Moderne" und existieren seit etwa zwei Jahrhunderten.
[es fällt auf, dass die Autorin nicht die Zuchthäuser erwähnt, die schon 200 Jahre früher als Reformmodell eingeführt worden waren]. "Die Ansicht, Gefängnisse habe es immer schon gegeben, ist also falsch"
2. Sind Gefängnisse notwendig?
Antwort: die Autorin geht davon aus, dass dem Strafvollzug "landläufig" zwei Ziele zugewiesen werden: "Besserung" und "Sicherung". (das entspreche auch den beiden im Strafvollzugsgesetz normierten "Aufgaben"). Daneben werden aber immer noch Sühne, Rache und allgemeine Abschreckung (Generalprävention) genannt, die allerdings vom Strafvollzugsrecht nicht mehr anerkannt würden. Sie prüft in einem zweiten Schritt, inwieweit die Gefängnissstrafe geeignet sei, diese Ziele zu erreichen.Besserung: Die Autorin räumt ein, dass Gefängnishaft in Einzelfällen zur Besserung von Menschen beigetragen haben mag. Die Rückfallquoten zeigen aber, dass dies nicht die Regel ist. Vielmehr stelle die Haftstrafe in der Regel eine massive Beschädigung der Mechanismen dar, welche normalerweise den Menschenin die Lage versetzen, ein Leben ohne kriminelle Handlungen zu bestreiten". Besserung erfolge also "wohl eher trotz statt wegen der Haftstrafe".
Sicherheit: Wird die Gesellschaft durch das Einsperren von Straftäter sicherer? Diese Frage versucht die Autorin mithilfe von Gedankenexperimenten zu beantworten. Vor allem stellt sie die rhetorische Frage: was passieren würde, wenn man alle verurteilten Straftäter auf einen Schlag beseitigen könnte. Ihre plausible Vermutung lautet, dass man damit nicht mehr erreichen würde, als besetzte ökologische Lücken wieder zu öffnen, damit andere hier Platz finden?". Sie kommt zum Schluss, dass die Gesellschaft nicht sicherer wird, wenn man Straftäter einsperrt.
Abschreckung: Zur vielfach behauptetete generalpräventive Wirkung der Gefängnisstrafe gebe es keine empirischen Untersuchungen [da hat sie die Untersuchungen von Karl F. Schumann übersehen] . Sie nennt aber, mit Recht, die Erfahrungen mit der Todesstrafe, nach deren Abschaffung es in "keinem Fall zu einem nachweisbaren Anstieg der Verbrechensrate" gekommen sei. Unabhängig davon, widerspreche die generalpräventive Rechtfertigung der Strafe dem Prinzip, dass jeder nur für seine eigene Tat haftbar gemacht werden dürfe.
Kurzum: die Gefängnishaft sei "nichts anderes ein halbherziger Versuch, das Abrücken von der mittelalterlichen Strafpraxis nicht gleich in eine umfassende Straffreiheit münden zu lassen". Gibt es andere Mittel, die beiden genannten Zwecke auf eine rechtstaatlich zulässige Weise zu erreichen (Geldstrafe; elektronisches Tracking; Rückkehr zu Körperstrafen)? Die Antwort ist: nein! [hier fällt auf, dass die Autorin nicht auf Bewährung und Resorative Justice eingeht].
3. Sind Gefängnisse gerechtfertigt?
Antwort: es gibt für die mit der Gefängnishaft verbundenen Einschränkungen "bis heute keine rechtsphilosophisch plausible Begründung". Grundproblem sei hier, dass es in der Demokratie "keine dauerhafte Einschränkung oder gar Aufhebung der Selbstverfügungsgewalt gibt, sofern die Rechte anderer nicht beinträchtigt werden". Die Autorin diskutiert den Versuch, diesen Ausgangspunkt bei Beamten, Soldaten und eben auch Gefangenen durch die Figur des "Sonderrechtsverhältnisses" (früher: besonderes Gewaltverhältnis) auszuhebeln. Im Rahmen der Vollzugsgesetzgebung sei man davon war abgerückt, könne aber nach wie vor die vorhandenen Einschränkungen nicht begründen: "Ohne akuten Notstand werden die Rechte des einzelnen beschnitten, wird seine Selbstbestimmtheit weitgehend aufgehoben, nimmt man mindestens in Kauf, ja begrüßt es in vielen Ländern sogar, wenn Strafgefangene einander das Leben zur Hölle machen". Daher müsse der aktuelle rechtsphilosophische Diskurs "sich unmissverständlich und vor allem lautstark gegen das Festhalten an Gefängnisstrafen in Stellung bringen". Von Astronomen erwarte man schließlich auch, dass sie eine deutliche Haltung gegen Astrologie "und derlei Hokuspokus" formulieren.4. Wird es Gefängnisse immer geben?
Antwort: die Autorin sieht einen Trend zu seltenerem, kürzerem und "augeweichterem" Strafvollzug. Auch die SV gehe zurück [da dürfte sie nicht auf dem letzten Stand sein]. Ob die "eigentliche Gefängnishaft ganz verschwindet, hänge davon ab, ob und wann die Mehrheit bereit ist zuzugeben, dass hier für ein weitgehend sinnloses Institut umfangreiche Mittel ausgegeben werden". Nunmehr weist sie auf die "restorative justice" und die "Truth and Reconciliation Commissions"hin, vermerkt aber "dass die meisten Menschen, die in der Tradition von Strafjustiz aufgewachsen sind, gegen ein solches Vorgehen massive Vorbehalte haben".Anmerkung von Johannes Feest
Es ist ebenso überraschend wie erfreulich, einen solchen Essay zu lesen (dem meine Zusammenfassung natürlich kaum gerecht werden kann). Hier tritt jemand nur mit der Kraft der Argumente gegen die Freiheitsstrafe an, in verständlicher Sprache und ohne jede Berufung auf "Autoritäten". Das ist erfrischend, auch wenn dem Text ein paar Hinweise auf empirische Literatur nicht geschadet.Eine weitere Überraschung ist die Feststellung, dass dieser Essay, ebenso wie die übrigen zehn Texte dieses umfangreichen Bandes von einem einzigen Autor stammen. Die Texte handeln von so unterschiedlichen Gegenständen wie "Notizen zu Tolkien", "Gewalt gegen Frauen", "Verschwörungstheorien für jedermann". (übrigens zumeist durchaus mit Quellenhinweisen versehen). Ich habe noch nicht alles gelesen, finde jedoch bisher schon das wenige so anregend, sachkundig und zugleich locker geschrieben, dass es zum Weiterlesen reizt. Der merkwürdige Titel des Buches ist eine Aufforderung zum Trotz, zur Hartnäckigkeit gegenüber dem Diktat des "Machbaren", unter ausdrücklicher Berufung auf "die viel zu früh verstorbene" Regine Hildebrandts und ihren Slogan "Erzählt mir doch nicht, dasset nich jeht!".
+++#
Weitere Literatur zum Thema: http://radiochiflado.blogsport.de/2012/12/24/mitford-jessica-fuer-die-abschaffung-der-gefaengnisse/
"geboren 1963 in Bremen, Schriftsteller, Historiker, Unternehmensberater. Lebt teils zwischen Wolfsburg und Braunschweig, teils in Irland. Sammelt Erinnerungen, eigene und fremde".
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